© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Gleichgeschlechtlichkeit und Adoption
Die Zeche zahlen die Kinder
Andreas Lombard

Das Eigene ist stets konkurrenzlos, weil es eben das Eigene ist. Die eigenen Eltern können nur in Gedanken ausgetauscht werden. Wenn das Kind, das sich zu anderen Eltern hindenkt, wirklich andere Eltern hätte, wäre es auch ein anderes Kind. Das Eigene ist nicht austauschbar. Auch dann nicht, wenn es mit schmerzhaften Erfahrungen und Mängeln behaftet ist. Solche Mängel anzunehmen, mit ihnen zu leben und sie nicht wegzulügen – das gehört zu unseren lebenslangen Herausforderungen. Nur an ihnen können wir wachsen.

Den gleichgeschlechtlichen Paaren wird neuerdings ein „Recht auf Kinder“ zugesprochen, das mit einem Weglügen einhergeht. Denn es verführt dazu, von homosexuellen „Eltern“ zu sprechen, obwohl im Falle eines gleichgeschlechtlichen Paares im biologischen Sinne höchstens einer der beiden der Vater bzw. die Mutter sein kann. Und nicht nur das. Scheidungskinder, Kuckuckskinder und Halbwaisen, die ein Elternteil entbehren müssen, galten bislang als bedauernswert. Auf einmal darf ihr trauriges Schicksal eigens herbeigeführt werden, um gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern auszustatten. „Elter 1“ darf ein Kind machen, dem der Kontakt zu „Elter 2“ vorsätzlich verwehrt wird. Noch gibt es den alle Länder und Zeiten übergreifenden menschlich-kulturellen Konsens, der das als grausam erkennt.

Aber nicht nur die „halbe“, meist künstliche Elternschaft Homosexueller ist problematisch, sondern auch die Adoption. Daß beides auf dem Vormarsch ist, macht die Sache nicht besser. Karl Sibelius, Intendant des Theaters an der Rott und „Friedensforscher“, zieht bereits mit seinem Lebensgefährten ein Adoptiv- und ein Pflegekind auf. Im österreichischen Fernsehen erklärte er im November vergangenen Jahres: „Es ist ein ganz harter Kampf, wenn homosexuelle Paare Familie leben wollen, und das Recht haben sie, und das Recht lassen sie sich auch nicht nehmen.“ Es geht um das große Wort „Recht“. Es geht darum, daß Herr Sibelius aus dem, was er tut, einen Anspruch ableitet, den potentielle Adoptiveltern grundsätzlich nicht haben.

Herr Sibelius bekräftigt seinen Anspruch damit, daß es ja so viele Kinder gebe, „die schlicht und einfach Hilfe brauchen“. Für Pflegekinder stimmt das, für Adoptivkinder nicht. Es mag in Einzelfällen besser sein, daß ein Kind bei einem homosexuellen Paar statt in einem Heim aufwächst. In Wahrheit geht es aber nicht um elternlose Kinder, sondern um kinderlose Eltern. Was wäre anders, wenn es um elternlose Kinder ginge? Dann hätte das Kindeswohl den eindeutigen Vorrang und nicht die künstliche Verwirklichung abstrakter Gleichheitsideen. Die Frage nach dem Kindeswohl wird von den Befürwortern der Gleichstellung in der Regel gar nicht erst gestellt. Wenn andere die Frage stellen, wird sie für überflüssig erklärt. Das Gleichheitsdenken ist ein sprudelnder Nominalismus, aus dem sich schlechthin alles deduzieren läßt, was Homosexuelle für vorteilhaft halten.

Wenn es um das Kindeswohl ginge, würde man wenigstens berücksichtigen, daß eine Ersatzmutter und ein Ersatzvater für die seelische Entwicklung eines Kindes im allgemeinen besser geeignet sind als zwei Ersatzväter, die ein Problem mit Frauen haben. Oder besser als zwei Ersatzmütter, die ein Problem mit Männern haben. Einfach besser – im Fall der Wahl. Aber nichts wird in dieser Debatte (gibt es überhaupt eine?) so heftig abgewehrt und verteufelt wie ein noch so gut begründetes Ranking in „besser“ und „schlechter“. Oder, wie der Psychiater Christian Spaemann in derselben Diskussionsrunde sagte: Nur weil es zeitgemäß ist, bei McDonalds zu essen, ist es noch lange nicht gesund. Natürlich wurde diese Analogie vom homosexuellen Ziehvater Sibelius als Beleidigung empfunden.

Warum er keine eigenen Kinder hat, das erfuhr der Zuschauer von Herrn Sibelius allerdings nicht. Großmütig verkündete er, daß er keine Leihmutter in Anspruch nehmen wolle. Mehr hat er nicht verraten. Das Recht auf Familie erspart ihm die eigentlich interessante Auskunft. Und ehe wir uns versehen, erspart es uns die Frage nach dem eigentlichen Problem. Herr Sibelius zieht es vor, anzuklagen und zu fordern. Aber sein Recht auf Familie beruht auf einem Irrtum. Es gibt kein Recht, „Familie zu leben“, weil es, wie Christian Spaemann betont, kein Recht auf Kinder gibt. Offenbar gibt es aber eine große Versuchung, aus einem ureigenen Defizit, nämlich aus der Kinderlosigkeit homosexuellen Lebens, mit Buchungstricks und viel Getöse ein Defizit der „homophoben“ Gesellschaft hervorzuzaubern. Plötzlich ist sie es, die den Homosexuellen „ihre“ Familie, ja „ihre“ Kinder verweigert: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.“

So lautete bekanntlich der Titel eines vom WDR in Auftrag gegebenen Films von Rosa von Praunheim aus dem Jahre 1971. An dieser einprägsamen Umkehrung können eigentlich nur die Homosexuellen ein Interesse haben. Hätte man im Sinne des nominellen Gleichheitsanspruchs oder im Sinne eines Weder-Noch gleichgezogen („Wir sind nicht pervers, und ihr seid es auch nicht“), hätten auch die politischen Forderungen ermäßigt werden müssen. Dann hätte man sich auseinandersetzen und miteinander reden müssen. Darum geht es aber nicht. Es geht nicht darum, die anderen zu verstehen, sondern darum, das vielleicht schmerzlichste Defizit homosexuellen Lebens nicht länger aushalten zu müssen. Dazu muß die Grundspannung zwischen dem Homosexuellen und der „Situation“ erhalten bleiben. Und damit sie erhalten bleibt, wird die Anklage umgedreht, und um sie umzudrehen, werden nach Kräften die normalen Leute diskriminiert. „Pervers“, so scheint es dann, ist die Situation, und schuld sind die anderen. Endlich ist es soweit: Die Geburtslüge der Schwulenbewegung beginnt sich auszuzahlen.

Wer Reparationszahlungen für politische Schuld fordert, denkt gern in Generationen. Er legt es auf unbefristete Einzugsermächtigungen an: „Sollen sie doch besorgen, was ich nicht kann“, könnte es etwa heißen, selbst wenn damit nur der kinderzeugende Beischlaf gemeint wäre. Oder, wie ein Homosexueller einmal herablassend über seinen Bruder sagte, einen werdenden Vater: „Wenn er sich denn dieser Aufgabe unbedingt annehmen will ...“ Da der homosexuelle Mann meist keine Lust auf Frauen hat, soll jener normale Mann sie ihm abnehmen, dem der Homosexuelle seine „perverse“ Situation verdankt. Dabei gibt es viele Homosexuelle, die auf ganz natürlichem Wege Vater oder Mutter werden. Worüber reden wir eigentlich? Kann der Homosexuelle keine normale Familie gründen – oder will er es nicht? Die einfachste aller Fragen wird überhaupt nicht gestellt. Egal, das Defizit soll nicht sein. Es muß verschwinden, es muß ausgeglichen werden.

Das hilft bekanntlich nur vorübergehend. Die echte Elternschaft bleibt wahrscheinlich trotz Adoption das schmerzlich verfehlte Ziel der Sehnsucht. „Ich spiele nicht die Mama, ich bin die Mama“, rief Herr Sibelius insistierend, und als Christian Spaemann ihm widersprach, wechselte er rasch aufs andere Ufer: „Dann bin ich halt der Papa. Aber ich bin die Hauptbezugsperson.“ Was denn nun? Mama, Papa oder Hauptbezugsperson? Herr Sibelius wäscht die Windeln, er bringt Geld nach Hause, und er geht mit den Kindern in sein Theater. Aber es sind nicht seine leiblichen Kinder, und sie werden es nie sein. Herr Sibelius kann die leiblichen Eltern niemals vollständig ersetzen. Diese Tatsache wäre demütig anzuerkennen. Den Kindern wäre die Unersetzlichkeit ihrer leiblichen Eltern nicht auszureden.

Wo die zur Zeugung fähige Liebe fehlt, soll künftig der Staat für die Folgenlosigkeit haften. So wird etwa gefordert, daß er den Lesben die künstliche Befruchtung bezahle und ihre gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerinnen automatisch als zweiten Elternteil anerkenne. Die entsprechenden Anbieter dürften sich die Hände reiben, und wenn sie schlau sind, wovon man ausgehen darf, dann haben sie die Forderung von Anfang an nach Kräften unterstützt. Der Staat, der sich darauf einläßt, wird auch die Leihmutterschaft finanzieren und wenigstens indirekt legalisieren müssen.

Das Fordern erspart den Homosexuellen die Trauer um das Nichtgelebte. Die Trauer wäre ihre Privatangelegenheit. Vielleicht ersparen sie sich mit ihrer Anspruchshaltung aber auch bloß die narzißtische Kränkung, etwas nicht zu bekommen, was für die meisten anderen Menschen beglückende Folge ihrer Sexualität ist: ein eigenes Kind. Dafür kann jetzt der männliche Homosexuelle die normalen Männer und Familienväter, wo er sie schon nicht als Sexualpartner „kriegt“, mit öffentlicher Unterstützung vorführen: „Seht her, es geht auch ohne euch!“ Die Familienväter dagegen verzichten in der Regel für ihr Familienleben auf die nervöse Promiskuität vieler männlicher Homosexueller. Und wenn sie keine Familie haben, unterstützen sie vielleicht die Homosexuellen, weil sie sich dann mit ihrer Kinderlosigkeit weniger allein fühlen.

Es geht hier vor allem um den homosexuellen Mann, der öffentlich und aus Prinzip dazu ermuntert wird, vor der Tatsache wegzulaufen, daß jede Entscheidung für einen bestimmten Lebensweg eine Entscheidung gegen einen anderen Lebensweg einschließt. Daß jedes Tun ein Nichttun bedingt. Wieviel Realismus gibt ein homosexueller Vater seinem Adoptivkind für das weitere Leben mit, der dieses Kind dazu benutzt, sich selbst in die Tasche zu lügen? Man muß nicht behaupten, daß es den Zöglingen des Herrn Sibelius schlecht ginge, um die Aggressivität zurückzuweisen, mit der die manifeste Andersartigkeit homosexueller Lebensführung zu einer angeblich gleichen Normalität zurechtgelogen wird.

Der neue politische Wille, dem Homosexuellen die gewiß anstrengenden, aber ziemlich gewöhnlichen Enttäuschungen des menschlichen Lebens zu ersparen, heißt, ein Privileg schaffen, das weitere Begehrlichkeiten zeugt. Das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare wird die Diskrepanz zur natürlichen Familie genausowenig beheben wie das Adoptionsrecht für Einzelpersonen, das auch bisher schon Homosexuellen die Adoption ermöglicht hat.

Früher oder später wird sich das Ungenügen rühren, das daher kommt, daß auch die Adoptivkinder nicht die eigenen Kinder sind. Spätestens dann, wenn sie aufbrechen, ihre richtigen Eltern zu suchen. Die Aggressivität, mit der Forderungen auf Forderungen getürmt werden, statt innezuhalten und die Konsequenzen des eigenen Lebensstils anzunehmen, deutet darauf hin, daß jedes neu errungene Recht auch neue Defizitgefühle mit sich bringt und daß die Ruhe der Normalität nie eintreten wird. Das liegt aber nicht an einer vermeintlich perversen Situation, sondern an der Andersartigkeit der Homosexualität. Genauer gesagt, liegt es daran, daß man an dem anstrengenden Nebeneinander von andersartiger Homosexualität und normaler „Situation“ grundsätzlich nicht viel ändern kann, ohne die Kosten, die am Ende alle tragen, vorübergehend auf die jeweils andere Seite abzuwälzen.

Namentlich das Adoptionsrecht und die künstliche Befruchtung eröffnen Phantasiewelten, deren finanzielle und psychosoziale Kosten man erst in ferner Zukunft bilanzieren wird. Staat und öffentliche Meinung scheinen gewillt, aus eigenem Macht- und Regulierungsbedürfnis beide Augen zuzudrücken und sich zu beeilen, für immer mehr „Gleichheit“ zu sorgen: auf Kosten ungleicher Kinder, die mindestens einen eigenen Elternteil entbehren werden, und ungleicher (Leih-)Mütter, die ob ihrer Armut als Gebäranstalten herhalten. Der stets vorauseilende Homophobie-Vorwurf wird die womöglich unwillige Mehrheitsgesellschaft immer wieder daran erinnern, daß die Bringschuld grundsätzlich bei ihr läge. Das wird den Unwillen und die Gegenwehr auf Dauer aber nur steigern. Und nach jeder neuen Gleichstellungsmaßnahme wird die verbleibende Ungleichheit die Homosexuellenaktivisten um so mehr schmerzen.

Das alles sollte man nicht überbewerten. Vielleicht erledigt es sich sogar von selbst. Denn für das künftige Leben sorgen besser die natürlichen, traditionellen Familien. Deren Kinder haben, wie Spaemann sagt, statistisch gesehen die besten Aussichten, selbst eine Familie zu gründen. Eine eigene Familie mit eigenen Kindern und Enkeln.

 

Andreas Lombard, Jahrgang 1963, war von 1997 bis 2007 Mitarbeiter der Berliner Zeitung. Der studierte Philosoph gründete 2005 den Landt Verlag (gehört seit 2010 zur Manuscriptum Verlagsbuchhandlung) und arbeitet als freier Journalist und Autor. Bei seinem Beitrag handelt es sich um die gekürzte Fassung des Aufsatzes „Herr Sibelius ist Mutter geworden“ aus der Zeitschrift Die Neue Ordnung, Heft 3/2013. Weblog: www.die-entdeckung-des-eigenen.de

Foto: Familienglück beim Gay Pride in Paris: Reparationszahlungen für politische Schuld?

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