© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Weg von der Wegwerfgesellschaft
Ugo Bardis Kassandrarufe über die Grenzen des Wachstums / Ressourcenerschöpfung unausweichlich?
Christoph Keller

Stärker als je zuvor tendiert die Menschheit gegenwärtig zu beschleunigtem Wachstum der Bevölkerung, rascherer Nutzung von Boden, Steigerung von Produktion, Verbrauch und Erzeugung von Schadstoffen“, warnte die Studie über die „Grenzen des Wachstums“. Die vom Club of Rome initiierte und von der VW-Stiftung geförderte Analyse am Massachusetts Institute of Technology brachte die westliche Untergangsstimmung vor der ersten Ölkrise 1973 auf den Punkt. Doch der Ölpreis halbierte sich wieder, die Kassandrarufe der 17 Wissenschaftler um Dennis Meadows und Erich Zahn schienen vergessen. Als die New Economy dann ein postindustrielles Wachstumszeitalter versprach, galten die Warnungen der sich um „die Zukunft der Menschheit“ sorgenden Clubmitglieder nur noch als wissenschaftlich drapierte Panikmache von „Feinden des Fortschritts“.

Durch den Aufstieg energiehungriger und konsumfreudiger Schwellenländer und die Klimadebatte sowie die anhaltende Weltfinanzkrise gewinnt der Diskurs über knappe Ressourcen ungeahnte Aktualität. Argumente liefert das neue Buch „Der geplünderte Planet“ von Ugo Bardi. Der in Florenz lehrende Chemiker, der sich in seinem Blog „Cassandra’s Legacy“ als Verteidiger des Club of Rome profiliert hat, ist überzeugt, daß trotz Fehlern im Club-Bericht und seinen 32 Fortschreibungen dennoch treffsichere Szenarien für die Zukunft der Menschheit entstanden seien (JF 37/11).

Auf diesem Fundament baut Bardi weiter. Sein Buch ging als 33. Bericht in die Publikationsreihe des Clubs ein. Der Italiener konzentriert sich dabei auf die sich erschöpfenden Mineralressourcen, für die gelte: „Die Grenzen des Wachstums rücken näher.“ Um die eigenen Analysen abzusichern, hat Bardi Kollegen eingeladen, ihn mit ihrem Sachverstand zu unterstützen. So präsentiert er Ausblicke zur realisierbaren Verfügbarkeit von Öl und Kohle, über Uran, Edelmetalle, Lithium, Kupfer, Nickel oder Zink bis hin zu Seltenen Erden (JF 45/12). Diese lexikalischen Zusätze ergänzen Beiträge über die „gegenwärtigen Trends der Ausbeutung des Planeten“, über die Methodologie zuverlässiger Prognostik, die umstrittene Erdöl- und Erdgasförderung mittels Fracking (JF 11/13), die Bodenversiegelung und Aspekte der Werkstoffrückgewinnung.

Den Tenor gibt Bardi mit einem Beispiel vor, das auch notorische Optimisten nachdenklich macht: die Walölproduktion im 19. Jahrhundert. Dabei sind die großen Meeresäuger sogar ein „nachwachsender Rohstoff“, nur ließen die auf kurzfristigen Profit fixierten Walfänger den Meeressäugern keine Zeit zur Regeneration. So hätten sie die Bestände rasch erschöpft. Die Fischindustrie – Stichwort Kabeljau oder Russischer Stör – biete aktuelle Belege für den „Lebenszyklus“ bei der Ausbeutung natürlicher Ressourcen: Er beginne und ende bei der Nullproduktion.

Die bei wichtigen Rohstoffen absehbare Ressourcenerschöpfung weise fatale Ähnlichkeiten mit der Walöl-Malaise auf. Beim Erdöl sei das Fördermaximum („Peak Oil“) in den Ölstaaten bereits überschritten, was wegen der Propaganda der Ölbranche aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt wurde. Noch weniger präsent seien die abschüssigen Bahnen der Mineralgewinnung. So dürften die abbaubaren Reserven von Zink und Nickel, den „Großen“ unter den industriellen Nicht-Eisenmetallen, zwischen 2050 und 2120 enden. Die Entwicklung lasse sich, wie Philippe Bihouix vom Pariser Institut Momentum ausführt, am Rückgang des Zinkgehalts in den seit 2000 abgebauten Erzen ablesen. Zudem stünden wichtige Zinkbergwerke in Kanada und Australien vor der Schließung.

Neue Techniken wie die Hydrometallurgie würden die Lage bei Nickel entspannen, aber das für rostfreien Stahl unabdingbare Legierungsmetall lasse sich damit auf höchstens hundert Jahre strecken. Ebenso düstere Perspektiven zeichnet der portugiesische Physiker Rui Namorado Rosa beim Kupfer. Seit 1992 werde mehr von dem Halbedelmetall gefördert als gefunden. Seit 1982 seien nur noch 56 bedeutende Vorkommen entdeckt worden. Viele große Kupferminen dürften sich bald erschöpfen, nur sieben der 28 größten Minen der Welt gelten als erweiterbar. Ein Kilogramm Kupfererz enthalte oft nur ein halbes Prozent Kupfer. Für ein Kompaktauto, so rechnet Bardi vor, würden aber 50 Kilogramm Kupfer benötigt. Nicht nur der so anfallende Abraum beim Bergbau sei problematisch, die Aufbereitung der Rohstoffe verschlinge zehn Prozent der globalen Energieproduktion.

Im Schatten der populären Diskussion um Ölpreise oder Seltene Erden spitze sich auch die Lage beim Phosphor zu. Angesichts von dessen Bedeutung als landwirtschaftlicher Dünger, könne das Metalloid nach Ansicht des kanadischen Ökologen Patrick Déry ohne Übertreibung als „wichtigstes mineralisches Handelsgut der Welt“ eingestuft werden. Ohne diesen „Flaschenhals des Lebens“ blieben unsere Teller leer. Beunruhigen müsse daher, daß einst bedeutende Förderareale wie die bis 1920 zu Deutsch-Neuguinea gehörende Pazifikinsel Nauru nichts mehr hergeben. In den USA habe sich die Phosphatfördermenge seit 1980 halbiert. Auf der Grundlage heutiger Daten werde der „Phosphat-Peak“ um 2050 erreicht.

Spätestens dann müßten Felder wieder mit Exkrementen gedüngt werden. Stecken doch allein in den Ausscheidungen der Deutschen 200.000 Tonnen Phosphor – die Hälfte der Menge, die heute Deutschland importiere. Auch in anderen Bereichen ist sparsamerer Umgang mit Rohstoffen, verbesserte Wieder- und Mehrfachverwertung und die Suche nach Ersatz das Gebot der Stunde.

Wird bei Déry immerhin ein Ausweg aus der Ressourcen-Sackgasse sichtbar, bleibt er bei einem anderen Heilsversprechen versperrt: beim Leichtmetall Lithium, dem wichtigsten Rohstoff für die Akkus der Elektromobilität. Denn, so rechnet die Industrieökologin Emilia Suomalainen (Universität Lausanne) vor, bei einer politisch diktierten jährlichen Zunahme von zehn Prozent E-Autos mit Lithiumbatterien reichten die globalen Ressourcen kaum bis 2060.

Würde zudem der „Zusammenbruch des Ökosystems“ als Folge der Erderwärmung berücksichtigt, dann könnte sich die Menschheit sogar glücklich preisen, wenn sie im 22. Jahrhundert nur auf das Lebensniveau der alten Agrargesellschaften zurückfiele. Gelinge hingegen eine „Energiewende“ mit einer signifikanten „Wachstumsrücknahme“, und erhielte sich der moderne Mensch zudem seine technischen Fähigkeiten, bestehe jedoch Hoffnung, nach „großen Veränderungen“ nicht in jene Elendszeiten zurückkatapultiert zu werden, denen er erst vor 250 Jahren langsam entkommen sei.

Blogs und Informationen von Ugo Bardi cassandralegacy.blogspot.de/ www3.unifi.it

Ugo Bardi: Der ge-plünderte Planet –Die Zukunft des Menschen im Zeitalter schwindender Ressourcen, Oekom Verlag 2013 gebunden, 360 Seiten, 22,95 Euro

Foto: Kinderarbeit in bolivianischer Erzmine: Düstere Ausblicke zur Verfügbarkeit von Energieträgern, Edelmetallen, Lithium, Kupfer, Nickel und Zink

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