© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Bildungsbürgerliches Ideal: Thomas Manns Respekt vor dem Kanon
Barbarei und Halbbildung
(wm)

Die meisten Genies waren auch sehr gute Schüler. Eine Ausnahme ist Thomas Mann, der Literaturnobelpreisträger ohne Abi-tur, der das Lübecker Katharineum vorzeitig verließ. Trotzdem weist die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts niemanden aus, der so idealtypisch wie der vielfache Ehrendoktor den deutschen Bildungsbürger verkörpert. Als wollte der Autor es allen beweisen, prunkt das epische Werk, allen voran der „Zauberberg" und „Doktor Faustus", mit der Ausbreitung von Lesefrüchten. Schon die Typhus-Beschreibung, die in den „Buddenbrooks" des kleinen Hannos Ende einleitet, ist „Meyers Conversationslexikon" entnommen. Diese Affinität zur oberflächlichen „Halbbildung" präpariert der Münchner Germanist Peter J. Brenner als roten Faden in Thomas Manns Werk heraus (Universitas, 5/2013). Ohne solides humanistisches Fundament sei der Halbgebildete aber dem Unverstandenen, Halberfahrenen ausgeliefert, das grobschlächtige Weltbilder zeuge und die Neigung zur „Barbarei" fördere, was man auch an der Bildungsbiographie des schlechten Schülers und Autodidakten Adolf Hitler ablesen könne. Immerhin sei Thomas Mann dieser Gefahr aber entgangen, weil er sich bei aller Ironie gegenüber dem „abgelebten Philisterzierat" den Respekt vor dem „Kanon der abendländischen Kultur" bewahrt habe. (wm)

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