© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Einfach weggesperrt
Justizskandal: Seit sieben Jahren sitzt Gustl Mollath trotz zweifelhafter Anschuldigungen in der Psychiatrie
Thorsten Brückner

Könnte es auch mich treffen? Diese Frage dürften sich viele Bayern angesichts des Streits um den seit sieben Jahren zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesenen Gustl Mollath derzeit stellen. Und das droht für die CSU-geführte Landesregierung auf der Zielgeraden des bayerischen Landtagswahlkampfs zu einem echten Problem zu werden. Anders als die Affäre um die Beschäftigung von Familienangehörigen bei zahlreichen Landtagsabgeordneten, die noch im Frühjahr die Gemüter erhitzte, besitzt der Fall Mollath eine persönlichere Dimension, die in der Bevölkerung gleichermaßen Ängste und Abscheu weckt. Das Drama um den Nürnberger Autorestaurateur begann im Jahr 2001.

Seine Frau,Vermögensberaterin bei der Hypovereinsbank, warf ihm vor, sie geschlagen und gewürgt zu haben. Mollath hat dies immer wieder bestritten und macht Schwarzgeldgeschäfte seiner Frau, auf die er gestoßen war, für die Anschuldigungen verantwortlich. Zwischen 2002 und 2003 begann Mollath deswegen auch Briefe an die Bank seiner Frau zu schicken, in denen er die Vorwürfe wiederholte. Nach einer kurzen Zwangseinweisung in eine Erlanger Psychiatrie wird Mollath im Januar 2005 zudem beschuldigt, Autoreifen zerstochen zu haben.

Weder gab es hierfür Beweise noch Zeugen. 2006 sprach ihn das Landgericht Nürnberg vom Vorwurf der Körperverletzung und der Sachbeschädigung frei. Trotzdem ordnete es die Unterbringung in einer Psychiatrie an, weil er gemeingefährlich sei. Offensichtlich wurde dabei, daß der zuständige Richter ihn bereits vor Prozeßbeginn als Irren abgestempelt hatte. So verbot er dem Angeklagten unter Androhung des Auschlusses von der Verhandlung, das Thema Schwarzgeld anzusprechen. Pikant: Bereits 2003 kam ein interner Untersuchungsbericht der Hypo-Vereinsbank zu dem Ergebnis, daß fast alle Vorwürfe Mollaths gegen die Bank und seine Frau zutreffend waren.

Erst Ende 2012 jedoch wurde der Bericht durch Recherchen des ARD-Magazins „Report Mainz“ öffentlich. Noch heute wird Mollath bei der alljährlichen obligatorischen Prüfung seiner Unterbringung vor dem Landgericht die Freilassung auch mit der Begründung verwehrt, daß er nach wie vor nicht von seinen Schwarzgeldvorwürfen ablasse.

Bei der Zwangseinweisung stützte sich der Richter zudem auf ein Gutachten, das ein Psychiater angefertigt hatte, der Mollath nie persönlich untersucht hatte und zu seinen Bewertungen nur auf Basis der Akten über den Fall gekommen war. Unbestritten ist jedoch auch, daß Mollath Dinge tat, die dem Eindruck, er leide unter Wahnvorstellungen, neue Nahrung gaben.

Während eines ersten Prozesses 2003 übergab er dem Amtsgericht Nürnberg einen Schnellhefter mit bizarrem Inhalt. Vieles darin hat mit dem Prozeß nichts zu tun. Stattdessen findet sich in dem Dossier mit der Überschrift „Was mich prägte“ eine Chronologie von seiner Geburt über den Tod des Vaters, das Massaker von My Lai, die Ermordung Martin Luther Kings, die Mondlandung, den Putsch von Idi Amin, die Demonstration von 200 Sioux-Indianern bis zum Ende seiner Ehe. Auch weitere inzwischen aufgetauchte Beweise konnten bisher keine Wiederaufnahme des Verfahrens bewirken. Zuletzt lehnte das Landgericht Regensburg im Juli eine Neuverhandlung ab. Unterdessen haben mehrere Gutachter Mollath jedoch volle Geschäftsfähigkeit attestiert. Das erste dieser Gutachten stammt bereits aus dem Jahr 2007, als ein Psychiater Mollath in der Psychiatrie in Straubing untersuchte, wo er für kurze Zeit untergebracht war.

Durch einen Untersuchungsausschuß des Landtags ist das Thema mittlerweile auf der höchsten politischen Ebene angekommen – mit allen Gefahren, die dies für die CSU birgt. Die Opposition wirft Justizministerin Beate Merk (CSU) vor, zu spät gehandelt zu haben. Nicht ganz grundlos: Merk soll nach Informationen der Süddeutschen Zeitung bereits 2011 den Brief eines früheren Freundes des mittlerweile geschiedenen Ehepaars erhalten haben. Darin berichtet dieser von einem Gespräch mit der Ehefrau Mollaths aus dem Jahr 2003: „Wenn Gustl meine Bank und mich anzeigt, mache ich ihn fertig“, soll sie damals gedroht haben. Warum hat Merk nicht reagiert und bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg nicht bereits 2011 eine Wiederaufnahme des Verfahrens gefordert? Warum ist die Staatsanwaltschaft, der der Brief ebenfalls vorlag, nicht schon zu diesem Zeitpunkt aktiv geworden?

Mittlerweile räumt Merk Versäumnisse ein und hat angekündigt, Gerichtsentscheidungen zur Unterbringung in der Psychiatrie künftig schneller prüfen zu lasen. Die Art und Weise ihrer Kommunikation sei fehlerhaft gewesen, erklärte sie gegenüber dem Münchner Merkur. Daß der Druck nun wächst und die CSU ernsthaft fürchtet, der Fall Mollath könne ihr bei der Landtagswahl am 15. September schaden, zeigte sich in den vergangenen Wochen. Erstmals in der bayerischen Justizgeschichte hat die Staatsanwaltschaft auf Druck der Justizministerin einen inzwischen vom Regensburger Landgericht abgelehnten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. Nun ist das Oberlandesgericht Nürnberg an der Reihe. Auch hier rechnen Beobachter mit einem schnellen Urteil. „Ich bin ziemlich sicher, die Entscheidung fällt vor der Landtagswahl“ zitieren die Nürnberger Nachrichten einen Justizvertreter.

Auch das Bundesverfassungsgericht ist mit dem Fall beschäftigt und will offenbar noch im August über die Verfassungsbeschwerde von Mollaths Anwälten entscheiden. Dieser muß weiter um jeden Atemzug in Freiheit kämpfen. Selbst die scheidende Landtagsabgeordnete Gabriele Pauli (fraktionslos) scheiterte vorige Woche damit, Mollath zu einem Empfang der Landesregierung mitzunehmen. Der Klinikdirektor und Mollath-Gutachter Klaus Leipziger lehnte ab.

Mollath möchte lieber ins Gefängnis, als noch weiter in der Psychiatrie bleiben zu müssen. „Die Bevölkerung hat nicht einen Funken Ahnung, was hinter diesen ach so weißen Mauern an Willkür möglich ist“, klagt er.

 

Chronologie: Der Fall Gustl Mollath

2001

Ehestreit: Im August kommt es zum Streit zwischen Gustl Mollath und seiner Frau. Angeblich soll Mollath handgreiflich geworden sein. Er bestreitet die Vorwürfe. Anzeige erstattet sie nicht.

2002

Anzeige: 15 Monate nach dem ersten Streit erstattet Mollaths Frau Anzeige. Zudem behauptet sie, stundenlang von Mollath festgehalten worden zu sein. Bereits im Mai hatte sich das Paar getrennt.

2003

Prozeß: Vor dem Amtsgericht Nürnberg beginnt im September die Hauptverhandlung gegen Mollath. Drei Monate später erstattet er Anzeige wegen Schwarzgeldgeschäften der Hypovereinsbank.

2006

Urteil: Das Landgericht Nürnberg-Fürth spricht Mollath vom Vorwurf der Körperverletzung und Freiheitsberaubung frei. Trotzdem ordnet es die Unterbringung in einer Psychiatrie an.

2012

Zweifel: Ein interner Revisionsbericht der Hypovereinsbank aus dem Jahr 2003 wird öffentlich. Daraus wird deutlich, daß mehrere von Mollaths Anschuldigungen zutreffen.

2013

Revision: Das Landgericht Nürnberg räumt handwerkliche Fehler im Urteil von 2006 ein. Dennoch weist das Landgericht Regensburg die Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens ab.

Foto: Gustl Mollath vor dem Untersuchungsausschuß des Landtages: Hoffen auf das Verfassungsgericht

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen