© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

„Der Industriestandort Deutschland gerät aufs Abstellgleis“
50 Jahre CDU-Wirtschaftsrat: Heftige Kritik an Merkels Energiepolitik ist erwünscht und erlaubt / Politik verspricht Änderungen nach der Bundestagswahl
Christian Dorn

Beim Wirtschaftsrat der CDU, der vorige Woche in Berlin sein 50jähriges Jubiläum feierte, ist guter Rat teuer. Zu den 2.000 Gästen zählt Hermann Silbernagel aus Mannheim, dessen Firma so alt ist wie der Wirtschaftsrat. Während einer Tagungspause schüttelt er den Kopf: „Wenn ich meinen Betrieb so führen würde, wie heute Politik gemacht wird, gäbe es mein Unternehmen nicht mehr!“ Das Dilemma zeigt sich in der Energiepolitik, dem heißesten Problem der deutschen Industrie: Wie den Kurs der Kanzlerin kritisieren, ohne sich zugleich jeder Einflußnahme zu berauben?

2012 hatte Verbandspräsident Kurt Lauk der Kanzlerin versichert, sie finde beim Wirtschaftsrat 100 Prozent Zustimmung: „84 Prozent für ihre Europapolitik, 16 Prozent für ihre Energiepolitik.“ Die Kritik zeigte offenbar Wirkung. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist nicht mehr tabu. Angela Merkel versprach in der Abendveranstaltung eine strukturelle Novellierung – für „sofort nach der Wahl“. Heftigeren Applaus erhält aber ihr Parteifreund Günther Oettinger, der als EU-Energiekommissar vor einer „deindustriellen Entwicklung“ Deutschlands warnte. „Planwirtschaft und Ideologie“ verdrängten den Wettbewerb. Seinen Appell für eine „Generalrevision des EEG“ verknüpfte er mit der Forderung nach einer „Agenda 2020 für bezahlbare Energie“. Deutschland zahle unter vergleichbaren Ländern inzwischen den höchsten Strompreis.

„Mein Deutschland ist ein Industrie­land“, sekundierte im anschließenden Podium über die Energiewende Michael Fuchs, Vize der Unionsfraktion. Frühestens Mitte 2014 könne das EEG gebremst werden, bis dahin bestehe die akute Gefahr, daß dessen Infrastruktur noch massiv ausgebaut wird – etwa mit in Kroatien gehorteten chinesischen Solarzellen. In die Kritik an Merkels Energiewende stimmten alle anwesenden Vertreter der großen deutschen Energie- und Industriekonzerne ein. Heinrich Hiesinger, Chef von ThyssenKrupp, beklagte den um 40 Prozent höheren Strompreis im Vergleich zu Frankreich, dessen Industrie dennoch – so Oettinger zuvor – „derzeit senkrecht runter“ gehe. Friedrich Merz, seit 2009 Chef der Atlantik-Brücke, hält Frankreich sogar „für das größte Risiko der europäischen Volkswirtschaft“ – trotz der Billigenergie aus Kernkraftwerken.

„Sie tragen das Schicksal des Euro auf Ihren Schultern“

Reinhold von Eben-Worlée, Chef eines mittelständischen Chemieunternehmens, bezifferte die Gesamtkosten der Energiewende mit einer Billion Euro. Trotz der Effizienzsteigerungen gerate der „Industriestandort Deutschland auf das Abstellgleis“. Allein die Chemieindustrie koste das EEG 800 Millionen, 2014 würden es eine Milliarde sein. Da von den etwa 2.000 Chemieunternehmen in Deutschland kaum eines vom EEG befreit sei, werde deren Wettbewerbsfähigkeit massiv beeinträchtigt.

Versöhnlicheres bot das Abendprogramm, auf dem Lauk dem niederländischen Premier Mark Rutte die Ludwig-Erhard-Gedenkmünze in Gold überreichte – für dessen „vorbildlichen Einsatz für ein starkes Europa“. Ein holländischer Pressekollege kommentiert trocken: „Stimmt gar nicht, er ist ein Liberaler!“ Er kämpfe für ein „starkes Niederlande“. Rutte, der seine Rede auf deutsch hält, schließt mit einem Erhard-Zitat: „Wohlstand zu bewahren ist schwerer als ihn zu schaffen.“

Lauk erklärt die Niederlande zum „Vorbild für andere EU-Länder“, um dann sogleich an Frau Merkel zu übergeben, die vom US-Magazin Forbes erneut zur „mächtigsten Frau der Welt gekürt“ wurde. „Sie tragen das Schicksal des Euro auf Ihren Schultern“, sagt Lauk theatralisch. Leider fängt die Kamera in diesem Moment nicht Merkel ein.

Und anders als beim EEG ist Lauk beim Euro hin und her gerissen zwischen Nibelungentreue und Palastrevolte. Die Finanzbranche lieferte hier die Vorgaben: „Es gibt keinen deutschen Weg mehr, wenn wir an Europa glauben“, dekretierte etwa Jürgen Fitschen, Ko-Chef der Deutschen Bank, und Theo Weimer (Hypovereinsbank/UniCredit Bank AG) meinte, Deutschland dürfe wegen seiner Geschichte in Europa keine Führungsrolle mehr übernehmen. Georg Graf von Waldersee, Deutschlandchef der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, sprach gar vom „Gefühl Europa“, das mit der Euro-Währung erhalten bleiben müsse. Auch zahlreiche Exportunternehmen fürchten bei einem Euro-Ende um ihre Absatzmärkte in Südeuropa. „Der Euro bleibt ein Integrationsprojekt“, sagt daher Lauk, um dennoch hinterherzuschicken: „Wir wollen unseren Kindern keine Schulden, sondern Chancen hinterlassen.“

Und er läßt Angela Merkel wissen, daß sich inzwischen zehn Prozent einen anderen Bundeskanzler wünschen. Freilich formuliert Lauk dies diplomatisch: „90 Prozent unserer Mitglieder wollen, daß Sie auch künftig das Land führen.“

Reden und Interviews vom Wirtschaftsrat:

www.youtube.com/wirtschaftsrat

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