© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

„Das haben wir jetzt von offenen Grenzen“
Einwanderung: Deutsche Großstädte ächzen unter explodierenden Asylzahlen / Anwohner machen Unmut lautstark Luft
Thorsten Brückner / Ronald Gläser

Wenn Franz Allert eines Tages an seine Zeit in der Berliner Verwaltung zurückdenkt, dann wird ihm dieses Datum einfallen: der 9. Juli 2013. An diesem Tag traf der Chef des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) auf Anwohner eines geplanten Asylbewerberheims im Bezirk Marzahn-Hellersdorf.

Die tumultartige Versammlung in Gegenwart von Bezirksbürgermeister und 200 Polizisten hat gute Chancen, in den „Top 10“ seiner schlimmsten Veranstaltungen aufzutauchen. Die Bürger haben für die Pläne der Behörden kein Verständnis und machten ihrem Ärger Luft.

„Wir sollten lieber eine Kita aufbauen statt ein Asylantenheim“, meint eine blonde Kindergärtnerin, die sich durch „Nazis raus“-Rufe verunglimpft sieht. „Sie sind arrogant“, greift eine andere Anwohnerin Allert an. Er schluckt.

Als Allert dann antwortet, beschwichtigt er, so gut es geht. Unter anderem mit der Behauptung, es kämen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge in das Heim. Außerdem appelliert er seelenruhig an den Gemeinsinn – trotz der harten Worte, mit denen er konfrontiert wird. Doch er dringt nicht richtig durch.

Der Beamte braucht sich über die Pfiffe nicht zu wundern. Gleich in seiner Begrüßung hatte er den Anwesenden mit Rauswurf gedroht: „Politische Unmutsäußerungen werden wir mit Rückgriff auf das Hausrecht unterbinden.“ Das konnte bei den Hellersdorfern nur so ankommen: Wer Kritik äußert, fliegt.

Ganz so drastisch kommt es dann doch nicht. Immer wieder skandieren Dutzende „Nein zum Heim“. Als der zuständige Polizeichef sagt, Asylbewerberheime hätten keine Auswirkungen auf die örtliche Kriminalitätsentwicklung, wird er ausgelacht. Vor allem auch deshalb, weil er gleichzeitig mehr Streifen in der Gegend zusichert: Mehr Polizeipräsenz, obwohl es keine Zunahme an Kriminalität gibt? Das wäre paradox. Daraufhin meldet sich eine alleinerziehende Mutter und redet Klartext: „Letzte Woche haben sie mein Auto wieder aufgebrochen. Und wissen Sie, was der Polizist zu mir gesagt hat? Das haben wir jetzt von den offenen Grenzen.“

Es sind allerdings nicht immer nur sachliche Argumente, die vorgetragen werden. Weder von den Gegnern noch von den Befürwortern: „Wo sind die Spielplätze für unsere Kinder?“ fragt eine Gegnerin. Schließlich seien „unsere Kinder“ wichtig und nicht die, die neu dazukämen. „Ihr alle seid Abkömmlinge von Flüchtlingen, schämt euch“, schimpft ein alter, dicker Mann mit Vollbart. Die Emotionen kochen hoch. Ein Mädchen mit Antifa-Pulli sieht Rassismus als Ursache aller Probleme. Gestört wird die Veranstaltung immer wieder von schätzungsweise fünfzig Linksextremisten, die zahlreichen Aufrufen zur Teilnahme an der Versammlung gefolgt waren. Sie brüllen immer wieder „Kein Mensch ist illegal“ oder „Nazis raus“, wenn ein Gegner des Heims spricht.

Die Mehrheit der Anwesenden bleibt jedoch bei ihrer ablehnenden Haltung. Später werden die Linken behaupten, Rechtsextremisten hätten „massiv mobilisiert“ und die Versammlung unterwandert, aber das stimmt so nicht. Aus der rechtsextremen Szene waren Personen anwesend, aber es sind augenscheinlich weniger als die aus der linken Szene. Der NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke scheitert gleich zu Beginn damit, das Mikro in die Hand zu bekommen.

Es sind ganz normale Hellersdorfer wie jene Frau mittleren Alters, die sagt: „Hellersdorf ist nicht rechts, aber auch nicht links. Die sind genauso schlimm.“ Sie trägt die üblichen Bedenken vor: Kriminalität, Verwahrlosung. Solche Vorbehalte werden angeheizt durch Ereignisse in anderen Stadtteilen. So berichtet sie über das, was sie in einem andern Marzahner Heim gesehen hat: „Die Zigeuner werfen da ihre Sachen einfach aus dem Fenster.“

Fast zur gleichen Zeit spielt sich, nur wenige Kilometer entfernt, eine weitere Asylantengeschichte ab, die die Berliner in Atem hält: Barrikaden, bestehend aus Bänken, Brettern und Transparenten sperren die Berliner Oranienstraße im linken Szenekiez Kreuzberg.

Die Polizei beobachtet mit gebührendem Sicherheitsabstand von den Grünflächen aus die Demonstration. Mitten auf der Straße liegt eine weiße Matratze, auf der ein afrikanischer Asylbewerber seinen Mittagsschlaf hält.

Neben ihm steht der aus Nigeria stammende Anführer der Proteste – Mitte Dreißig, bulliger Körper, mit gelbem Hemd und Baskenmütze. In der Hand hält er ein Megaphon, in das er unentwegt auf englisch brüllt. „Justice“ (Gerechtigkeit), „human rights“ (Menschenrechte), „dignity“ (Würde) sind seine beliebtesten Schlagwörter. Die afrikanischen Asylsucher hausen auf dem Platz bereits seit Oktober 2012. Sie wollen ihren Forderungen Nachdruck verleihen. Diese lauten Freizügigkeit und dauerhafter Aufenthalt, noch bevor über ihren Antrag entschieden ist.

Die überwiegend türkischen Anwohner sind unzufrieden mit den neuen Nachbarn. Der Platz sei vermüllt, Frauen würden von den Afrikanern angemacht, heißt es. Bei einer Messerstecherei hat ein Türke vor einem Monat einen Sudanesen verletzt. Der Tag endete mit einem mittelgroßen Polizeieinsatz (JF 27/13).

Seitdem mehren sich die kritischen Stimmen: Die CDU fordert immer wieder die Räumung. Und auch ehemals linke Unterstützer wie Oppositionsführerin Ramona Pop (Grüne) und Klaus Wowereit (SPD) haben sich gegen das Lager ausgesprochen.

Berlin hat ein Problem mit Asylanten. Die Aufnahmekapazitäten sind erschöpft, aber es kommen immer mehr Flüchtlinge. Die Stadt ist bemüht, die Neu-Berliner auf Steuerzahlerkosten in Wohnungen unterzubringen, was die Lage auf dem Immobilienmarkt zusätzlich verschärft. Aber sie kommt nicht hinterher mit dem Anmieten von Wohnungen.

Deswegen ist der Senat auf der Suche nach leerstehenden Gebäuden. Doch wo immer ein leerstehendes Gebäude als Unterkunft genutzt werden soll, bilden sich Bürgerinitiativen wie in Charlottenburg, wo ein neues Heim in der Nähe des Messegeländes errichtet werden soll.

Oder es werden Altersheime wie das Marie-Schlei-Haus in Reinickendorf (JF 9/13) zweckentfremdet: Die deutschen Rentner dort mußten ausziehen, damit Asylbewerber aus Tschetschenien, Serbien und dem Libanon einziehen können. Die aufgebrachten Anwohner wurden mit der Behauptung beruhigt, es kämen Syrer. Wer kann schon angesichts der brutalen Bilder aus dem Bürgerkrieg in Syrien etwas gegen die Unterbringung dieser Flüchtlinge einwenden? In Wahrheit jedoch lag letzten verfügbaren Statistiken zufolge Syrien als Herkunftsland nicht auf den vorderen Plätzen.

Inzwischen spitzt sich die Lage zu. Nie wurde der Anwohnerprotest so laut vorgetragen wie jetzt in Hellersdorf. Die Debatte über das geplante Heim dominierte noch tagelang die Nachrichten, veranlaßte die Bundesspitze der Piratenpartei und sogar Klaus Wowereit zu hektischen Stellungnahmen. Der Regierende Bürgermeister Berlins richtete aus: „Neonazis machen mit ihren widerwärtigen Parolen Stimmung gegen Flüchtlinge und schüren Ausländerfeindlichkeit.“ Über die eigens angereisten, zahlenmäßig überlegenen Linksextremisten verlor er kein Wort.

Und so wie in Berlin geht es in vielen deutschen Städten. Seit das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr urteilte, daß Asylbewerber genauso hohe finanzielle Zuwendungen bekommen müssen wie normale Sozialhilfebezieher, explodieren die Bewerberzahlen. Ohne daß sich die niedrige Anerkennungsquote von weniger als zehn Prozent geändert hätte.

Um 86 Prozent ist die Zahl der Asylbewerber im ersten Halbjahr 2013 gestiegen. Die Aufnahmelager platzen aus allen Nähten. In München sorgte der Hungerstreik von Asylbewerbern auf dem Rindermarkt für Schlagzeilen. Die Stadt hat das Lager räumen lassen. In Köln versuchten aufgebrachte Demonstranten aus Solidarität mit den Asylanten ein WDR-Studio zu besetzen. Erfolglos. Auch in Hamburg ist die Lage angespannt. Die Hansestadt will bis 2014 1.900 zusätzliche Plätze schaffen, und zwar auch in besseren Wohngegenden wie Sülldorf. Doch genau in solchen Stadtteilen ist mit Widerstand von Nachbarn und Gewerbetreibenden zu rechnen. Gerade erst hat eine Geschäftsfrau vor Gericht ein Verbot für ein geplantes Heim durchgesetzt.

In Berlin hat sich nun Bundespräsident Joachim Gauck für die Asylbewerber stark gemacht. Er hat am Sonntag den Gottesdienst der Kirchengemeinde in Hellersdorf besucht und dabei Solidarität mit Flüchtlingen angemahnt, berichtet der Tagesspiegel unter Berufung auf Teilnehmer.

Für diese Botschaft sind die Anwohner des geplanten Heims nicht besonders empfänglich. Im Gegenteil. Auf der Anwohnerversammlung am 9. Juli sprach sich eine Hellersdorferin im weißen Sommerkleid zwar prinzipiell für Asyl aus, regte sich dann aber über Politiker auf, die die Bürger mit den Problemen allein ließen. „Sie sitzen dann beim Bier im Garten und lachen über uns. Ich hoffe, diese arrogante Haltung bricht Ihnen das Genick.“ Es gab kaum jemanden, der mehr Applaus für seinen Redebeitrag erhielt als diese Dame. Noch lauter wurden die Beifallsstürme nur, als gefragt wurde: „Wie können wir das Asylbewerberheim noch verhindern?“

Insgesamt dreimal wurde Allert mit dieser Frage konfrontiert. Dreimal zog er sich mit ausweichendem Politsprech („Wir haben bestimmte Aufgaben in Exekutive und Legislative“) aus der Affäre. Beim letzten Mal klagte er kleinlaut: „Manchmal habe ich den Eindruck, daß gar keine Antwort gewünscht wird, weil man dann niedergeschrien wird.“ Das heißt dann wohl: Das Asylbewerberheim kann nicht mehr verhindert werden.

Foto: Sozialbürokrat Franz Allert, empörte Anwohnerin: „Es ist eine Frechheit, als Nazi hingestellt zu werden“

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