© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Zeitschriftenkritik: Der blaue Reiter
Der kleine grundlegende Unterschied
Ellen Kositza

Das Journal für Philosophie der blaue reiter erscheint seit 1995, und selten führte eine Ausgabe eine so dezidierte Frage im Titel wie die aktuelle Nummer 33: „Denken Frauen anders?“ In zehn Interviews – ergänzt durch ein Essay, ein Simone-de-Beauvoir-Porträt der habilitierten Germanistin Hannelore Schlaffer, ein thematisches Lexikon, Kurzumfragen und Rezensionen – kommt die Crème de la Crème der Sex- und Genderforschung zu Wort. Stimmen des Gegenstroms fehlen dabei, kein Harald Seubert, keine Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und keine Claudia von Werlhof treten auf. Insofern ist die Sache nicht rund, sie eiert aber ohnedies schon gehörig.

Gemeinhin gilt ja: Die sogenannte Genderwissenschaft geht davon aus, daß „Männlichkeit“ wie „Weiblichkeit“ Konstrukte seien, sozial zugewiesene Kategorien. So radikal entbiologisiert wollen es die hier versammelten Forscherinnen und Publizistinnen nicht sehen. Motto: Was heißt schon „die Frau“, „der Mann“ im Zeitalter des Individualismus? Die Bandbreite innerhalb der Geschlechter ist so groß!

Barbara Sichtermann, die vor dreißig Jahren großartige Essaybände über die Notlügen des Feminismus, gegen emanzipatorischen Dogmatismus und die einhergehende intellektuelle Langeweile geschrieben hat, findet es nun, hört!, „wichtig, daß Männer aufhören, Frauen auf ihr Geschlecht zu reduzieren“. Das „jahrhundertealte Denkverbot für Frauen“ habe Spuren hinterlassen, die doch bitte nicht zu einer „nachhaltigen Verallgemeinerung“ von Denkstilen führen solle. Ähnlich winden sich die meisten der hier zu Wort kommenden Autoren um die Frage eines grundlegenden Unterschieds und berufen sich auf die historische Hypothek der Ungleichbehandlung. Auch weil die Redakteure durchgehend hart an der Sache und nicht konsensorientiert fragen, ist die Lektüre ein Gewinn.

Geradezu brisant liest sich das Gespräch mit Judith Butler, der (amerikanischen) Gender-Ikone schlechthin. Butler sagt hier, daß das umstrittene Konzept der „Geschlechterrollen“ erst durch die deutsche Übersetzung ihrer Arbeiten erzeugt worden sei.

Neben rund zwei Dutzend Frauen kommen zwei Männer zu Wort, darunter Wladimir Kaminer zur Frauenquotenfrage. Kaminer kommt aus einem Land, Rußland, in dem Quotenregelungen lange zum bürokratischen, planwirtschaftlichen Alltag gehörten. „Die Quotenpolitik zeigte die Unfähigkeit des Staates, das Leben zu regeln, Quoten waren ein Zeichen seiner Krise: Wenn eine Vision nicht realisiert werden kann, wird ihr Inhalt durch eine Form ersetzt. Auf einmal werden nicht die professionellen Fähigkeiten eines Machers geschätzt, sondern ihre Zugehörigkeit zu einer Minderheit.“

Daneben: hübsche Interviews mit Alice Schwarzer, Susan Neiman, Petra Gehring und anderen. Neiman, preisüberhäufte Philosophin und Mutter dreier Kinder, sagt, mit der Quote reghettoisierten sich die Frauen. Und: „Wir müssen die Frage ‘Kind oder Beruf’ endlich erledigen. Natürlich brauchen wir keine Kinder kriegen, wenn wir nicht wünschen, sie großzuziehen oder zu beeinflussen.“

Kontakt: der blaue reiter, Siegfried Reusch e.K., Kroitzheider Weg 21, 52076 Aachen. Das Journal erscheint halbjährlich, ein Einzelheft kostet 15,90 Euro.

www.derblauereiter.de

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