© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Mit dem Segen der Richter
Studentenverbindungen: Gerichte kippen das Verbot des traditionellen Marktfrühschoppens in Marburg durch die Stadt
Nils Wegner

Am Ende war es fast wie immer. Eine zum Großteil buntbemützte Schar Studenten und Alter Herren sowie zahlreiche Bürger und Touristen feierten am vergangenen Sonntag bei bestem Wetter und Blasmusik auf dem Marburger Marktplatz. Eine Tradition, die immerhin auf das Jahr 1903 zurückgeht.

Doch fast wäre es gar nicht soweit gekommen. Denn wie im Vorjahr sorgte der traditionsreiche Marburger Marktfrühschoppen wieder für erheblichen Wirbel in der hessischen Universitätsstadt. 2012 war das „kürzeste Volksfest Deutschlands" vom veranstaltenden Marktfrühschoppenverein auf Drängen des Marburger Magistrats von Oberbürgermeisters Egon Vaupel (SPD) abgesagt worden (JF 26/12). Dieser hatte dem anfangs noch zögernden Verein kurzerhand keine Sondernutzungserlaubnis für den Marktplatz vor dem Marburger Rathaus erteilt und das Fest so unmöglich gemacht.

Vielen klangen noch die klagenden Sätze Vaupels vom „tiefen Bruch in der Bürgerschaft", dem von Korporierten „mißbrauchten" Bürgersinn und angeblicher rechtsextremer Umtriebe der drei in der Deutschen Burschenschaft (DB) organisierten Verbindungen Rheinfranken, Germania und Normannia-Leipzig in den Ohren. Und so faßte der Magistrat erneut den Beschluß, dem Marktfrühschoppen keine Genehmigung zu erteilen – was wiederum eine neue Posse Egon Vaupels nach sich zog. Dieser stellte dem Marktfrühschoppenverein trotz des Magistratsbeschlusses in Aussicht, daß das Fest würde stattfinden können; allerdings um den Preis einer öffentlichen Distanzierung des Vereins von „den Machenschaften der Deutschen Burschenschaft" sowie von „Rechtsextremismus" und „Fremdenfeindlichkeit". Nachdem der Verein diesen Kotau vollzogen hatte, bestätigte Vaupel seine Aussage und stellte eine Genehmigung der Festivität anheim – wozu es allerdings noch einer rechtlichen Prüfung seines eigenwilligen Vorgehens bedurfte.

Diese erfolgte durch das Regierungspräsidium Gießen und ergab, daß der Magistratsbeschluß bindend ist – auch für den Oberbürgermeister. Vaupel, derart unmißverständlich in seine Schranken verwiesen, verbot daraufhin wenige Tage vor dem traditionellen Termin am ersten Wochenende im Juli eilends dem Frühschoppenverein, die Veranstaltung wie geplant stattfinden zu lassen. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr waren die Veranstalter diesmal jedoch nicht gewillt, klein beizugeben. Mit einem Eilantrag wandten sie sich an das Verwaltungsgericht in Gießen, das Vaupels Verbot aufgrund der brüchigen Argumentation umgehend für nichtig erklärte und die Stadt verpflichtete, den Marktfrühschoppen zu genehmigen: Es sei „eine allein politisch motivierte Willensbildung, die aber keinen tragfähigen Grund für die Versagung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis" abgeben könne. Erwartbare Störungen gingen regelmäßig nicht vom Marktfrühschoppen selbst, sondern von Gegendemonstranten aus – folgerichtig sei nicht das Fest zu verbieten, sondern gegebenenfalls durch Ordnungskräfte gegen die Störer vorzugehen, um die öffentliche Ordnung zu wahren. Eine kurzfristige Beschwerde der Stadt Marburg gegen das Gießener Urteil wurde zwei Tage vor dem Frühschoppen vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof per unanfechtbarem Beschluß zurückgewiesen.

„Es wurde Recht gesprochen, und aus!" So kommentierte der Frühschoppenvereinsvorsitzende Tilmann Pfeiffer, selbst Angehöriger der Marburger Burschenschaft Arminia, den Ausgang des Streits zwischen Stadt und Verein. „Das muß die Demokratie stemmen", sagte sein Vereinskollege Axel Koch. Das mußte auch die Oberhessische Presse, die wie im vergangenen Jahr Stimmung gegen die Veranstaltung gemacht hatte, akzeptieren und konnte nur noch vom am Sonntag stattfindenden Frühschoppen berichten (skurrilerweise in einem auf den Vortag datierten Artikel), daß er „friedlich verlaufen" sei und es „keine gravierenden Vorfälle" gegeben habe.

Beste Stimmung trotz Gegendemonstranten

Unter den knapp 500 Teilnehmern waren auch Angehörige der drei als rechtsextrem diffamierten Burschenschaften, doch herrschte – von kurzen Sprechchören der Gegendemonstranten abgesehen – beste Stimmung auf dem wie üblich von der Polizei abgeriegelten Marktplatz.

Ein bitterer Beigeschmack bleibt allerdings aus Sicht der Studentenverbindungen. Das Stadtparlament hatte vor dem Marktfrühschoppen einstimmig, also auch mit den Stimmen der CDU, einem Antrag der Marburger Linken zugestimmt, wonach „politische und öffentliche Aktivitäten studentischer Verbindungen und ihrer Angehörigen, die der Deutschen Burschenschaft angehören, in Marburg unerwünscht sind" und diese mit allen „politischen und (verwaltungs-)rechtlichen" Mitteln zu verhindern seien. Dieser Bann richtete sich gegen die Burschenschaften Germania, Normannia-Leipzig sowie Rheinfranken. Nicht nur dies zeigt, daß das letzte Kapitel im Streit um den traditionellen Marktfrühschoppen wohl noch nicht geschrieben wurde.

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