© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

Die Legende vom
klassischen Nichtwähler Bundestagswahl: Eine Studie versucht zu ergründen, warum mehr Bürger darauf verzichten, ihr Kreuz zu machen
Christian Schreiber

Ist es eine generelle Abkehr von der Politik? Oder nur eine Frage des mangelnden Angebots? Fest steht, daß die Zahl der Nichtwähler in Deutschland steigt. Blieben 1998 bei der Bundestagswahl 17 Prozent der Wahlberechtigten zu Hause, waren es 2005 schon rund 30 Prozent.

Über die Hintergründe dieser Wahlverweigerung hat nun die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie vorgelegt, für die der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, verantwortlich zeichnet. Insgesamt befragte Forsa rund 3.500 Personen, die sich selbst als Nichtwähler bezeichnen. Die Studie kam zu einem überraschenden Ergebnis: Die Mehrheit der Nichtwähler schätzt sich selbst als politisch durchaus interessiert ein. Und die Meinungsforscher räumen mit einem verbreiteten Vorurteil auf: Den klassischen Nichtwähler gibt es nämlich nicht.

Die Gründe für die Abstinenz von der Wahlurne sind unterschiedlich und der Personenkreis variiert. Lediglich zwölf Prozent der Befragten gaben an, daß sie an keiner der vergangenen vier Bundestagswahlen teilgenommen haben. Die meisten sind „sporadische Nichtwähler“: 46 Prozent der Befragten haben nur bei einer der vergangenen bundesweiten Abstimmungen gefehlt. Diese bezeichnen sich selbst nicht als Nichtwähler, sondern als vorübergehende Wahlverweigerer.

„Schieflage der politischen Repräsentanz“

Bei der kommenden Bundestagswahl wollen nach jetzigem Stand 16 Prozent erstmals nicht wählen. Diese Gruppe hat bisher regelmäßig an einer Wahl teilgenommen oder war bisher nicht wahlberichtigt. Sind die Gründe der Nichtwahl durchaus unterschiedlich, so fällt doch ins Auge, daß sich vor allem Menschen aus sozial schwächeren Milieus nicht mehr zur Abstimmung bewegen lassen.

Auffallend ist dabei die große Gruppe der Dauer-Nichtwähler: 20 Prozent der Mehrfach-Wahlverweigerer verfügen über ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro. Rund 70 Prozent haben einen Haupt- oder Realschulabschluß. Die Ebert-Stiftung spricht in diesem Zusammenhang von einer „Schieflage in der politischen Repräsentanz“, die sich verschärfe. Vor allem die SPD sei von diesem Phänomen betroffen. Es seien klassische Wählerschichten, die sich seit längerem nicht mehr von der Politik der Sozialdemokraten angesprochen fühlten. Es herrsche teilweise die Meinung vor, daß die Politik ohnehin nichts an der sozialen Lage des einzelnen ändern könne.

Dabei stuft die Mehrheit der Nichtwähler das Recht der freien Wahl durchaus als wichtigen Bestandteil der Demokratie ein. So sind 77 Prozent von ihnen der Ansicht, daß Wahlen ein hohes Gut seien. Knapp ein Drittel (32 Prozent) der Befragten meinen, durch die Stimmabgabe könne man generell nichts ändern. Zur Wahl sind die meisten daher nicht gegangen, weil eine zunehmende Unzufriedenheit mit Politikern und Programmen herrsche. Die Nichtwähler wünschen sich vor allem eine „kümmernde“ Politik: Die Parteien sollten demnach unnötigen Streit vermeiden und sich gemeinsam der Lösung wichtiger Probleme widmen.

Vernichtendes Urteil  für die Politiker

Forsa-Geschäftsführer Güllner sieht in den Erkenntnissen seiner Studie durchaus auch Chancen, die bisherigen Verweigerer wieder zurück an die Wahlurnen zu bekommen, der Anteil der generell politisch Nicht-Interessierten sei klein. 87 Prozent der Befragten wünschen sich Parlamentarier, die „wieder ein Ohr für die wirklichen Sorgen und Nöte der Menschen haben“. 83 Prozent der Nichtwähler legen Wert auf ein gutes Schul- und Bildungssystem. Und mehr als zwei Drittel ist vor allem ein gutes Gesundheitssystem, eine stabile Altersvorsorge und sichere Arbeitsplätze wichtig.

Als Fazit kommt die Studie zu dem Ergebnis, daß die steigende Zahl der Nichtwähler langfristig zu einer Gefahr für die Demokratie werden könnte. Güllner warnt hierbei vor „klassischen Nichtwählerkarrieren“. Immerhin 13 Prozent der Nichtwähler finden die Idee der Demokratie „nicht gut“. Ein vernichtendes Ergebnis stellen sie dabei vor allem den Politikern aus. 34 Prozent glauben, daß die Abgeordneten „kein Ohr für die Sorgen der kleinen Leute haben“. Und 31 Prozent denken, Politikern gehe es ohnehin nur um die eigene Karriere.

 

Nichtwähler und Wahlverweigerer

Erst Nichtwähler 16%

Dauer-Nichtwähler 14%

Sporadische Nichtwähler 46%

Wahlverweigerer 24%

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