© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Lammerts Verhängnis
Paul Rosen

Mitten in der Sommerpause beginnt sich das Berliner Personalkarussell zu drehen. Es ist zwar noch recht lange hin bis zur Bundestagswahl und Wetten, jemand anders als Angela Merkel könnte Bundeskanzler werden, werden erst gar nicht angenommen. Aber es gibt andere schöne Staatsämter. Und so überraschte das Handelsblatt mit einer Geschichte, daß Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gar nicht in das Parlament zurückkehren könnte. Der kämpft derzeit mit anonymen Plagiatsvorwürfen und hat die Universität Bochum gebeten, seine Doktorarbeit zu prüfen.

Dem staunenden Leser wurde mitgeteilt, daß das an der Spezialität des deutschen Wahlrechts liegen könnte. Dieses sieht eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht vor und ist von den Parteien so kompliziert ausgestaltet worden, daß es fast niemand mehr versteht, aber im Ergebnis immer mehr Abgeordnete im Bundestag sind. Von bis zu 700 statt heute 620 im neuen Bundestag ist die Rede. Und da soll ausgerechnet Lammert, zweiter Mann im Staate, der auch der Regierung die Stirn bietet, nicht mehr dabei sein?

Genau das könnte passieren, wenn die CDU in Nordrhein-Westfalen zu erfolgreich werden sollte, was angesichts der Steinbrück-Schwäche der SPD nicht verwunderlich wäre. Vor vier Jahren holte die CDU in Nordrhein-Westfalen 37 Direktmandate. Sollte sie am 22. September sieben Mandate mehr holen, was durchaus möglich wäre, müßte auch Lammert den Wahlkreis Bochum I gewinnen, sonst bliebe er draußen. Denn wenn die CDU bei den Erststimmen so erfolgreich wäre, würden ihre Listenplätze nicht mehr zum Zuge kommen. 2009 lag Axel Schäfer (SPD) mit 43,3 Prozent in Bochum I klar vor Lammert mit 31 Prozent. Ein so großer Vorsprung ist kaum aufzuholen.

„Nicht allen an der Unionsspitze ist aber besonders angenehm bei dem Gedanken, Lammert noch einmal vier Jahre die Rolle des Zermonienmeisters zu überlassen“, hieß es in der Zeitung Die Welt. Vorgeworfen wird ihm, sich während der Euro-Rettungsaktionen als „überparteilichen und lehrmeisterlichen Vorkämpfer für die Rechte des Parlaments zu inszenieren“. In der Tat hat sich Lammert mit seinem Beharren auf den Parlamentsrechten und der Vergabe von Redezeit an Euro-Dissidenten wie Frank Schäffler (FDP)nicht nur Freunde gemacht. Im Gegenteil, vielen Parlamentariern erscheint die Bürde, über Rettungsschirme und Bankenunion abzustimmen, also selbstverantwortlich handeln zu müssen, als zu schwer. Schon schauen sie sich auf den bisherigen Unions-Fraktionschef Volker Kauder, dem Interesse an Lammerts Nachfolge nachgesagt wird. Auch der Name von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird genannt.

Sollte Lammert gehen, er würde fehlen, seine geschliffene Rhetorik, seine Argumentationskraft. Nachgesagt wird ihm, gelegentlich andere Meinungen zu übersehen, so daß der Besuch von Papst Benedikt im Reichstag zu dem Bonmot führte, mit dem Papst und dem Präsidenten hätten „zwei Unfehlbare“ nebeneinander gestanden.

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