© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

Der rote Schlüssel zum Erfolg
Chemieindustrie: Das 150jährige Jubiläum von Bayer ist ein Beispiel für das deutsche Wirtschaftswunder
Michael Manns / Jörg Fischer

In welcher Branche ist Deutschland Weltmeister? In der Autoindustrie? Nein, das ist zwar der mit Abstand bedeutendste heimische Industriezweig, doch China, die USA und Japan fertigen weit mehr Fahrzeuge. Mit einem Volumen von 150 Milliarden Euro pro Jahr ist Deutschland weltweit der größte Exporteur von chemisch-pharmazeutischen Erzeugnissen. Ein Drittel davon entfällt auf den Pharmabereich, zweitgrößte Sparte mit etwa einem Fünftel sind Fein- und Spezialchemikalien.

Begonnen hat diese Erfolgsgeschichte vor 150 Jahren – mit sieben Männern, einer Dampfmaschine mit drei PS und einem kleinen Dampfkessel in einer Klitsche in Höchst am Main, vor den Toren von Frankfurt. Die Schuhe und Arbeitskittel der Arbeiter trugen rote Spuren. Ursache war der Farbstoff, den sie in der „Rotfabrik“, wie die Firma Hoechst anfangs im Volksmund genannt wurde, herstellten. Der Schlüssel zur Produktion von künstlichen Farben war im 19. Jahrhundert die Destillation von Teer, dessen chemisches Geheimnis erst mühsam dekodiert werden mußte. Der Bedarf an synthetischen Farben war enorm, denn Naturfarben konnte sich die breite Masse noch nicht leisten.

Hoechst blieb daher nicht allein. Bereits acht Monate später, am 1. August 1863 wurde in Barmen – heute zu Wuppertal gehörend – von dem Farbenhändler Friedrich Bayer und dem Chemiker Johann Friedrich Weskott die „Friedr. Bayer et comp“ gegründet, die 1881 in eine AG umgewandelt wurde. Erst 1865 wurde die Badische Anilin- & Soda-Fabrik (BASF) in Ludwigshafen gegründet. Die Zahl der Farbenhersteller stieg nach der Reichsgründung weiter an. Bereits 1877 kam die Hälfte aller in der Welt verbrauchten künstlichen Farbstoffe aus Deutschland.

Auch Biologen und Ärzte griffen Ende des 19. Jahrhunderts zu synthetischen Farben, um Körpergewebe anzufärben – so konnten sie es unter dem Mikroskop besser beobachten und Krankheitserreger identifizieren. Nach der Synthese der Farben entwickelte sich so die Synthese der Medikamente. Es begann die Zusammenarbeit zwischen den Nobelpreisträgern Paul Ehrlich und Robert Koch. 1910 produzierte Hoechst (nach der Entdeckung durch Ehrlich) Salvarsan – damit wurde erstmals die Behandlung von Syphilis möglich.

Die Fabrik mußte durch Stacheldraht geschützt werden – so begehrt war das Präparat. Kranke aus aller Welt kamen und wollten an das Heilmittel haben. Mit einem Handels-U-Boot wurde Salvarsan im Ersten Weltkrieg sogar in die USA exportiert. Bei Bayer wurde die Wirkung der Acetylsalicylsäure und der Sulfonamide entdeckt, die unter den Markennamen Aspirin und Prontosil auf den Markt kamen. Mit Prontosil führte Bayer das weltweit erste Chemotherapeutikum ein, das als Breitbandantibiotikum eingesetzt werden konnte.

72 Prozent der Bayer-Aktien in ausländischer Hand

Neben der Säule Pharma entstanden weitere Geschäftsfelder wie Kunststoffe, Düngemitttel und Fasern. Aus Teerfabriken waren Chemie- und zugleich Weltkonzerne geworden. Vom damaligen Bayer-Chef Carl Duisberg ging schließlich die Idee aus, die deutsche Großchemie nach dem Beispiel der US-Trusts zusammenzulegen. So entstand aus BASF, Bayer, Hoechst und sechs weiteren Firmen 1925 die „Interessengemeinschaft Farben“. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam IG Farben unter alliierte Kontrolle und wurde schließlich in Einzelunternehmen aufgelöst. Vor allem in der Sowjetzone wurde ein Großteil der Anlagen demontiert. Aus den in Westdeutschland verblieben Unternehmensteilen von IG Farben stieg ab 1952 das deutsche Chemie-Trio BASF-Bayer-Hoechst erneut zur Weltspitze auf.

Seit 2005 ist es nur noch ein Duo, denn Hoechst ist seitdem Industriegeschichte. Das Sterbeglöcklein begann zu läuten, als 1994 mit Jürgen Dormann erstmals ein Nicht-Chemiker die Kommandobrücke bei Hoechst übernahm. Zuerst wurden die Symbole Brücke und Turm am alten Hauptgebäude abmontiert, dann die Chemiesparten in alle Welt verkauft. Die Pharmaabteilung wurde zunächst mit dem französischen Konkurrenten Rhône Poulenc zu Aventis fusioniert. Das Gemeinschaftsunternehmen wurde 2004 jedoch von Sanofi geschluckt – mit Unterstützung der französischen Regierung.

Die Hoechst-Belegschaft war fassungslos. Dormann sei eine „nur schwer begreifbare Unternehmerpersönlichkeit mit hoher Egozentrik, subversivem Machtmißbrauch und wenig Fortune“ gewesen, urteilte der Wirtschaftsjournalist Christoph Wehnelt. Wolfgang Hilger, ehemaliger Vorstandschef, wurde noch deutlicher: „Die Generation Dormann hat das in 50 Jahren aufgehäufte Vermögen vernichtet.“

Bayer kann hingegen am 16. Juli beim Jubiläums-Festakt in der Kölner Messe die Champagnerkorken knallen lassen. Eine Bayer-Ausstellung wandert durch die ganze Welt, es gibt eine Sonderbriefmarke, und ein Luftschiff, auf dem das Bayer-Kreuz prangt, steuert im Laufe dieses Jahres Ziele in vielen Teilen der Welt an. Die AG ist die Holding-Gesellschaft des Bayer-Konzerns, der aus inzwischen über 350 Gesellschaften besteht. Schwerpunkt ist weiterhin die chemische und pharmazeutische Industrie. Im Jahr 2012 erwirtschaftete Bayer einen Gesamterlös von rund 39,8 Milliarden Euro – und einen Gewinn nach Steuern von 2,5 Milliarden Euro. Was als kleine, aber innovative Farbenfabrik im heutigen Wuppertal-Barmen begann, ist heute ein Weltkonzern mit über 110.000 Mitarbeitern, 34.600 davon in Deutschland.

Deutsch ist Bayer allerdings nur noch bedingt. 72 Prozent des Aktienkapitals sind laut einer Studie von Ernst & Young in ausländischem Besitz – über die Hälfte der Aktienbesitzer davon stammt aus Europa, fast 40 Prozent aus Nordamerika. 2005 hatte Bayer nur 39 Prozent ausländische Eigner. Die BASF war 2012 noch zu 49 Prozent in ausländischem Besitz. Daß internationale Investoren deutsche Chemiewerte präferieren, spricht für sie – und gegen die Deutschen, die ihr Geld mit staatlichem Zutun (Stichwort: Riester) in vermeintlich sicheren Rentenpapieren, Fonds oder Steuersparmodellen versenken.

 

Chemie- und Pharmariese Bayer

Wie entstand aus der kleinen Fabrik von vor 150 Jahren ein Weltkonzern? Daß liege vor allem daran, daß es das Unternehmen immer wieder geschafft habe, „bahnbrechende Innovationen auf den Markt zu bringen“, sagt Marijn Dekkers, niederländischer Chemiker und seit 2010 Vorstandschef der Bayer AG. Neben Aspirin stammen auch das Krebsmittel Nexavar, das weltweit erste Insektizid Antinonnin oder moderne Materialien wie Polycarbonat von Bayer. Sorgen machen Dekkers die seit drei Jahrzehnten wachsenden deutschen Vorbehalte gegen neue Technologien. Bayer investiere dennoch jährlich über drei Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. „Wir brauchen eine Gesellschaft, die offen ist für Innovation – sonst werden wir irgendwann einen Punkt erreichen, an dem ein forschungsbasiertes Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert.“ Dekkers lobt die deutschen Forschungseinrichtungen, aber „sieht man genauer hin, ist die Position des Innovationsstandorts Deutschland gefährdet“.

Jubiläumsseiten der Bayer AG: www.150.bayer.com

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