© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

CD: Woodkid
Romantischer Nerd
Georg Ginster

Wer Woodkid live erlebt oder sich wenigstens Konzertmitschnitte auf Youtube anschaut, sieht mit dem 30jährigen Yoann Lemoine einen Mann im Mittelpunkt des Bühnengeschehens, an dem alles unspektakulär ist. Von schmächtiger Statur, scheint es ihm ein Bedürfnis zu sein, auch durch seine Kleidung nicht aufzufallen. Ein dunkles, unifarbenes T-Shirt, eine ebenso dunkle Hose, Turnschuhe – Gestalten wie diese sind häufig in einschlägigen Veranstaltungen der IT-Branche, in den Innovationsforen, wie sie, an die Hand genommen von großen Konzernen, ihre neuen, daheim unter klaustrophobischen Arbeitsbedingungen entwickelten Lösungen in die große, in ihrer Nicht-Virtualität unbegreifliche Welt hinaustragen.

Unter seiner Schirmmütze erweckt Lemoine den Eindruck einer auch durch seinen Vollbart kaum zu verbergenden existentiellen Scheu, die neben dem tradierten Unbehagen der Franzosen am Gebrauch der rüden und ungelenken englischen Sprache eine Erklärung dafür böte, daß seine Stimme immer wieder brüchig wird und die Texte in Torsi verwandelt. Ab und zu scheint ihn aus dem Nichts ein Handlungsimpuls zu durchfluten, dann fängt er an zu hüpfen, schreitet unentschlossen umher oder geriert sich als Dirigent der um ihn herum verstreuten Musiker – Bläser, ein Keyboard und reichlich Percussion. Der erhobene Arm in militärischer Grundstellung kündigt den Moment der großen Kulmination an. Wird er gesenkt, setzt der orgiastische Wirbel ein.

Die unfreiwillige Komik, die Woodkid entfalten kann, ist der hinzunehmende Preis eines erstaunlichen Experiments. Auch den Nerd treiben romantische Phantasien um. Die Vereinsamung ist die Grunderfahrung seines Lebens; als virtuellem Stalker, der im Netz auch in die verborgensten Winkel vordringt, stehen dem Nerd vielerlei heroische Bilder und Metaphern vor Augen. Lemoine verarbeitet sie retrospektiv.

Seine Masche ist nicht das fratzenhafte Tamtam à la Rammstein oder ein nicht einmal mehr als Selbstparodie zu ertragendes Pathos à la Laibach, sondern auch da, wo es auf „The Golden Age“ (Island/Universal) lauter wird, das leise melancholische Requiem. Die vorgebliche Trauer gilt einem Goldenen Zeitalter, das, so verrät er schon mit dem Eingangsstück, natürlich vorbei ist, und es spielt, das ist ja das Schöne an der Romantik, auch gar keine Rolle, ob es ein solches jemals gegeben hat.

Lemoines Intention, die Popkultur mit Sinn und Bedeutung aufzuladen, wird seine Musik für sich genommen jedoch nur in eingeschränktem Maße gerecht. Wo die wie ein militärisches Kammerorchester aufgestellten Mitstreiter drauf und dran sind, den Hörer in heroische, kraftvolle Stimmungswelten mitzureißen, hält die androgyne und teilnahmslose Stimme ihn grausam im schwächlichen Phlegma des Alltags zurück. Es bedarf der Videoclips, um das Dilemma zugunsten des großen Gefühls aufzulösen. Lemoine scheut hier vor keinem Kitsch zurück, um sein Ziel mit Bildern, die Jane-Austen-Verfilmungen, „300“, „Harry Potter“ oder Psycho-Thrillern entlehnt sein könnten, zu verfolgen. Auf diesem Gebiet liegt schließlich auch seine eigentliche Kompetenz: Musikvideos zu Liedern von Katy Perry, Taylor Swift und Lana Del Rey waren bislang sein bevorzugtes Metier.

Woodkid, The Golden Age Island (Universal), 2013 www.XYZ.de

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