© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Jonathan Meese. Der gefeierte Künstler tobt gegen Demokratie und Kunstbetrieb
Der Wüterich
Baal Müller

Die Faszination Klaus Kinskis bestand zum guten Teil darin, daß das Publikum an ihm ein deutsches Herrenmenschen-Künstlertum in wohlig-dämonischen Schauern genoß – denn er war, bei allem schauspielerischen Genie, letztlich ein nicht ernstzunehmender Psychopath.

Richtig bei der Farce angekommen, als die sich nach Marx jedes historische Ereignis wiederholt, ist die deutsche Artisten-Metaphysik nun bei Jonathan Meese. Der Maler, Bildhauer, Video- und Performance-Künstler gilt seit seinem Durchbruch mit der Installation „Ahoi der Angst“, die auf der Berlin Biennale 1998 dem Marquis de Sade gewidmet war, als gefeiertes Enfant terrible der Kunstszene, das bei jeder Gelegenheit über den Kulturbetrieb, das Feuilleton und nicht zuletzt über sein Publikum herzieht, sich dabei aber effektiv zu vermarkten versteht.

Der 1970 in Tokio geborene, in Hamburg aufgewachsene und von seiner resoluten Mutter gemanagte Berufsprovokateur hat schnell begriffen, daß sich mit einer Mischung aus Pornographie und altbackenem Avantgardismus zwar das eine oder andere Stipendium ergattern, auf die Dauer aber kein großer Blumentopf gewinnen läßt, und verlegte sich auf stärkeren Tobak: Er drischt nietzscheanisierende Manifeste herunter, die vor „Ur“- und „Erz“-Phrasen strotzen, polemisiert gegen Demokratie und Religion und proklamiert eine „Diktatur der Kunst“, der bedingungslos zu dienen sei. Studenten, denen es primär um die Verwirklichung ihres kleinen Egos ginge, bezeichnet der von Befehl und Gehorsam schwärmende Kunstfeldherr, über dessen schwarzer Adidas-Jacke, die er wie eine Uniform trägt, meist ein Eisernes Kreuz baumelt, schon mal als „Hämorrhoiden im Arsch des Staates“.

Es ist nicht verwunderlich, daß dieses große Kind mit preußischer Pickelhaube auf der schwarzen Mähne irgendwann bemerkte, welches Aufsehen man in Deutschland mit einer schräg nach oben gereckten Hand erregen kann: Nachdem er im Juni 2012 bei einem öffentlichen Gespräch über „Größenwahn in der Kunst“ wieder einmal so „abgehitlert“ hatte, steht Meese nun diese Woche vor Gericht. Wahrscheinlich hält sich der mehr oder weniger unfreiwillige „Erzkomiker“, der 2016 in Bayreuth den „Erzrichard Wagner“ inszenieren soll, schon so sehr für ein Wagnersches Gesamtkunstwerk, daß ihm entgeht, wie heikel ein Arm sein kann, der nicht auf dem schützenden Spielplatz einer Bühne erhoben wird.

„Außer Meese nix gewese“, müßte der Kasseler Staatsanwalt in einem freien Land dazu eigentlich sagen – in einem Staat, der solche Albernheiten zu Verbrechen aufbläst, kann es dem Possenreißer jedoch passieren, daß er nicht ganz ungeschoren davonkommt. Immerhin aber macht seine Narretei auf größere Narreteien aufmerksam, die in so manchem Paragraphen stecken.

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