© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Aus ungewohnter Perspektive
Degas, Picasso, Gauguin, Nolde, Monet, Macke: Die Münchner Ausstellung „Blickwechsel“ präsentiert bedeutende Pioniere der Moderne
Felix Dirsch

Wer dieser Tage die Münchner Neue Pinakothek besucht, findet manche ihm vielleicht vertraute Bilder nicht. Dafür hängen an diesen Stellen Gemälde, die aus der Pinakothek der Moderne stammen, welche seit kurzem wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist.

Zeit für einen Blickwechsel, der neues Sehen ermöglicht. So dachten die Münchner Kuratoren Annabel Zettel und Oliver Kase, die einen durchaus originellen Einfall hatten. Er bestand darin, die Kunstwerke des 19. Jahrhunderts – von denen Münchner Museen viele zu bieten haben – neben Exponaten mit vergleichbaren Sujets aus der Zeit um 1900 zu zeigen.

So konnte das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden werden. Besucher kommen zu einem beträchtlichen Sehvergnügen, während die Bilder gleichzeitig gut aufgehoben sind; denn dem temporären Containerbau, der für die Pinakothek der Moderne einen partiellen Ersatz bietet, fehlt es an geeigneter Klima- und Sicherheitstechnik. Selten war es möglich, so elegant zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, und inhaltlich sind die kunstgeschichtlichen Grenzen ohnehin fließend. Die Moderne mit ihren vielfältigen Ausdrucksformen kündigte sich bekanntlich bereits im 19. Jahrhundert an. Der Impressionismus eines Manets oder eines Monets ist immer noch das beste Beispiel dafür.

Für Kunstinteressierte dürfte es besonders reizvoll sein, zwei hochkarätige Sammlungen unter einem Dach zu bestaunen. Große Künstler von Max Beckmann über Paul Gauguin, Emil Nolde, August Macke, Edgar Degas bis zu Pablo Picasso finden einen Platz neben in diesem Haus gewohnten Malern wie Caspar David Friedrich, Ferdinand Georg Waldmüller, Wilhelm von Kaulbach und Karl Theodor von Piloty.

Insgesamt wurden zehn Säle umgestaltet. Am Anfang dürfte es manchem Besucher etwas schwerfallen, die Übersicht zu behalten und sich zu orientieren. Zwar sind sämtliche Objekte der klassischen Moderne mit einer stilisierten Pupille beschildert. Dennoch ist man während des Rundganges gelegentlich unschlüssig, wo die Route weitergeht und wohin sie führt.

Die Zusammenstellung bringt den schieren ästhetischen Reiz dessen näher, was man allgemein die Revolution der Moderne nennt. Häufig sind die Sujets des einen Bildes dem des „neuen“ Bildes daneben überraschend ähnlich. Kase unterstreicht, daß eine solche Auffälligkeit kaum zufällig sei; vielmehr erkenne man darin die Modernität des 19. Jahrhunderts, die teilweise einhergehe mit der traditionellen Ausrichtung der Moderne.

Ein künstlerischer Leckerbissen findet sich bereits zu Beginn der Ausstellung. Paul Klee wird als Romantiker, der er sicher war, herausgestellt. Damit ist die Zuordnung klar. Er wird in Bezug zu Caspar David Friedrich gebracht, der ebenso wie Klee Fabeln, Landschaften und Träume verarbeitete. Der mystisch-abstrakte Grundzug vieler von Klees Arbeiten ergänzt sich damit hervorragend mit dem Schaffen des großen Vorläufers, ebenso die musikalisch-poetische Ader des Künstlers. Obwohl ein Maler wie Friedrich herkömmliche Ausdrucksformen verwendet, läßt sich sein Vorgehen mit dem bekannten Motto Klees in Verbindung bringen: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“

Henri Matisses „Stilleben mit Geranien“ aus dem Jahre 1910 findet in Paul Cézanne einen neuen Nachbarn. Emil Noldes Südsee-Farbenpracht ist neben Paul Gauguins Tahiti-Szenen schön anzuschauen. Böcklins „Pan im Schilf“ (1858) ist der surrealistischen Darstellung Max Ernsts „Lebensfreude“ von 1936/37 gegenübergestellt. Bei beiden Schöpfungen kommt der visionär-psychologische Hintergrund ins Spiel und wird eindrucksvoll thematisiert.

Betrachtet man die Werke, die zu Gast sind, aus dem kurzen Zeitraum von 1900 bis 1914 – einige nachmals prominente Vertreter der Epoche fielen im Ersten Weltkrieg –, so bekommt man einen Eindruck von dem für heutige Verhältnisse kaum nachvollziehbaren schnellen Aufstieg des künstlerischen Utopismus, dem freilich ein ebenso schneller Abstieg folgte. Die Münchner Schandausstellung „Entartete Kunst“ fand nur etwas mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Fiebertraumes statt. Nicht nur zur Erkundung solcher Pendelausschläge lohnt ein Besuch der Ausstellung.

Die Ausstellung„Blickwechsel“ ist bis zum 31. August in der Münchner Neuen Pinakothek, Barer Straße 29, Eingang Theresienstraße, täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 089 / 2 38 05-195

www.pinakothek.de

Foto: Edgar Degas, Die Büglerin, um 1869; Pablo Picasso, Sitzende Frau, 1941: Zwei Fliegen mit einer Klappe

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