© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Nach der Flut ist vor der Flut
Ortstermin in Rosenheim: Auch Wochen nach der Katastrophe sitzt der Schock tief / Kritik an Politik und Sicherheitskräften
York Tomkyle

Hermann S. hat immer noch feuchte Augen, wenn er von der Nacht erzählt, in der das Wasser kam. Am Vortag aus dem Urlaub zurückgekehrt, wurden er und seine Familie völlig von der Situation überrascht – wie offenbar auch der eilig gebildete Krisenstab der Stadt, der es bis zum Schluß scheinbar nicht verantworten wollte, die Bürger in den betroffenen Stadtteilen über das wahre Ausmaß der nahenden Katastrophe aufzuklären.

Man habe ihnen lediglich durch Lautsprecherdurchsagen geraten, die Autos von den öffentlichen Straßen zu fahren. Dadurch sei bei vielen der Eindruck entstanden, es werde schon nicht so schlimm werden – zumal es jahrzehntelang keine Überflutung gegeben habe und der Hochwasserschutz in der Zwischenzeit ja stark ausgebaut worden sei.

„Die Folge“, erzählt S., „war, daß hier nahezu niemand etwas aus seinem Keller oder Erdgeschoß retten konnte. Plötzlich und ohne Vorwarnung wurde im ganzen Stadtteil der Strom abgestellt und alle saßen im Dunkeln. Erst da wußten wir, daß man uns aufgegeben hatte.“ Er erzählt, wie seine Frau und er sich und ihre vier kleinen Kinder kurz danach in letzter Minute vor den Wassermassen in Sicherheit brachten und wie er später noch einmal zurückkehrte, um wenigstens irgend etwas zu retten. Wie er verzweifelt ein paar Habseligkeiten in Sicherheit brachte, während das Wasser im Keller minütlich stieg, und die Rettungsaktion schließlich abbrechen mußte, um im eigenen Keller nicht zu ertrinken.

„In den Überflutungsgebieten entlang der Elbe“, sagt er bitter, „ hatten die Menschen zum Teil sogar noch Zeit, ihre Küchen auszubauen und einzulagern, weil sie rechtzeitig gewarnt wurden.“

Am nächsten Tag dann, als das Haus wieder erreichbar war, der Schock über das Desaster: Keller komplett und Erdgeschoß in großen Teilen voller Wasser und Schlamm. Der Inhalt komplett zerstört, auf lange Sicht kein Strom, kein Wasser, keine Heizung. Es sei ein Trauma gewesen, plötzlich obdachlos gewesen zu sein, hier im sicheren Deutschland.

Die Behörden haben er und seine Nachbarn auch im weiteren Verlauf als überfordert erlebt. In den folgenden Tagen hätten sie es noch nicht einmal fertiggebracht, den überfluteten Stadtteil für Gaffer und Pendler abzusperren, so daß immer wieder der Verkehr zusammenbrach und schließlich von den Anwohnern selbst geregelt werden mußte, weil die Polizei sich nicht zuständig fühlte.

Als besonders enttäuschend wurde das Verhalten der Polizei auch in anderer Hinsicht empfunden: Es gab kurz nach der Katastrophe immer wieder osteuropäische Banden, die mit Lieferwagen in die betroffenen Stadtteile kamen und in großem Stil Diebstähle begingen, bei denen zum Teil auch Rettungsmaterial verschwand. Mehrfach sei die Polizei aufgefordert worden, einzuschreiten – vergeblich. Die Polizei habe er während der ganzen Zeit nicht gesehen, erklärt ein sichtlich verbitterter Anwohner. Statt dessen habe die Stadt dann einen privaten Sicherheitsdienst engagiert, der schließlich Patrouille gefahren sei.

Wenn die Menschen von diesen Tagen erzählen, hellen sich ihre Gesichter lediglich auf, wenn sie über die gegenseitige Solidarität und die vielen freiwilligen Helfer sprechen, die teilweise bis zur Erschöpfung gearbeitet hätten. Neben der Freiwilligen Feuerwehr werden dann auch ganz besonders die vielen fremden Menschen erwähnt, die einfach nur helfen wollten. Das sei, so S., die wunderbare Seite dieser Katastrophe gewesen, die vielen Verzweifelten Hoffnung gegeben habe.

Jetzt, zwei Monate nach der Hochwasserkatastrophe, hört man fast aus jedem Haus das monotone Brummen der Trocknungsgeräte. Vereinzelt muß man noch Sperrmüllhaufen umrunden, aber die Schuttberge sind bereits abtransportiert. In diesem Stadtteil leben neben jungen Familien auch viele alte Menschen. Über die Hälfte der Betroffenen sind nicht oder nicht ausreichend versichert.

Der Gesamtschaden in Bayern wird auf etwa 12 Milliarden Euro geschätzt – von denen lediglich drei Milliarden versichert sind.

Die Stadt hat allen betroffenen Familien eine Soforthilfe in Höhe von 1.500 Euro ausgezahlt, was zwar lobenswert, aber angesichts des Schadensausmaßes nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Die Auszahlung der Spendengelder stockt, weil sich die Hilfsorganisationen nicht über den Modus einigen können. Das Vergabeverfahren für die angekündigte staatliche Hilfe ändert sich täglich und ist vor allem für viele alte Menschen schwer zu durchschauen. Eile wäre angesichts der immensen Sanierungskosten geboten, denn die Kosten fallen jetzt an und bringen viele in Bedrängnis.

„Viele hier“, so hört man, „schaffen es jetzt vielleicht so gerade noch, aber wenn sich das noch einmal wiederholt, wird es in dieser Stadt sehr viele Familien geben, die unverschuldet zu dauerhaften Sozialfällen werden.“

Im Gespräch mit den Betroffenen wird immer wieder das tiefe Mißtrauen deutlich, das den verantwortlichen Politikern entgegengebracht wird, wenn es um den zukünftigen Schutz vor Hochwasser geht. Niemand rechnet hier ernsthaft damit, daß die vollmundigen Versprechungen der Staatsregierung nach der Wahl im September auch wirklich eingehalten werden.

Deshalb haben sie sich organisiert, haben die Flutopferinitiative Rosenheim gegründet, deren Ziel es ist, „die Politiker kritisch-konstruktiv bei der Umsetzung ihrer Ankündigungen zu begleiten“, wie es auf der Netzseite der Initiative heißt. Eine Vernetzung mit anderen betroffenen Regionen sei im Gange, die Zusammenarbeit mit der Stadt Rosenheim sei gut, erklärt Peter Stoll, der mit einigen anderen die Initiative ins Leben rief.

Aktuell bemühe man sich um einen Gesprächstermin mit der Staatsregierung, was sich allerdings schwierig gestalte. Angesichts der Not in den betroffenen Stadtteilen werde man aber nicht lockerlassen.

Hermann S. ist mit seiner Familie inzwischen wieder in sein Haus eingezogen. Der Lärm der Trocknungsgeräte und der faulige Geruch seien schon belastend, ein Platzproblem gebe es jedoch trotz der nur teilweisen Bewohnbarkeit des Hauses nicht. Die meisten beweglichen Besitztümer seien ja zerstört worden. Und so richte man sich eben in den bewohnbaren Teilen des Hauses ein so gut es geht.

Zum Abschied ein herzlicher Händedruck: „Wir sind halt vom Pferd gefallen, aber wir alle hier haben den festen Willen, bald wieder im Sattel zu sitzen.“

 

Aufbauhilfe

Im Rahmen des Aufbauhilfefonds stellt der Bund den von der Flut 2013 betroffenen Bundesländern acht Milliarden Euro zur Verfügung, um die Schäden zu beseitigen und den Flutopfern zu helfen. Der Bund finanziert den Fonds zunächst in voller Höhe vor. Zudem übernimmt er Kosten für den Wiederaufbau der zerstörten Bundesinfrastruktur (rund 1,5 Milliarden Euro). Die Länder beteiligen sich mit insgesamt 3,25 Milliarden Euro zur Hälfte an der Finanzierung. Sie erhalten 20 Jahre Zeit, ihren Anteil zurückzuzahlen. Um die Mittel für den Fonds bereitstellen zu können, beschloß das Bundeskabinett einen Nachtragshaushalt für 2013. Aufgrund dessen wird die Nettokreditaufnahme des Bundes im Haushaltsjahr 2013 von 17,1 auf 25,1 Milliarden Euro steigen.

Fotos: Kinderalltag umrahmt vom monotonen Brummen der Trocknungsgeräte: Der Teddybär konnte gerettet werden, nach einer ordentlichen Grundreinigung ist er nun wieder der alte ; Zerstörte Büchersammlung: Unwiederbringlicher Verlust

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