© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Spalten statt Versöhnen
Ökumene: Mit ihren Thesen zu Ehe und Familie setzt die Evangelische Kirche in Deutschland die Einheit der Christen aufs Spiel
Gernot Facius

Ökumene im Mutterland der Reformation war, das liegt in der Natur der Sache, nie frei von Spannungen. Der Dialog der beiden großen christlichen Konfessionen verlief in den vergangenen Jahrzehnten stets nach gleichem Muster. Wenn es wieder mal hakte, war der Schuldige schnell ausgemacht: die römisch-katholische Kirche mit ihren dogmatischen Ansprüchen.

So war das Grummeln nicht zu überhören, als kurz vor dem Papstbesuch im Jahr 2011 der damalige Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller sich darüber beklagte, daß die evangelische Kirche immer nur Forderungen stelle und sich nicht frage, was sie selber für die Ökumene tun könne.

Müller, damals der Ökumene-Beauftragte im deutschen Episkopat, inzwischen Präfekt der römischen Glaubenskongregation und Anwärter auf die Kardinalswürde, muß sich in seiner Kritik geradezu bestätigt fühlen: durch den Disput über die evangelische „Orientierungshilfe“ zur Familienpolitik, in der von der Ehe als alleiniger Norm abgerückt und für ein erweitertes Familienbild unter Einschluß gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften plädiert wird.

Immer mehr leitende protestantische Geistliche, darunter der sächsische Landesbischof Jochen Bohl und sein Berliner Amtskollege Markus Dröge, gehen auf Distanz zu dem Papier, sie halten es für theologisch dürftig. Und draußen, in der Provinz, schüttelt man den Kopf. Der Regensburger Regionalbischof Hans Martin Weiss sagt es frei heraus: Der Text beschädige das Gespräch mit den Katholiken. Auf der Internetseite seines Kirchenkreises hat Weiss geschrieben: „Die kritischen Bemerkungen zur bürgerlichen Ehe finde ich gegenüber denjenigen, die zu ihren Ehepartnern und ihren Familien stehen und immer gestanden sind, zum Teil herabsetzend.“

Ein Riß geht also durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Ihr Leitungsgremium, der Rat unter dem Vorsitzenden Nikolaus Schneider, hätte den Schaden sehr wohl begrenzen können. Der umstrittene Text ist lediglich das Produkt einer vom Rat eingesetzten Kommission, kein Schreiben von lehramtlicher Qualität.

Der EKD-Spitze wäre es jederzeit möglich gewesen, sich davon zu distanzieren. Doch mit ihrem Ja zu der unausgegorenen „Orientierungshilfe“ haben sich die Ratsmitglieder mit der 160-Seiten-Schrift, bezeichnenderweise mit rot-grünem Umschlag, identifiziert. Empfehlungen, die Ausarbeitung einzustampfen, wurden von Schneider schlicht negiert. Etwas hilflos wirkt die permanente Berufung auf Martin Luther. Zwar nannte der Wittenberger Reformator die Ehe ein „weltlich Ding“ (kein Sakrament wie bei den Katholiken) – aber auch einen geistlichen Stand. Will die EKD davon nichts mehr wissen?

Der Ratsvorsitzende Schneider steht nun im Feuer, und es sieht nicht danach aus, daß es bald gelöscht ist. Schneiders Nachfolger als rheinischer Präses, Manfred Rekowski, provozierte den konservativeren Flügel seiner Kirche mit der Bemerkung, daß „jede Zeit ihr eigenes Eheverständnis hat“ und der Protestantismus „zu Unrecht die bürgerliche Ehe als gute Schöpfungsordnung Gottes dargestellt hat“.

Der früher im braunschweigischen Landeskirchenamt tätige Kirchenjurist Robert Fischer antwortete dem neuen Präses der rheinischen Landeskirche in idea Spektrum mit mildem Spott: „Man möchte Rekowski zurufen, er möge sich nicht wundern, daß jede Zeit auch ihr eigenes Kirchenverständnis hat, und viele Menschen eine in der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich orientierungslos erscheinende Kirche für überflüssig halten.“

Andere Kritiker drückten sich drastischer aus: Es sei zum Katholischwerden! Für sie reicht es eben nicht aus, daß die evangelische Kirche nur nachvollzieht, was in den vergangenen Jahren gesellschaftlich und rechtlich entstanden ist. Sie wünschen sich, daß ihre Kirche für etwas steht, das verlorenzugehen droht. Kirche nur als Resonanzboden für das, was gerade „in“ ist, das ist zu wenig.

Die Reaktion des ökumenischen Partners? Mehrere katholische Bischöfe haben mit ihrer Sorge über den Kurs der EKD nicht hinterm Berg gehalten, Kardinal Joachim Meisner stellte sich hinter die Forderung, die ominöse „Orientierungshilfe“ einzustampfen. Aber die Deutsche Bischofskonferenz als Ganzes hielt sich mit deutlicher Kritik nach außen zurück, obwohl sie irritiert und tief betroffen ist, wie der lutherische Ökumene-Bischof Friedrich Weber (Wolfenbüttel) bestätigte. Will man Nikolaus Schneider, mit dem ein gutes Arbeitsverhältnis besteht, nicht schaden?

Wie auch immer: Der ökumenische Dialog stößt an Grenzen. Erst die Uneinigkeit in bioethischen Fragen, jetzt die – bittere – Erkenntnis, daß von einem einheitlichen Ehe- und Familienverständnis der evangelischen und der katholischen Kirche nicht mehr ausgegangen werden kann. Dabei wäre angesichts des gesellschaftlichen und politischen Drucks, der auf Ehe und Familie lastet, ein gemeinsames Wort ein prophetisches Zeichen. Aber gerade da, wo es elementar um Gemeinschaft geht, ist das ökumenische Klima zu schwach. Hat es überhaupt noch Sinn, mit der EKD, wie sie sich aktuell präsentiert, Lehrgespräche zu führen? So fragen immer mehr Katholiken – und selbst evangelische Bischöfe zeigen dafür Verständnis.

Kein gutes Omen für die Versuche beider Seiten, die Reformationsdekade mit ihrem Höhepunkt 2017 in der Lutherstadt Wittenberg in einer gewissen Eintracht zu begehen. Ob es dazu kommt?

Um die Irritationen über den Kurswechsel der EKD in Sachen Ehe und Familie auszuräumen, wäre ein scharfer personeller Schnitt im EKD-Leitungsgremium die konsequenteste Lösung. Doch dazu wird es nicht kommen. Eine Möglichkeit zur Abwahl ist in der Grundordnung der EKD nicht vorgesehen, und die Amtszeit des derzeitigen Rates endet erst im Frühjahr 2015. Man wird sich also noch auf weitere Überraschungen einstellen müssen.

Der aktuelle Streit hat allerdings auch eine positive Seite. In der evangelischen Kirche wird wie seit langem nicht mehr kontrovers debattiert. Landeskirchen besinnen sich nun wieder auf ihre eigenen theologischen Positionen und spirituellen Eigenarten. Das erfreut nicht die Zentralisten, die aus der EKD, die bis dato nur ein Kirchenbund ist, eine bundesweite Kirche machen möchten.

 

Das sagt die umstrittene Orientierungshilfe:

„Angesichts starrer Geschlechterrollen und Moralkonzepte fehlte es vor allem Frauen an eigenen Entfaltungsmöglichkeiten. Heute wissen wir: Ein Verständnis der bürgerlichen Ehe als göttliche Stiftung und der vorfindlichen Geschlechter-Hierarchie als Schöpfungsordnung entspricht weder der Breite biblischer Tradition noch dem befreienden Handeln Jesu, wie es die Evangelien zeigen. Wohl aber kommt bereits in der Schöpfungsgeschichte zum Ausdruck, daß Menschen auf ein Gegenüber angewiesen sind, an dem sich die eigene Identität entwickelt. In diesem Sinne ist die Ehe eine gute Gabe Gottes, die aber, wie das Neue Testament zeigt, nicht als einzige Lebensform gelten kann.“

„Nicht erst seitdem das Zerrüttungsprinzip im Ehe- und Familienrecht eingeführt wurde, haben Generationen von Paaren sich aus Anlaß ihrer kirchlichen Trauung mit der Frage auseinandergesetzt, ob sie einander tatsächlich Treue für ein ganzes Leben versprechen könnten. (...) Die enge Verbindung von Ehe und Familie, wie sie auch die Auslegung des Grundgesetzes lange Zeit leitete, wird in der Trauagende biblisch begründet. Dabei konnte leicht übersehen werden, daß die Bibel im Alten und Neuen Testament das familiale Zusammenleben in einer großen Vielfalt beschreibt: Nach heutigen Begriffen gibt es Patchwork-Konstellationen (...). “

„Aus dem evangelischen Verständnis erwächst eine große Freiheit im Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen, die angesichts der Herausforderungen der eigenen Zeit immer wieder neu bedacht und oft auch erst errungen werden muß. Das zeigt sich im Umgang mit Scheidungen und Geschiedenen genauso wie mit Alleinerziehenden oder auch mit gleichgeschlechtlichen Paaren. Gesellschaftliche Emanzipationsprozesse haben die Ordnungen von Ehe und Familie ebenso verändert wie Geschlechterrollen, Beziehungen und Konventionen.“

 

Ökumenische Kritik

Ökumene steht für das Bestreben nach Einheit der in verschiedene Glaubensrichtungen und Kirchen gespaltenen Christenheit. In Deutschland sind die wesentlichen Glaubensgemeinschaften in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) zusammengeschlossen.

Die römisch-katholische Kirche ist nicht das einzige ACK-Mitglied, das Kritik an der „Orientierungshilfe“ übte. So warf der Bischof der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), Hans-Jörg Voigt, der EKD vor, sie habe die Kirche verunsichert.

Unterdessen regte sich Unmut auch in der Politik: Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU kritisierte, das EKD-Papier habe „durch einen oft befremdlichen und von ‘Gender’-Begrifflichkeit geprägten Sprachstil das klare biblische Gesamtzeugnis von der besonderen Hochschätzung der Ehe vernebelt“.

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