© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Alte Pracht und Herrlichkeit
Ein Bild-Text-Band zeigt das Berliner Schloß nicht nur von außen, sondern in eindrucksvollen, detailreichen Innenaufnahmen
Marcus Schmidt

Wer heute am Ende der Berliner Prachtstraße Unter den Linden auf der Baustelle des sogenannten Humboldt-Forums im märkischen Sand steht, kann sich nur sehr schwer eine Vorstellung von dem gewaltigen Stadtschloß machen, das hier über Jahrhunderte stand und nun in seiner äußeren Gestalt wiedererrichtet wird (JF 24/13).

Abhilfe schaffen kann da der Bildband „Das Berliner Schloß in historischen Photographien“, der jetzt im Berliner Lukas Verlag erschienen ist. Die darin versammelten, zwischen 1894 und 1944 entstandenen Aufnahmen zeigen die Hohenzollernresidenz in ihrer ganzen über die Jahrhunderte gewachsenen Pracht, unmittelbar vor der Zerstörung durch alliierte Bomben im Februar 1945 und das SED-Regime, das die Ruine des Bauwerks 1950 sprengen ließ. Neben den Fassaden und Schloßhöfen sind auf den von dem Historiker Richard Schneider für das Buch ausgewählten einhundert Bildern auch eindrucksvolle Ansichten der reich ausgestatteten Innenräume zu sehen. Den Aufnahmen vorangestellt ist eine sachkundige Einführung zur bis in die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts zurückreichenden Geschichte des Schlosses.

Der überwiegende Teil der Fotos stammt aus dem Archiv der ehemaligen Königlich Preußischen Meßbildanstalt. Die Aufnahmen sind mit dem von dem preußischen Regierungsbaurat Albrecht Meydenbauer in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts entwickelten Meßbildverfahren erstellt worden. Dieses ermöglicht es, die Maße der fotografierten Objekte, insbesondere von Gebäuden, anhand der Fotos zu ermitteln. Dafür wurde ein extra entwickelter Fotoapparat verwendet, der über eine Winkelmeßfunktion verfügte.

Im Falle des zerstörten Stadtschlosses hat sich dies als Glücksfall erwiesen. Die ab 1894 erstellten Meßbilder des Barockbaues, von denen sich Hunderte erhalten haben, spielten eine wichtige Rolle, als es galt, die Rekonstruktion der Schloßfassade vorzubereiten und die entsprechenden Pläne der Fassaden zu erstellen.

Aber auch der Betrachter des vorliegenden Bandes freut sich darüber, daß das Berliner Stadtschloß mit dem Meßbildverfahren so gründlich dokumentiert worden ist. Denn gerade weil die Bilder, die über eine besondere Tiefenschärfe verfügen, einst zu dokumentarischen Zwecken erstellt wurden, zeichnen sie sich durch große Genauigkeit und Sorgfalt aus.

Im Anhang des Bandes gibt es zu jedem Foto zudem eine ausführliche Beschreibung, die auch die Entstehungsgeschichte des betreffenden Gebäudeteils oder Innenraumes beschreibt und die kunsthistorische Bedeutung erläutert.

Die Abfolge der Bilder ermöglicht es, das Schloß beim Durchblättern quasi zu umrunden. Beginnend beim mächtigen Eosanderportal, das von der im neunzehnten Jahrhundert errichteten Kuppel gekrönt wird, über den Schloßplatzflügel und die Spreefront (den ältesten Teil des Schlosses, der nicht wieder aufgebaut wird), die beiden Schloßhöfe bis hin zur Lustgartenfront. Passend zu den jeweiligen Schloßflügeln findet sich eine Auswahl von Bildern der dortigen Innenräume.

Dabei ruft der sorgfältig gemachte Band zwiespältige Gefühle hervor. Zum einen Vorfreude auf die barocke Fassade, deren Rekonstruktion jetzt angelaufen ist, und von deren architektonischer Qualität man sich hier bereits einen Eindruck machen kann. Zum anderen stellt sich Wehmut ein beim Blick auf die einst prächtigen Innenräume, die unwiederbringlich verloren sind, obwohl noch zahlreiche Ausstattungsstücke erhalten sind, wie kürzlich der Kunsthistoriker Guido Hinterkeuser in seinem Band über die erhaltene Innenausstattung nachgewiesen hat (JF 29/12).

Diese Beklemmung steigert sich beim Anblick der wenigen Aufnahmen, die aus den vierziger Jahren stammen und bereits im Angesicht der drohenden Zerstörung des Schlosses angefertigt wurden, um die Grundlage für einen möglichen Wiederaufbau zu schaffen. Es sind die wohl letzten professionellen Aufnahmen des damals noch weitgehend unversehrten Schlosses vor seiner Vernichtung.

Richard Schneider: Das Berliner Schloß in historischen Photographien. Lukas Verlag, Berlin 2013, gebunden, 157 Seiten, 103 Abbildungen, 29,80 Euro

Fotos: Südwestecke des Berliner Schlosses, Blick aus der Brüderstraße, 1913: Bezugspunkt und Maßstab für die historische Mitte Berlins; Konzertzimmer, Blick nach Westen, 1916; Großes Treppenhaus, Skulptur an der Decke des Mittelraums, 1944; Kleiner Schloßhof, nach Norden, 1913; Die Weiße-Saal-Treppe, Aufgang zur Schloßkapelle, 1916 (l.); Rittersaal, Blick nach Osten, 1916: Es stellt sich Wehmut ein angesichts der prächtigen Innenräume, die unwiederbringlich verloren sind

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