© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Der Flaneur
Leben mit dem Handy
Josef Gottfried

Der Imbißbuden-Kellner gibt mir das Wechselgeld, ein paar Münzen und einen Schein, Metall und Papier, ich stecke es gedankenlos in die Hosentasche. Er wünscht mir einen schönen Tag. Ohne ihn anzusehen entgegne ich eine Abschiedsfloskel, bleibe aber sitzen. Ich will ja noch ein wenig an meiner Cola nippen und damit Zeit gewinnen, um länger aus dem Fenster schauen zu dürfen. Die Süße der schal gewordenen Brause vermengt sich mit dem Nachgeschmack von Zwiebeln, Knoblauch und Fleisch.

Kurz vor der Ausgangstür vibriert es noch mal, dieses Mal länger, ein Anruf, ich nehme ab.

Als ich das Glas absetze, hinterlassen die Finger meiner rechten Hand fettige Abdrücke, mir war Sauce über die Hand gelaufen, die ich jetzt an meiner Hose abreibe. Mein Smartphone liegt auf dem Tisch, es vibriert, die Saucenhand greift danach, routiniert entriegelt der Daumen die Sperre des Touchscreens, tipp hier, tipp da, Jürgen Elsässer hat mich und tausend andere via Facebook auf eine Veranstaltung eingeladen, irgendwas mit Euro, ich rufe meine E-Mails ab, lösche den Spam, öffne die Twitter-App, wundere mich über den Status von „@WishuKaiser", aktiviere die Bildschirmsperre, stecke das Gerät wieder ein und kann mich eine halbe Sekunde danach an keine der Statusmeldungen mehr erinnern.

Ich denke kurz darüber nach, ob ich noch mal schauen soll, aber dann ist es mir doch egal, ich trinke die restliche Cola in einem Zug, erhebe mich von meinem mit Kunstleder bezogenen Stuhl. Kurz vor der Ausgangstür vibriert das Handy noch mal, dieses Mal länger, ein Anruf, ich nehme ab. „Ja?", sage ich, öffne die Tür, gehe hindurch, lasse sie los, sie fällt zu, ich stehe im Regen. „In Wuppertal", antworte ich. Dann sage ich: „Ja, hmm, in Ordnung", und dann: „Ja, habe ich schon gehört, tut mir leid." Und dann: „Gut, bis ...", ich werde unterbrochen. „Du, ich muß ...", wieder nichts. „Ich kann jetzt grad ...", doch ich resigniere. „Ja, okay, gut."

Am Ende werde ich mehr als zwölf Minuten telefoniert haben.

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