© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

CD: G. Catoire
Die Lücke im Repertoire
Jens Knorr

Im Jahre 2010 verteidigte eine junge Wissenschaftlerin am Institut für Musikwissenschaft und Musikinformatik der Karlsruher Musikhochschule ihre Doktorarbeit zu Georges Catoire, deren Buchfassung ein Jahr später mit dem Untertitel „seine Musik, sein Leben, seine Ausstrahlung" im Berliner Verlag Ernst Kuhn erschien. Auch den Briefwechsel zwischen Tschaikowski und Catoire gab sie heraus.

Bekannter ist die Wissenschaftlerin allerdings als Pianistin: Anna Zassimowa hat an der Gnessin Musikakademie Moskau und an der Karlsruher Musikhochschule studiert, außerdem Kunstwissenschaft an der Russischen Kunstakademie Glasunow in Moskau. Seit 2006 lehrt sie in Karlsruhe.

Aber wer ist dieser Russe mit dem französisch klingenden Namen? Georges Catoire, oder Georgij Katuar, ist einer der zu Recht oder Unrecht Unbekannten an der Schwelle zur klassischen Moderne. Der 1861 in Moskau geborene und 1926 ebenda gestorbene Komponist mit französischen Vorfahren schloß 1884 ein Studium der Mathematik an der Universität Moskau mit Auszeichnung ab und studierte ab 1885 Klavier und Komposition an der Musikschule von Karl Klindworth in Berlin. Nach Rußland zurückgekehrt, wurde Catoire Schüler von Rimski-Korsakow und Ljadow. Seit 1917 lehrte er am Moskauer Konservatorium Musiktheorie und Komposition, siedelte 1922 nach Paris über, kehrte jedoch bald wieder nach Moskau und ans Konservatorium zurück. Sein übersichtliches Werk umfaßt eine Symphonie, eine sinfonische Dichtung nach Lermontow, ein Klavierkonzert, eine Kantate „Russalka", Chor-, Kammer- und Klaviermusik, Lieder und zwei musiktheoretische Schriften, eine Formen- und eine Harmonielehre.

Es gibt eine alte Aufnahme der kompletten Violinmusik von Oistrach, eine neuere mit Klaviermusik von Hamelin – das meiste jedoch gibt es von Anna Zassimowa zu hören. Bereits während ihres Studiums hat sie einige Klavier- und Kammermusik Catoires auf Tonträger eingespielt und Mitte vorigen Jahres in den Moskauer Studios der Allrussischen Staatlichen Radio- und Fernsehgesellschaft einen Querschnitt durch das Liedwerk des Komponisten.

Die Lieder der CD auf Gedichte von Apuchtin, Lermontow, Tjuttschew, Alexej Tolstoi, Balmont und Solowjow sind postromantische und impressionistische Miniaturen, obzwar an die Diatonik gebunden, doch wieder sanft ihr entbunden, die in delikaten Farbenspiele(reie)n gleichsam zerstäubt. Für sie alle mag Isaak Lewitans Gemälde „Goldener Herbst" auf dem Titel des Beihefts emblematisch stehen. Für die Sängerin der Lieder auch.

Jana Iwanilowas nicht mehr taufrische Sopranstimme hat wenig Körper, dünnt nach der Höhe zu merklich aus, neigt im Piano zu leichtem Flackern und im Forte dazu, aus dem Fokus zu rutschen. Überdies muß sich der Hörer mit der Eigenart russischer Diven zu Dramatisierung und Sentimentalisierung abfinden. Hätte sich die Sängerin nur ein wenig mehr auf den schwebend leichten und dabei doch immer klaren Anschlag der Pianistin einzuhören vermocht, so hätte es vielleicht gelingen können, die von Anna Zassimowa entdeckte Repertoirelücke überzeugend zu schließen.

Georges Catoire, Gedichte für Gesang und Klavier Antes Edition, 2013, www.bella-musica-edition.de

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