© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Verschleierte Insolvenz
Euro-Krise: Der Rettungsschirm EFSF entwickelt sich selbst zum Rettungsfall / Ist falsche Bilanzierung inzwischen europarechtlich korrekt?
Wolfgang Philipp

Der Jahresabschluß des ersten Euro-Rettungsschirms liegt endlich vor. Was er offenbart, ist gespenstisch: Lediglich die unhaltbare Bewertung fragwürdiger Forderungen verdeckt, daß die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) wegen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit insolvent ist. Die EFSF ist eine Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts mit einem Stammkapital von nur 28 Millionen Euro. Dem steht per Ende 2012 eine Bilanzsumme von 160 Milliarden Euro gegenüber.

Die Schulden belaufen sich auf 159,7 Milliarden Euro und sollen unter anderem durch Forderungen in Höhe von rund 140 Milliarden Euro gegen Portugal, Irland und Griechenland gedeckt sein. Schon das Verhältnis zwischen Eigenkapital und Bilanzsumme ist unvertretbar. Der eigentliche Skandal liegt aber darin, daß die ausgewiesenen Forderungen zum Nennwert aktiviert werden, obwohl ausweislich des Jahresschlußberichts Forderungen in Höhe von 108 Milliarden Euro von den Ratingagenturen extrem schlecht bewertet werden. Die Bewertung Moody’s mit „C" bedeutet: „Niedrigste Kategorie, Anleihen in der Regel von einem Zahlungsausfall betroffen, äußerst schlechte Aussichten auf Zins oder Kapitalrückzahlung". Auch im Markt umlaufende griechische Papiere werden weit unter Nennwert gehandelt.

Abschreibungen zehren das Stammkapital schnell auf

Solche Forderungen muß jede Handelsgesellschaft durch Sonderabschreibungen abwerten. Zwar hat die EFSF das von der EU vorgegebene – vom nationalen Bilanzrecht abweichende – IFRS-Bilanzrecht angewendet. Aber auch dieses verlangt eine laufende Überprüfung der Werthaltigkeit von Bilanzansätzen. Daß Griechenland zahlungsunfähig ist, ergibt sich schon daraus, daß die EFSF Griechenland für zehn Jahre Zinsen „gestundet" hat. Die EFSF setzt hier erneut politisch bedingtes Euro-Unrecht gegen allgemeingültiges Recht durch. Doch schon geringe Abschreibungen würden das Stammkapital aufzehren. Die Überschuldung der EFSF würde sichtbar, sie müßte in Insolvenz gehen. Die von den Aktionären – den 17 Staaten – den EFSF-Gläubigern gewährten Teilbürgschaften wirken nicht zugunsten der EFSF selbst, sie können die Insolvenz nicht verhindern.

Dabei ist ein Punkt überhaupt noch nicht berücksichtigt: Aufgrund einer Regelung im ESM-Vertrag haben alle Euro-Staaten eine sogenannte CAC-Klausel in ihr Recht eingebaut (JF 13/13). Danach dürfen sie ohne Angabe von Gründen in einem Verfahren, in welchem Gläubiger nur höchst mangelhaft einbezogen werden, rechtsverbindlich erklären, daß sie ihre Staatsanleihen ganz oder teilweise nicht mehr zurückzahlen bzw. die Zinszahlungen einstellen werden.

Durch eine solche in der Geschichte des Rechts einmalige Klausel, die den Grundsatz der Vertragstreue abschafft, verlieren Euro-Staatsanleihen ihren rechtlichen Status als vollwertige Forderungen. Sie degenerieren zu einer Art Naturalverbindlichkeit, ähnlich Spielschulden. Auch gegenüber der EFSF können die Staaten, welche von dieser Geld erhalten haben, eine solche Klausel anwenden. Die Forderungen der EFSF sind nicht nur durch Zahlungsunfähigkeit gefährdet, sondern auch in rechtlicher Hinsicht nicht mehr standfest.

In der gleichen Situation befindet sich die Europäische Zentralbank (EZB). Das Bundesverfassungsgericht hat im Juni darüber verhandelt, ob sie solche Anleihen kaufen darf (JF 24/13). Die EZB dürfte dies schon deshalb nicht tun, weil sie seit Januar neuen CAC-Klauseln unterliegen, also gar keine echten Staatsverbindlichkeiten mehr sind.

Für die EFSF ergeben sich weitere Risiken daraus, daß sie genauso arbeitet wie die Banken vor der Finanzkrise des Jahres 2007/08. In vielfacher Milliardenhöhe sind langfristige Ausleihungen nur kurzfristig refinanziert. Ausleihungen an Euro-Staaten mit Laufzeiten von mehr als fünf Jahren in Höhe von 134 Milliarden Euro stehen nur Verbindlichkeiten entsprechender Laufzeit von 72 Milliarden Euro gegenüber. Der Rest ist kurzfristig finanziert, in Höhe von 49 Milliarden Euro mit Fälligkeiten innerhalb von zwölf Monaten. Auch diese Finanzierungsart verstößt gegen alle bankrechtlichen Regeln.

Eine besondere Pointe liegt darin, daß die EFSF Griechenland im Jahre 2012 rund 900 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat, damit dieses Land die von ihm geforderte Einlage an den zweiten Euro-Rettungsfonds ESM einzahlen kann (JF 27/13). Deutschland zahlt auf diese Weise indirekt auch die Einlage für Griechenland. Dies rettet Griechenland das Stimmrecht, mit dem es dann aber auch gegen Deutschland stimmen kann. Aus seiner eigenen Haftung als Bürge ist es jedoch faktisch entlassen.

Für jeden Experten ist klar: Wenn überhaupt jemand in Europa rettungsbedürftig ist, dann ist es jetzt die EFSF. Sie ist im rechtlichen Sinne insolvent und verbirgt diesen Tatbestand nur durch eine falsche Bilanzierung – und dies ist immer noch ein Straftatbestand.

Europäische Finanzstabilisierungsfazilität:

www.efsf.europa.eu

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