© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Die Aura des Originalen
Kunstfälscherskandal: Werner Spies und Gesellen oder Sand im Getriebe des „Projekts Moderne“
Sebastian Hennig

Der Kunsthistoriker Werner Spies und der Galerist Jacques de la Béraudière wurden unlängst in erster Instanz von einem Zivilgericht im französischen Nanterre zu einem Schadenersatz von mehr als 650.000 Euro verurteilt. Das sind kleine Brötchen gemessen an dem fantastischen Ruf des Kenners Spies, der sich mit dem Kunstfälscherskandal um Wolfgang Beltracchi in Rauch auflöste.

Die Behauptung, ohne sein Gutachten ließe sich ein Max-Ernst-Bild nicht verkaufen, nahmen die Fälscher ernst und beteiligten den Experten großzügig am Umsatz. Da eine Expertise nichts weiter als die Äußerung einer gleichwohl sehr geschätzten Meinung und ihre Richtigkeit nicht einklagbar ist, verweist das Gerichtsurteil mindestens auf grobe Fahrlässigkeit, wenn nicht gar bewußte Täuschung.

Das Buch von Stefan Koldehoff und Tobias Timm über den Kunstfälschungsskandal ist vor allem der Versuch einer Ehrenrettung der Originalität der Klassischen Moderne durch ihre Deutungsindustrie. Die Autoren, Kulturjournalisten für Deutschlandfunk und Zeit, sind Anwälte in eigener Sache. Hier hat einer viel Porzellan zerschlagen, und sie wollen es wieder kitten, indem sie diese Mücke zu einem Elefanten im Porzellanladen emporstilisieren. Über die kriminelle Bereicherung hinaus wird dem Fälscher zur Last gelegt, das Ansehen Verstorbener geschädigt zu haben: „Das Werk des gleich mehrfach gefälschten Heinrich Campendonk etwa dürfte zur Zeit kaum noch neue Enthusiasten und Sammler finden. Ein großer Künstler ist fortan mit dem Makel behaftet, daß sein Œuvre durch zahlreiche Fälschungen geschmälert wird. Auch er ist, wie viele andere Maler, ein Opfer der Beltracchi-Bande geworden.“

Warum soviel Pathos? Warum wurden keine Bilder von Emil Nolde, Max Beckmann oder Giorgio Morandi gefälscht? Die Werke von Max Ernst sind mit Abstand die malerisch subtilsten Artefakte, an die er sich wagte.

An den meisten Nachahmungen fehlt offenbar nichts weiter als die Aura ihrer unwillkürlichen Hervorbringung. „Denn es ist eben nicht nur die bunte Katze auf der Leinwand, welche die Bedeutung dieses Kunstwerkes ausmacht, sondern auch die Erzählung davon, daß es von einem Künstler selbst gemalt wurde, der eine ganz eigene, unverwechselbare Formensprache für seine Bilder entwickelt hat.“ Folgerichtig wird die Vortäuschung der Entstehungsgeschichte als schlimmstes Vergehen gewertet. Dadurch „fehlt dem Bild ein wesentlicher Bestandteil seiner Bedeutung, dann fehlt ihm seine Autorität“. Das hieße aber, nicht das Originale wahrnehmen, sondern einer Erzählung vom Originellen aufzusitzen.

Fälschungen wurden zuammengebastelt für Erwartungen, die durch dieses Surrogat völlig befriedigt werden konnten. Bei Überqualifizierung wird das Produkt gelegentlich auch abgelehnt, so durch Christie’s mit dem Argument: „Zu schön, um wahr zu sein.“ Beltracchi achtete in der Regel darauf, kein Bild ohne Expertise in den Markt zu schleusen.

Es ist kein Zufall, daß jener Fachmann, der sieben Max-Ernst-Fälschungen als Originale bestätigte, auch der Malerei eines Neo Rauch eine absolute kunsthistorische Dimension attestierte. Das ist ein geschlossenes Weltbild. Die Nachahmung konnte deshalb so unbestritten passieren, weil wir in einer angehaltenen Zeit leben müssen. Um die Fortschrittlichkeit der Klassischen Moderne festzuhalten, darf kein Schritt vor oder zurück geschehen.

Nebenbei erzählt das Buch davon, wie Werner Spies das Projekt der Unsterblichkeit von Max Ernst unter Ausschluß von dessen leiblichem Sohn betrieben hat. Nun pfeift ihm der Bummerang noch zu Lebzeiten wieder an den Ohren vorbei. Er ist eine Marionette seiner eigenen vielpublizierten Vorurteile, und Beltracchi hat für eine Weile die Fäden in seine Hände genommen und den Kasper für sich zappeln lassen. Zur Entdeckung führte letztlich die naturwissenschaftliche Pigmentuntersuchung.

Der Nachweis gelang nur, weil die als Zinkweiß deklarierte Farbe kleinste Rückstände von Titanium enthielt, so wie Schokolade bekanntermaßen Spuren von Erdnüssen und Soja enthalten kann. Als die FAZ die Verstrickungen ihres langjährigen Kunstkritikers eingestand, versuchte sie die Ehre eines Mann zu retten, der viele Verdienste um das „Projekt Moderne“ hat.

Aber es sind gewiß nicht die paar fremden Federn am Hut des Kolosses die ihn stürzten, sondern die tönernen Füße, die zuletzt die Last nicht mehr tragen wollen, daß ein Kunstkommentator unverstellt als Kunstmacher in Erscheinung tritt. Ein Pionier dieses Künstlermachens war Alfred Flechtheim (1878–1937), der immer wieder als behauptete Herkunftsquelle von Beltracchi herangezogen wurde.

Im Schweizer Nimbus Verlag erschien just in der Zeit, als die Beltracchi-Affäre im Zenit stand, eine umfassende Monographie über den Kunsthändler mit dem vielsagenden Titel „Es ist etwas Wahnsinniges mit der Kunst“.

Der Sohn eines Getreidehändlers aus Münster war eine wesentliche Kraft bei der Herausbildung eines spektakelhaften Kunstgeschehens in der Zwischenkriegszeit. Kulturpolitische und rassische Verfolgungen seit 1933 verwischen die Spuren seiner einstigen Sammlungsstücke. Solche Lücken eigenhändig zu schließen hat sich Beltracchi ermuntert gefühlt und ist damit auf große Zustimmung bei Händlern, Sammlern und Experten getroffen.

Der Flechtheim-Biograph Ottfried Daschner sah sich dadurch veranlaßt, seinem Band ein Verzeichnis aller nachgewiesenen Werke der Sammlung anzuhängen. Zudem finden sich auf einer beigelegten CD-Rom Inhaltsangaben der Galeriekataloge und Faksimiles der Zeitschrift Querschnitt. Diese Beigabe entspricht jener Handbibliothek, mit der Beltracchi die Auferstehung verschollener Bilder planen konnte. Anhand von mageren Notizen und ungefähren Beschreibungen, welche Begehrlichkeiten weckten, wurde im verschlossenen Atelier die Moderne geklont. Spies sagte es wörtlich: „Beltracchi ist ein genialer Klon von Max Ernst.“

In Wirklichkeit war er wohl eher ein geldgieriger Clown. Beltracchis Handlungen haben keine Würde. Und die klammheimliche Freude über die Demaskierung des „Projekts Moderne“ sollte nicht dazu verführen, das „Beltracchi Project“ ernst zu nehmen. Nichts Überraschendes sagen die Autoren, wenn sie mitteilen: „Er ist also eher ein Werbe- und Vertriebsstratege, ein Verpackungskünstler als ein Künstler.“ Die Ateliers und Akademien sind längst nicht mehr der Elfenbeinturm, in dem unbehelligt vom Lärm aus Markt und Straße geheimnisvoll das neue Werk emporkeimt.

 

Kunstfälscher Beltracchi

Der 1951 im westfälischen Höxter unter dem Namen Fischer geborene Maler Wolfgang Beltracchi wurde Ende Oktober 2011 in einem großen Kunstfälscherprozeß vom Kölner Landgericht wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er hatte Bilder im Stile bekannter Maler wie Heinrich Campendonk, Max Ernst und Max Pechstein gemalt und sie mit Hilfe von Komplizen als echte Werke der Künstler ausgegeben.

Stefan Koldehoff, Tobias Timm: Falsche Bilder – Echtes Geld. Der Fälschungscoup des Jahrhunderts – und wer alles daran verdiente. Galiani, Berlin 2012, gebunden, 304 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

Ottfried Daschner: „Es ist etwas Wahnsinniges mit der Kunst“. Alfred Flechtheim, Sammler, Kunsthändler, Verleger. Nimbus Verlag
Wädenswil 2011, gebunden, 512 Seiten, Abbildungen, 39 Euro

Foto: Kunsthistoriker Werner Spies bei der Pressevorstellung der noch bis zum 8. September 2013 ge-zeigten Max-Ernst-Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel vor dem Ölgemälde „Der Hausengel“ (1937): Spies bestätigte als Gutachter durch Expertisen die Echtheit einiger Werke, die von Max Ernst stammen sollten. Die Arbeiten wurden als authentische Werke des Künstlers versteigert, stellten sich jedoch als Fälschungen heraus. Kürzlich wurde Spies dafür zu Schadenersatz verurteilt.

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