© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Von der Polarität zwischen Freund und Feind
Zum 125. Geburtstag von Carl Schmitt: Das Werk des streitbaren Staatsrechtlers hat nicht ohne Grund eine ungebrochene Konjunktur
Alain de Benoist

Das intellektuelle Nachleben des 1985 in seinem Heimatort, dem westfälischen Plettenberg, verstorbenen Carl Schmitt, der vor 125 Jahren, am 11. Juli 1888, ebendort zur Welt kam, ist recht kurios. Nachdem er in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgrund seines kurzzeitigen politischen Engagements in den frühen Jahren des Dritten Reichs zunächst als mehr oder weniger verpönt galt, beschäftigen sich heute zahlreiche Aufsätze und Bücher mit seinem Werk, das dank der ebenso zahlreichen weltweit stattfindenden Carl-Schmitt-Tagungen zunehmend an Einfluß gewinnt.

Was das rein Biographische angeht, so geraten die Experten nach wie vor in Erklärungsnot, was ausgerechnet diesen großen konservativen katholischen Staatsrechtler, der sich 1932 in „Legalität und Legitimität" noch für ein Verbot der NSDAP ausgesprochen hatte, die er als „Verfassungsfeind" betrachtete, ein Jahr später bewog, ebendieser Partei beizutreten, wofür er mit dem Posten des Chefredakteurs der Deutschen Juristen-Zeitung, einer der damals namhaftesten Fachzeitschriften, belohnt wurde. Opportunismus? Naivität? Wie dem auch sei, im Dezember 1936 verlor Schmitt nach einem heftigen Angriff gegen ihn im SS-Organ Das Schwarze Korps sämtliche Ämter bis auf seine Professur an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Ab diesem Zeitpunkt zog er sich in eine Art Halb-Exil zurück – „wie im Schlund des Leviathan", wie er später sagte.

Heute gilt das Interesse der Wissenschaft jedoch weniger dem Leben, sondern vor allem dem Werk. Drei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: Schmitts Ausführungen zur „politischen Theologie", seine Definition des Politischen und seine Schriften zum Völkerrecht.

In der 1922 erschienenen Erstfassung der „Politischen Theologie" (erst 1970 folgte die „Politische Theologie II") begreift Schmitt das politische Denken der Neuzeit als direkte Fortsetzung der christlichen Theologie. Ein Verständnis der Neuzeit, so postuliert er, sei ohne einen Säkularisierungsbegriff nicht möglich. Daher die immer wieder zitierte Schlußfolgerung: „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe." Die Ablösung des allmächtigen Gottes durch einen souveränen und mit sämtlichen Gewalten ausgestatteten Gesetzgeber, dessen Entscheidungen im Bereich des Rechts insofern den Charakter einer creatio ex nihilo haben, veranschauliche dies.

Dem liberalen Denken diametral entgegengestellt

Diese These ist in Schmitts Werk eng mit seinem Verständnis von Souveränität verbunden, das wiederum auf dem Begriff des Ausnahmezustands beruht: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." Damit widerspricht er grundsätzlich der Vorstellung einer politischen Normativität, wie sie Hans Kelsen vertritt, aber auch seiner Theorie der Repräsentation: Für Schmitt findet die politische Form ihren vollendeten Ausdruck in der katholischen Kirche als juridische Repräsentation des Volkes („Römischer Katholizismus und politische Form", 1923).

Schmitts berühmtestes Werk, „Der Begriff des Politischen", entstand 1923. In diesem Buch, das Walter Benjamin gegenüber Gershom Scholem als das bedeutendste Werk seiner Zeit bezeichnete und das bereits in etwa 25 verschiedene Sprachen übersetzt wurde, bemüht sich Schmitt um eine Definition des Wesens des Politischen. Das Politische, das nicht mit der Politik zu verwechseln ist, stellt keinen Bereich menschlicher Aktivität, sondern eine autonome Dimension dar, die von der Polarität zwischen Freund und Feind bestimmt wird. Der Feind ist hier im Sinne des öffentlichen Feindes (hostis), nicht des privaten (inimicus) zu verstehen. Auf ebendiese spezifische und fundamentale Beziehung zwischen Freund und Feind läßt sich jedes politische Motiv zurückführen. Das Kriterium des Politischen ist die Möglichkeit der Entstehung eines Konflikts, in dem sich Feinde gegenüberstehen, aus einer wie auch immer gearteten Opposition. Somit wird jeder Antagonismus politisch, sobald er eine gewisse Intensitätsschwelle überschreitet.

Die Bestimmung des Feindes wird somit zum Inbegriff einer politischen Handlung. Die Unfähigkeit, zwischen Freunden und Feinden zu unterscheiden, mündet nicht etwa im ewigen Frieden, sondern im Chaos oder in der Unterwerfung denjenigen gegenüber, die die wahre Natur des Politischen begriffen haben. Wer behauptet, keinen Feind zu kennen, schlägt sich damit ipso facto auf die Seite des Feindes bzw. unterwirft sich ihm im voraus.

Damit stellt sich Schmitt dem liberalen Denken diametral entgegen. Dem Liberalismus ist das Politische grundsätzlich fremd, hindern seine individualistischen Vorannahmen ihn doch daran, sich die Existenz eines politischen Kollektivs vorzustellen, dessen Merkmale es nach außen hin abgrenzen. Des weiteren postuliert er, daß es keinen Konflikt gebe, der sich nicht durch einen Rekurs auf Normen, „vernünftige" Kompromisse oder „technische" Lösungen beilegen lasse. „So wird der politische Begriff des Kampfes im liberalen Denken auf der wirtschaftlichen Seite zur Konkurrenz, auf der andern, ‘geistigen’ Seite zur Diskussion." Und weiter: „Es gibt keine liberale Politik sui generis, sondern immer nur eine liberale Kritik der Politik."

Schmitt verstand überdies sehr gut, daß unter einer liberalen Regierungsform die Befugnisse des Politischen zum einen durch die Entfaltung der Wirtschaft (das Modell des Marktes), der Moral (die Menschenrechtsideologie) und der Technik (der Aufstieg der Expertokratie) eingeschränkt werden. Er ruft zur Bekämpfung der „Entpolitisierung" auf, die er als Neutralisierung der eigentlichen Bedeutung des menschlichen Daseins versteht.

Vor allem ist und bleibt Schmitts Denken jedoch im Bereich des Rechts und der internationalen Beziehungen von nachhaltiger Aktualität. Carl Schmitt war ein dezidierter Anhänger des alten europäischen Völkerrechts (jus publicum europaeum), das im Zeitalter des Westfälischen Friedens den Religionskriegen ein Ende bereitete. Von nun an setzte sich das Verständnis des Krieges als Konflikt durch, in dem jede Partei gute Gründe hat, ihr Recht durchzusetzen – justus hostis (der gerechte, nämlich legitime Feind) anstelle der justa causa (gerechten Sache) –, so daß sich der Krieg innerhalb gewisser Grenzen „einhegen" läßt.

Zweck des Krieges besteht darin, Frieden zu schaffen

Der diskriminierende moderne Krieg dagegen geht auf den „gerechten Krieg" im Mittelalter zurück und betrachtet den Feind nicht mehr als Gegner, der unter anderen Umständen genausogut ein Verbündeter sein könnte, sondern als absoluten Feind. Er wird verteufelt, kriminalisiert, als Figur des Bösen abgestempelt und zum Menschheitsfeind erklärt. Daher ist im Kampf gegen ihn jedes Mittel recht: wirtschaftliche Sanktionen, Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung usw.

Schmitt zeigt, daß die ideologischen Kriege der Neuzeit, in denen der Feind moralisch disqualifiziert wird, statt daß man ihn als Gegner betrachtet, der bekämpft werden muß, dabei aber durchaus einsieht, daß er eigene Gründe für sein Handeln hat, an die Tradition der Religionskriege anknüpfen. Wie diese sind es erbarmungslose, totale Kriege, die die Unterschiede zwischen Kämpfern und Zivilisten, Front und Hinterland, Kriegsparteien und Neutralen, ja sogar zwischen Krieg und Frieden verwischen; wenn die Waffen schweigen, kann der Krieg als „Reeducation" weitergehen. Darüber gerät in Vergessenheit, daß der Zweck des Krieges darin besteht, Frieden zu schaffen.

Schmitt greift den Satz des französischen Soziologen Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865) auf: „Wer Menschheit sagt, will betrügen." Wer im Namen der Menschheit Krieg führt und vorgibt, aus „humanitären" Gründen oder etwa zur Verteidigung der „Menschenrechte" zu kämpfen, versucht seinem Feind damit lediglich jegliche Legitimität abzusprechen. Jeder Krieg, der im Namen der Menschheit geführt wird, verfällt somit in die Unmenschlichkeit, führt er doch zwangsläufig zur moralischen Diskreditierung des Feindes, um ihn in einen Gesetzlosen, ein unmenschliches Ungeheuer zu verwandeln.

In seinem Bemühen um eine neue Völkerrechtslehre, die dieses als „konkrete Ordnung" faßte, war sich Schmitt durchaus bewußt, daß das alte jus publicum europaeum sich nicht wiederherstellen ließ. Deswegen sprach er sich für eine „Verräumlichung" politischer Auseinandersetzungen aus. Daraus entstand ab 1938 seine Theorie des „Großraums" – die eine nachdrückliche Kritik an den Ideologen der SS, allen voran Werner Best und Reinhard Höhn, beinhaltete. Europa, so forderte er, solle sich als Großraum mit Deutschland als natürlichem geopolitischem Zentrum konstituieren und sich eine der Monroe-Doktrin entsprechende Doktrin verleihen, mit der die USA seit 1823 die militärische Einmischung raumfremder Mächte in Nord- und Lateinamerika untersagt haben.

Diese Überlegungen gipfelten in einem 1950 unter dem Titel „Der Nomos der Erde" erschienenen großen Werk, in dem Schmitt sich mit der nach der Auflösung des Systems von Jalta bevorstehenden neuen Weltordnung auseinandersetzte. Daß sich am Schaffen des Carl Schmitt, den der Politikwissenschaftler Bernard Willms als „letzten großen Klassiker" bezeichnet hat, heutzutage so viele Debatten entfachen, ist zweifelsohne seinem prophetischen Charakter geschuldet.

Carl Schmitt (1888–1985): „Wer Menschheit sagt, will betrügen"

 

Alain de Benoist, französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften „Nouvelle École" und „Krisis". 2007 veröffentlichte er in der Edition JF das Buch „Carl Schmitt und der Krieg", 2009 erschien von ihm im Ares Verlag, Graz, eine internationale Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur Carl Schmitts.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen