© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Neue Chance für das modernste Kohlekraftwerk Europas
Dattelner Schwejkiade
Markus Brandstetter

Denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht; drum besser wär’s, daß nichts entstünde", sagt Mephisto in Goethes Faust. Diese Worte des Teufels scheinen Grünen sowie anderen Industrie- und Technikfeinden vertraut zu sein, wenn es beispielsweise um Datteln IV geht. Das ist ein Kraftwerksbau am Dortmund-Ems-Kanal, den der Energieriese Eon 2007 begann. Der mächtige Kühlturm der zu 80 Prozent fertigen Anlage überragt mit seinen 180 Metern Höhe sogar den Kölner Dom. Das effizienteste und leistungsfähigste Steinkohlekraftwerk Europas könnte ein Viertel des deutschen Bahnstroms liefern.

Doch 2009 stoppten Gerichte den Weiterbau. Umweltschützer und Anlieger fanden gravierende Planungsfehler. Trotzdem könnte Datteln IV wie geplant im Frühjahr 2014 seinen Betrieb aufnehmen. Wer verstehen will, wie so etwas möglich ist, der muß in die Untiefen der deutschen Rechtsmaterie eintauchen. Seit dreieinhalb Jahren ruht der Bau, in den Eon bereits weit über eine Milliarde Euro gesteckt hat. Grund sind Verstöße gegen Bau- und Verwaltungsrecht. Der Fall ging bis zum Bundesverwaltungsgericht, alles schien entschieden und Datteln IV auf dem besten Weg, zu einer der teuersten Investitionsruinen zu werden. Das nur eine Stunde Autofahrt entfernte AKW Kalkar – in dem seit 1973 einige Milliarden an Steuergeld versenkt wurden, läßt grüßen. Nun gibt es aber im Leben für fast alles und jeden eine zweite Chance. Die erhält jetzt Datteln IV, sie heißt „Zielabweichungsverfahren".

Dieser Begriff aus der Welt der Verwaltungsgerichte ist etwas, das ein normaler Mensch nie verstehen würde, weshalb es gar keinen Sinn hat, hier mit logischen Argumenten und Analysen zu kommen. Für uns reicht es zu wissen, daß das Zielabweichungsverfahren einen Weg darstellt, auf Umwegen an ein Ziel zu kommen, welches eigentlich längst entschwunden schien. Anders ausgedrückt: Wenn Staat oder Kommunen einen Bauantrag genehmigt haben, der laut Raumordnung eigentlich gar nicht zulässig ist, dann kann der Bauantrag via Zielabweichungsverfahren doch noch genehmigt werden, wenn nur einige sehr dehnbare Kriterien, die sich im Laufe der Zeit auch noch ändern dürfen, erfüllt sind.

Dieses Hybrid-Kaninchen, das nun aus dem rot-grünen Kompromiß-Zylinder gezaubert wurde, ist gar kein schlechtes Tier und sollte eigentlich robuster sein als das frühverstorbene Klonschaf Dolly, denn die eintausend Megawatt, die Datteln IV einmal produzieren soll, werden dringend gebraucht, da auf Wind und Sonne allein kein Verlaß ist. Es ist auch nicht einzusehen, mit welcher Nonchalance von Umweltverbänden, notorischen Quertreibern und ihrer Partei – den Grünen – immer davon ausgegangen wird, daß eine Milliarde Euro ruhig in den Sand gesetzt werden können, solange diese nur von einem der verhaßten Energiekonzerne ausgegeben wurden.

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