© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Der einstige Riese taumelt
Krise bei Siemens: Vorstandschef Löscher muß Finanzvorstand Kaeser weichen / Innovationen fehlen
Christian Schreiber

Am Ende hatte der Mohr seine Schuldigkeit getan. Die vermeintliche Traumehe der deutschen Wirtschaft zwischen dem Traditionskonzern Siemens und dem österreichischen Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher ist zu Ende. Sie hielt sechs Jahre, was für den polyglotten Manager aus Kärnten eine lange Verweildauer ist. Seine vorangegangenen Vorstandsgastspiele bei US-Pharmakonzernen währten kürzer. Die Scheidung von Siemens artete am Ende gar zu einem öffentlichen Rosenkrieg aus.

Vor allem sein designierter Nachfolger, der bisherige Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser hatte sich den Zorn seines Chefs zugezogen. Löscher kippte in der vergangenen Woche die Renditeprognose für 2014 und korrigierte sie weit nach unten. Dies ist nicht nur bei den Aktionären auf Mißfallen gestoßen, sondern auch bei den Vorstandskollegen.

Die Börsen-Zeitung berichtete, Kaeser habe das von Löscher ohne Vorwarnung gekippte Renditeprogramm bereits im Frühjahr intern heftig kritisiert. Ursprünglich wollte der deutsche Technologieriese im laufenden Jahr bis zu fünf Milliarden Euro verdienen. Auch die avisierte Wiederholung des Vorjahresumsatzes von 78,5 Milliarden Euro kann nach Konzernangaben wohl nicht mehr wiederholt werden. Für den Aufsichtsrat war das Maß am vergangenen Wochenende damit voll. Laut verschiedenen Medienberichten sollen zwischen Löscher und dem Vorsitzenden des Kontrollgremiums, Gerhard Cromme, die Fetzen geflogen sein. Der hatte seinen ehemaligen Weggefährten intern scharf kritisiert. Seit seinem Amtsantritt vor sechs Jahr hatte der sich nun zum sechsten Mal bei den Geschäftsaussichten verschätzt. An der Börse blieb dies nicht ohne Folgen, die Siemens-Aktie verlor während der vergangenen Woche in der Spitze sieben Prozent.

Nach übereinstimmenden Medienberichten soll Löscher intern die schwache Konjunktur in vielen Ländern für die schlechtere Entwicklung verantwortlich gemacht haben. Die Wirtschaftswoche und die Börsen-Zeitung berichten dagegen von zahlreichen hausgemachten Problemen, die das Siemens-Geschäft beeinträchtigt hätten. So mußte der Münchner Konzern unlängst neuerliche Probleme mit Windkraftanlagen einräumen, diesmal nicht auf hoher See, sondern auch auf dem Festland in den USA. Bereits im Mai ereignete sich in einem Windpark in Kalifornien ein Unfall, bei dem sich ein Rotorblatt löste und zu Boden stürzte.

Daraufhin wurden alle Anlagen der gleichen Baureihe einer Überprüfung unterzogen, wobei teilweise Mängel festgestellt worden seien. Diese beträfen aber nur eine geringe Anzahl, beeilte sich zwar ein Konzernsprecher zu versichern, aber kostenintensiv wird die Angelegenheit allemal. Die zusätzlichen Ausgaben werden auf rund 100 Millionen Euro geschätzt. Bereits in den eineinhalb Jahren zuvor hatte Siemens Probleme mit den Windkraftanlagen in der Nordsee, was das Unternehmen stattliche 682 Millionen Euro gekostet hat. Es war nicht die einzige Pleite, die Löscher in den vergangenen Jahren erleben mußte. Vor allem mit Übernahmen hatte der völlig branchenfremde Master of Business Administration wenig Glück.

Das ohne klares Konzept zusammengekaufte Solarprogramm erwies sich als Mega-Flop. Im Juni wurde bekannt, daß der Konzern die Sparte wieder schließen werde. „Das erst vor vier Jahren gestartete Solarabenteuer dürfte Siemens am Ende rund eine Milliarde Euro gekostet haben“, kommentierte die ARD-Tagesschau bissig. Ein Käufer für das Verlust-Segment wurde bislang nicht gefunden. Wenig Glück hatte Löscher auch mit den versprochenen ICE-Zügen für die Deutsche Bahn. Deren Auslieferung verzögert sich mindestens um ein Jahr, für das stolze Unternehmen eine riesen Blamage.

Für den Aufsichtsratschef Cromme war nun der Zeitpunkt des Handelns gekommen. Der gut dotierte Siemens-Posten ist für den ehemaligen Spitzenfunktionär der deutschen Wirtschaft das letzte öffentlichkeitswirksame Amt. Der Jurist Cromme hatte den Stahlkonzern Thyssen-Krupp geformt, mußte aber dort nach Verlusten in Milliardenhöhe im Frühjahr als Aufsichtsratschef zurücktreten. Wohl um seinen Siemens-Posten nicht zu gefährden, hat er nun seinen Freund Löscher geopfert. Schließlich wurden und werden Josef Ackermann, ehemaliger Vorstandschef der Deutschen Bank, seit längerem Ambitionen auf Crommes Posten nachgesagt.

Löscher selbst wehrte sich bis zuletzt gegen seinen Rauswurf, soll sogar mit rechtlichen Schritten gedroht haben. Sein Vertrag wäre ursprünglich noch bis 2017 gelaufen, als Abfindungen winken ihm vermutlich zwischen neun und zwölf Millionen Euro. „Mir geht es nicht ums Geld, sondern um die Ehre“, zitierte die Süddeutsche Zeitung Löscher zu Wochenbeginn. Schließlich hatte der Österreicher 2007 den Siemens-Konzern nach dem großen Schmiergeldskandal wieder aufgebaut und vor einer feindlichen Übernahme bewahrt.

Löscher war der erste von bislang elf Konzernchefs, der von außen kam. Doch der 54jährige, der lange Jahre in den USA und Japan arbeitete, fremdelte zunehmend mit den Eigenheiten des 1847 in Berlin gegründeten Unternehmens. Nachfolger Kaeser, der 1957 in Niederbayern als Josef Käser geboren wurde und in seiner Zeit in den USA seinen Namen freiwillig amerikanisierte, arbeitet dagegen seit mehr als 30 Jahren für Siemens. Nach dem externen „Feuer-Löscher“ nun die interne Lösung.

Allerdings übernimmt mit Kaeser erneut ein Betriebswirt das Siemens-Ruder. Bloße Kostendämpfung, Sparen und Entlassungen gehen zu Lasten der Qualität. Dem größten deutschen Technologiekonzern fehlen bahnbrechende Innovationen und neue Ideen. Ohne die wird Siemens trotz der angesammelten Cash-Milliarden in der Konzernkasse enden wie der einstige deutsche Konkurrent AEG. Die Industrielegende ist heute nur noch ein Markenname auf schwedischen Elektrogeräten.

Deutsche Internetpräsenz der Siemens AG: www.siemens.com

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