© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

„Der Sound der Heimat“
Der Volksmusik auf der Spur, reiste ein neuseeländischer Musiker quer durch Deutschland. In einem vielgelobten Dokumentarfilm präsentiert Hayden Chisholm nun den deutschen Klang der Gegenwart
Moritz Schwarz

Herr Chisholm, was ist der „Sound of Heimat“?

Chisholm: Das ist sozusagen der Klang eines Landes, der Querschnitt durch seine ursprüngliche Musik.

Wie klingt der deutsche „Sound of Heimat“?

Chisholm: Es ist wirklich schwer zu sagen. Wir haben gehofft, diesem Geheimnis durch unser Filmexperiment auf die Spur zu kommen. Aber ehrlich gesagt, fiel die Antwort darauf danach sogar noch schwerer, weil die deutsche Volksmusik vielfältiger ist, als ich vor Beginn unserer Reise gedacht habe.

Eine Reise, die Sie quer durch Deutschland geführt hat.

Chisholm: Von Nord nach Süd und von West nach Ost sind wir gereist. Wir haben Landschaften und die Musik der Menschen erkundet, plattdeutsche Lieder, erzgebirgische Bandoneon-Musik, Allgäuer Jodelgesang, bayerische Blasmusik und vieles mehr. Das alles zusammen ist der deutsche „Sound of Heimat“.

Der „Spiegel“ nennt Ihren Film „beeindruckend“, und für den Kritiker der ARD ist es „ein Film über die deutsche Seele“. Dabei stammen Sie selbst aus Neuseeland.

Chisholm: Ja, allerdings sind die Autoren des Films Deutsche. Doch es stimmt, ich bin in Neuseeland geboren und erst nach Deutschland gekommen, um hier Musik zu studieren. Dazu habe ich zunächst Deutsch gelernt, obwohl das damals keine Voraussetzung war, aber ich wollte das, weil mir die deutsche Sprache so gut gefallen hat.

Warum?

Chisholm: In der kleinen Stadt New Plymouth in Neuseeland, wo ich aufgewachsen bin, hat man keinen Kontakt mit Deutsch. Wegen der geographischen Nähe lernt man dort eher Japanisch. Aber zum Glück hatte mir mein Literaturlehrer an der Schule die wichtigsten deutschen Werke nahegebracht, das war ein wichtiger Impuls. Und dann hat mir der Klang des Deutschen gefallen.

Es heißt, Deutsch klinge in ausländischen Ohren nüchtern, hart, uncharmant.

Chisholm: Viele sagen das, ich weiß. Aber ich hatte nie diesen Eindruck. Im Gegenteil, für mich klang Deutsch von Anfang an vertraut. Gar nicht exotisch, wie ich es erwartet hätte. Für mich war das anziehend, und ich bin froh, daß ich es gelernt habe, denn ich fühle mich sehr wohl in Ihrer Sprache.

Heute sind Sie ein preisgekrönter Jazzmusiker. Ist das nicht ein weiter Weg vom Jazz zur Volksmusik?

Chisholm: Äußerlich ja, mag sein, aber nicht aus meiner Sicht. Denn tatsächlich steckt in beiden Musikformen eine Echtheit, die sie verwandt macht. Im Jazz wird viel improvisiert, Jazz ist ehrlich und lebendig. Die Spielhaltung ist offen. Offen also gegenüber anderen Musikern und Musikarten. Diese Ehrlichkeit findet man auch in der Volksmusik, wo die Seele sehr direkt spricht. Natürlich sind der Klang und das Spiel unterschiedlich, aber die Haltung dahinter ist ähnlich. Denken Sie auch an die Stimmen – auch die sind in beiden Musikarten sehr wichtig, ob ich nun Billie Holiday oder Charvela Vargas höre.

Im Film sagen Sie: „Ich bin durch viele Länder gereist, immer auf der Suche nach ursprünglicher Musik.“

Chisholm: Ja, das ist es, was ich mit ursprünglicher Musik meine, Musik die echt ist, die von Herzen kommt, kein Kitsch, kein Abklatsch. Das ist die Urform der Musik, authentische Musik, in der Melodie, Rhythmus, Text und Geschichte natürlich verwachsen sind.

Was aber ist es nun, das die ursprüngliche Musik Deutschlands ausmacht?

Chisholm: Bevor ich die deutsche Volksmusik kennenlernte, war ich schon mit der Volksmusik anderer Länder vertraut. Ich war unterwegs in Irland, Schottland, England, Frankreich, Italien, Skandinavien, auf dem Balkan, in Osteuropa, Indien, Japan. Natürlich ist es schwierig, all die Vielfalt mit pauschalen Aussagen zu ordnen, aber ich würde sagen, daß der deutsche „Sound of Heimat“ mir vielfältiger und heterogener erscheint als der der meisten anderen Länder. Vielleicht noch in Spanien habe ich eine solche Vielfalt wie in Deutschland gefunden.

Woran liegt das?

Chisholm: Ich vermute, an der vielfältigen Kultur in Deutschland, was wiederum mit der deutschen Geschichte zusammenhängt. Aber eigentlich ist das eine Frage, die die Deutschen mir beantworten müßten.

Wie unterscheidet sich die deutsche Musik?

Chisholm: In Deutschland spielt Melodie eine viel stärkere Rolle als in der Musik in anderen Teilen der Welt. Dort ist etwa der Rhythmus dominanter oder andere Aspekte. Rhythmus ist in Deutschland weniger ausgeprägt, in der deutschen Volksmusik gibt es vielleicht nicht mal ein Dutzend Rhythmen, weil es in ihr viel mehr um Melodie geht. Deshalb spielt dann auch die Melodie eine so große Rolle, und deshalb gibt es diesen riesigen Fundus an deutschen Liedern mit ähnlichen Rhythmen, aber endlos verschiedene Melodien. In anderen Ländern ist es genau umgekehrt.

Spiegelt sich hier, daß Deutschland das Land der Dichter und Denker war?

Chisholm: Gut möglich, jedenfalls ist es eine sehr interessante Frage, ob die Melodielastigkeit der deutschen Musik mit der eher introvertierten Kultur hierzulande zu tun hat. Ganz im Gegensatz zur Rhythmusbetonung in der wohl eher extrovertierten Kultur in südlichen Ländern. Das müßte man mal genauer untersuchen. Ich vermute schon, daß die deutsche Musik die Tendenz der Deutschen zur Innerlichkeit spiegelt, dazu in die eigene Seele zu schauen, was in der Musik vieler anderer Länder gar nicht der Fall ist. Auch die Tendenz zur Melancholie erscheint mir in der deutschen Musik stärker. Ein wenig Melancholie gehört bei euch Deutschen wohl immer dazu. Obwohl andererseits auch sehr viel fröhliche deutsche Volksmusik existiert.

Allerdings gibt es auch ein Problem.

Chisholm: Was ich ursprünglich nicht geahnt hatte, ist, daß ihr Deutschen in einem so gespaltenen Verhältnis zu eurer Volksmusik lebt. Ich mußte lernen, daß viele Deutsche tatsächlich ein Problem mit ihrer Musik haben, ja, daß sie manchen sogar peinlich ist. Das ist etwas besonderes, denn ich kenne kein anderes Land, wo das auch so ist. Und ich habe mich gefragt, wie kommt das? Wieso bekommen dieselben Deutschen, die feuchte Augen haben, wenn ein alter Indio zum hundertsten Mal „El cóndor pasa“ in seine Panflöte bläst, gleich Pickel, wenn man sie auf die Melodien ihrer Heimat anspricht.

Was steckt dahinter?

Chisholm: Vielleicht gar eine Schwierigkeit der Deutschen mit sich selbst. Ich denke, es ist ein Generationsproblem. Es gibt die dunkle Zeit in eurer Geschichte.

Schwere Verbrechen gab es auch in anderen Ländern. Nur die Deutschen sollen deshalb nicht mehr singen dürfen?

Chisholm: Das sage ich nicht, sondern nur, daß die Volksmusik in Deutschland in einer Art mißbraucht worden ist, wie das in anderen Ländern nicht der Fall war.

Waren die Nationalsozialisten denn musikalischer als andere Gewaltherrscher?

Chisholm: Ich bin kein Historiker und kann nicht sagen, wieviel in welchen Diktaturen gesungen wurde oder wird. Allerdings haben die Nationalsozialisten nach meinem Wissen in der Tat viel gesungen oder singen lassen, und man mußte auch mitsingen, so daß später manchem die Lieder zuwider waren. Und richtig ist auch, daß man Musik gut dazu einsetzen kann, um Dynamik zu erzeugen, auch in der Politik.

Also sollte man die deutschen Volkslieder zu Recht nicht mehr singen?

Chisholm: Ich habe nicht gesagt, daß ich es für moralisch fragwürdig halte, deutsche Volkslieder zu singen, sondern nur versucht, die psychologische Reaktion dahinter zu beschreiben. Außerdem besitzen die Deutschen, mehr als andere Völker wie Japaner oder Russen, die Fähigkeit oder den Willen, sich selbst und ihre Geschichte etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Und ich habe festgestellt, daß die Deutschen außerdem offenbar ein Problem mit dem Begriff Heimat haben. Für viele scheint er im Gegensatz zur Weltoffenheit zu stehen.

Und, ist das der Fall?

Chisholm: Ich habe das zunächst auch so gesehen, weil ich es hier in Deutschland so gelernt hatte. Für mich ist das nicht einfach zu beurteilen, denn im Englischen haben wir nur „home“ oder „at home“, was „zu Hause“ oder „daheim“ bedeutet. Im deutschen Wort Heimat schwingt aber mehr mit.

Ist das der Grund, warum der Film „Sound of Heimat“ heißt? Um mit einem englischen Begriff, das „böse“ deutsche Wort Heimat zu bannen?

Chisholm: Nein, das glaube ich nicht. Zwar habe ich den Titel nicht gemacht und bin eigentlich ein Gegner solcher sprachlichen Mischformen. Aber ich glaube, die Idee dahinter ist eher, durch die Verbindung von scheinbar Widersprüchlichem neugierig zu machen, um Interesse für den Film zu wecken.

Schade ist, daß der Film sich nicht näher mit der Genese der verklemmten Wahrnehmung der Volksmusik in Deutschland beschäftigt: Er liefert zwar eine Momentaufnahme, aber keine Analyse der gesellschaftlichen Abläufe, die dazu geführt haben.

Chisholm: Stimmt, und ich bedauere es selbst sehr. Aber der Film mit 90 Minuten Länge ist aus fast 200 Stunden Material entstanden, man kann also sagen, daß überhaupt das meiste fehlt, leider. Aber man muß für die Form eines Kino-Dokumentarfilms Kompromisse machen, zum Teil extreme Kompromisse.

Der einzige Ausflug in die Historie im Film stellt ein Besuch bei einem ehemaligen KZ-Häftling dar, der beschreibt, wie die Wachen die Insassen zwangen, Volkslieder anzustimmen.

Chisholm: Ja, und dennoch hat der Mann kein Problem mit deutscher Volksmusik, weil die Lieder nichts dafür können, was schlechte Menschen damit getan haben. Tatsächlich sind diese Lieder ja viel älter als der Nationalsozialismus und haben damit gar nichts zu tun. Sie sind stark und sie können als das, was sie sind, immer noch genossen werden. Sie geben uns Kraft. Ja, ich glaube fast, daß sie unter Umständen eine regelrecht heilende Wirkung haben können. Auf jeden Fall sind sie es wert, wiederentdeckt zu werden.

Warum passiert das nicht?

Chisholm: Ich glaube, das passiert. Aber es gibt nicht nur das Problem, daß mancher sie mit dem Nationalsozialismus in Verbindung bringt. Sondern auch, daß viele Deutsche sie nicht mehr kennen, weil sie aus der Mode gekommen sind. Und zwar, weil die Deutschen sie mit dem verwechseln, was sie aus dem Musikantenstadl kennen. Das aber ist keine Volksmusik, sondern nur ein Abklatsch.

Oder eine stehengebliebene Form der Modernisierung der Volksmusik im damals beginnenden Fernsehzeitalter?

Chisholm: So könnte man argumentieren. Aber tatsächlich war es wohl eher eine Umformung der echten Volksmusik in ein fernsehtaugliches Format. Denn die Musik selbst wurde ja nicht weiterentwickelt, sondern nur die Form aufbereitet. Es ging um das Spektakel.

Ihr Film zeigt allerdings ein ganz anderes Deutschland, nämlich das der vielen Deutschen, die mit der Volksmusik kein Problem haben und ganz unschuldig und voller Lust singen.

Chisholm: Ja, was aber nicht heißt, daß sie nicht darüber nachdenken. Ich erinnere etwa an Rudi aus dem Erzgebirge, der im Film vom Mißbrauch der Lieder im Nationalsozialismus erzählt und davon, daß manche dieser Lieder später in der DDR verboten waren und daß sie jetzt wieder gesungen werden können. Es stimmt aber, ich habe durch den Film ein mir bis dahin unbekanntes Deutschland entdeckt. Ich habe wahnsinnig schöne Melodien, Lieder und Tänze kennengelernt. Ich habe erlebt, wieviel Freude euch Deutschen diese Musik macht. Ich glaube daher in der Tat, daß es ein Film über die deutsche Seele ist, und ein Heimatfilm im positiven Sinn, der den Deutschen Mut machen will, ihre Musik neu zu entdecken.

 

Hayden Chisholm, Der Jazzmusiker, Saxophonist, Klarinettist und Komponist veröffentlichte zahlreiche Alben, unternahm Konzerttourneen durch Europa, Afrika, Indien, Südamerika und ist an diversen Musikprojekten beteiligt. So komponierte er etwa mehrfach für die bekannte Aktionskünstlerin Rebecca Horn. Geboren 1975 in Otahuhu auf Neuseeland, studierte Chisholm Musik in Indien, Japan und mehreren Ländern Europas – zuletzt in Köln. Für den 2012 veröffentlichten und von zahlreichen Medien hochgelobten Kino-Dokumentarfilm „Sound of Heimat. Deutschland singt“ (JF 40/12), der jetzt auf DVD erscheint (Filmplakat rechts), reiste er durchs ganze Land. Der Film „schafft es, Lust auf deutsche Volkslieder zu machen“ (Der Spiegel).

www.soundofheimat.de

Foto: Hayden Chisholm in Aktion (Szene aus dem Film „Sound of Heimat“): „Es ist die Ehrlichkeit der Volksmusik, Musik die echt ist, die von Herzen kommt ... Das ist die Urform der Musik, authentische Musik, in der Melodie, Rhythmus, Text und Geschichte natürlich verwachsen sind.“

 

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