© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Das Fanal von Gettysburg
Die Niederlage der Konföderierten Anfang Juli 1863 markierte eine Wende im US-Bürgerkrieg
Jan von Flocken

Große Umschwünge der Weltgeschichte gehen nicht selten auf vermeintlich geringe Ursachen zurück. Der Wendepunkt im 1861 ausgebrochenen Krieg zwischen den USA und den Konföderierten Südstaaten (CSA) beruhte letztlich auf dem Besitz von 1.500 Paar Schuhen.

Bis zum Sommer 1863 hatten die Armeen der CSA hauptsächlich defensiv operiert. Es gelang ihnen, die innere Linie auf dem Hauptkriegsschauplatz Virginia zu sichern. Sämtliche Invasionsstreitkräfte der USA waren hier erfolgreich zurückgeschlagen worden. Das war sowohl der überlegenen Kampfmoral der Südstaatler als auch der genialen Führungskunst ihres Generals Robert E. Lee zu verdanken.

Nachdem er Anfang Juni 1863 bei Chancellorsville – wie immer zahlenmäßig weit unterlegen – einen weiteren beeindruckenden Sieg errungen hatte, erwarteten Politik und Bevölkerung im Süden gleichermaßen, daß Lee nunmehr offensiv gegen die Union vorginge. Man hoffte auf einen entscheidenden militärischen Erfolg, der auch die diplomatische Anerkennung der CSA durch die Großmächte Europas zur Folge haben würde. „Wir müssen einen Frieden erkämpfen. Wenn wir siegreich und triumphierend aus diesem Land herauskommen, nachdem der Frieden gesichert ist, werden wir unserem Land das größte Glück bringen, das je einem Volk widerfahren ist“, schrieb der aus Virginia stammende Oberst William S. Christian.

Am 24. Juni 1863 überschritt Lees Armee bei Chambersburg die Grenze zum Nordstaat Pennsylvania. „Wir marschierten, viele barfuß oder in Strümpfen, mit schmerzenden Füßen, abgerissen, wund und ohne Gleichschritt“, erinnerte sich der CSA-Infanterist Robert Carter. General Lee achtete auf eiserne Disziplin und verbot jegliche Plünderung. William S. Christian schrieb am 28. Juni an seine Ehefrau: „Als ich zuerst hierherkam, hatte ich vor, mich an diesen Leuten für die Zerstörung unseres schönen Hauses zu rächen, des Heims (...), aus dem ihr Vandalismus Dich und meine hilflosen Kinder vertrieben hat. Aber obwohl ich so schwere Vergehen zu ahnden und so viel Grund für meine Rache hatte, konnte ich es, als ich mich dann unter diesen Leuten befand, nicht über mich bringen, sie zu belästigen.“

Christian untersagte es sogar seinen Soldaten, „ihnen die Hühner wegzunehmen, nicht einmal jene, die auf der Straße herumlaufen“. Diese Haltung stand in eklatantem Gegensatz zur Vernichtungsstrategie der Union. Deren Heere hatten den Auftrag, aus den Gebieten des Südens „eine unfruchtbare Wüste“ zu machen, „so daß für den Rest des Jahres selbst ein Rabe, der darüberfliegt, seinen Proviant mitbringen muß“.

Aus einem Vorhutgefecht entwickelte sich die Schlacht

Am 29. Juni erfuhr die konföderierte Vorhut unter General A.P. Hill, daß sich in dem Städtchen Gettysburg ein Lager mit etwa 1.500 Paar Schuhen befinde. Weil seine Soldaten nichts dringender benötigten als Schuhwerk, sandte Hill am 30. Juni eine Brigade dorthin, um das Lager auszuräumen. Eher zufällig stieß man am Ortsrand auf eine Kavallerietruppe des Feindes. Daraus entwickelte sich ein Gefecht, an dem im Laufe der nächsten zwei Tage immer mehr Regimenter teilnahmen, auch weil Gettysburg verkehrsgünstig an einer Wegkreuzung lag. Am Ende standen 160.000 Soldaten im Kampf.

Da keine Seite die Oberhand gewinnen konnte, beauftragte Lee schließlich am 3. Juli General George Pickett mit einem Frontalangriff auf den verschanzten Feind. Dieser „Pickett’s Charge“ ging als Heldenmythos in die Historie des Südens ein, erwies sich aber als katastrophaler Fehlschlag. Nach enormen Verlusten von mehr als 20.000 Mann mußte Lee das Schlachtfeld und auch Pennsylvania räumen. „Lee und seine Männer ernteten auch in Zukunft noch Lorbeeren; aber sie erlangten nie mehr jene Stärke und Reputation, mit der sie in jenen frohen Sommertagen des Jahres 1863 in Pennsylvania einmarschiert waren“, so der US-Historiker James M. McPherson in seinem grundlegenden Werk über den Sezessionskrieg.

Die Schlacht von Gettysburg bildete den Wendepunkt zugunsten der USA, zumal in jenen Tagen auch die stärkste westliche Festung der Konföderation, Vicksburg am Mississippi, kapitulieren mußte. Im April 1865 ging der Sezessionskrieg zu Ende. Mit brutaler Konsequenz vernichtete der US-Kapitalismus anschließend die südliche Feudalordnung. Sein Vollstrecker, Präsident Abraham Lincoln, wurde zum Säulenheiligen der Nation.

Auf die Tragödie von Gettysburg folgte dann das übliche Satyrspiel. Abraham Lincoln, im Norden von vielen „Abe, der Witwenmacher“ genannt, hielt am 19. November 1863 anläßlich der Einweihung des Soldatenfriedhofs auf dem Schlachtfeld von Gettysburg eine ebenso kurze wie phrasenreiche Ansprache. Darin redete er vom blutgetränkten Boden, den man „weihen, segnen, heiligen“ müsse, und wie man weiterkämpfen werde, „auf daß die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge“. Heute zählt diese „Gettysburg Address“ zum politischen Kanon der USA. Vor 150 Jahren wertete man Lincolns Worte wesentlich nüchterner. Die angesehene Chicago Times übte scharfe Kritik und schrieb: „Es wird jedem Amerikaner die Schamesröte ins Gesicht getrieben, wenn er die törichten, banalen und verwässerten Äußerungen dieses Mannes liest, der klugen Ausländern als Präsident der Vereinigten Staaten präsentiert werden muß.“

Foto: Südstaatengeneral Robert E. Lee: Verbot von Plünderungen

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