© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Halbschattengewächse über der Azurküste
Europäisches Autorenkino: Nicolas Wackerbarths „Halbschatten“ zeichnet die Charakterstudie einer deutschen Enddreißigerin in Südfrankreich
Andreas Zöllner

Nicolas Wackerbarth ist ein filmender Cineast und Mitherausgeber der Filmzeitschrift Revolver. Wie dieses Organ siedelt sein erster abendfüllender Spielfilm „Halbschatten“ im Dunstkreis der sogenannten „Berliner Schule“. Handlungsarme Sprödigkeit und lastende Öde machen den Film zu einem Stundenbuch sinnentleerter Augenblicke. Wem die gekenterten Kreuzfahrtschiffe und Reisebusse, die kollidierten Züge oder der Großbrand auf Mallorca nicht schon das Fernweh verschlagen haben, dem kann dieser Film seine Azurküsten der Träume endgültig mit einem grauen Schleier zudecken.

Die deutsche Enddreißgerin und Jung-autorin Merle (Emma Ratte-Polle) reist nach Südfrankreich, um dort ihrem Romuald wiederzubegegnen. So steht sie mit ihrer leichten Tasche zunächst vor verschlossener Pforte. Während sie in privatesten Verrichtungen befangen notdürftig hockend im niedrigen Buschwerk oberhalb des Anwesens verharrt, naht sich das Fahrzeug mit dem Verwalter des Anwesens. Der läßt sie ein, versetzt schnell das Wasser hinterm Haus mit Giftbrühe. Weit darunter erstreckt sich das echte Meer wie eine unerreichbare Vision.

Dann erscheinen die Kinder Emma (Emma Bading) und Felix (Leonard Proxauf). Vorgeschichten werden nicht erzählt. Andeutungen im Wortwechsel der Protagonisten laden zum Spekulieren ein. Aber wen interessieren eigentlich diese Minderheitenprobleme, dieses graue Elend einer Jeunesse dorée im Halbschatten?

Ihre Feriengegend ist ein komfortables Lager für beziehungslose Erfolgsmenschen. Nur der Himmel darüber und das Meer darunter bleiben freundlich. Dazwischen ist alles abweisend häßlich. Eine Betonarchitektur mit nervösen Alarmanlagen, an den asphaltierten Zufahrtsstraßen bellen Hundeschnauzen durch Maschendrahtzäune.

Auch die einheimischen Krämer erweisen sich feindselig, die Stadt drunten ist eine Baustelle. Und die kleine deutsche Landsmannschaft in dem Flachbau über der Küste übt sich gegeneinander in Unliebenswürdigkeit.

Der Regisseur nennt das Werk einen „Thriller über ereignislose Tage“ und meint: „Das Bewußtsein, daß ein Großteil unseres Lebens in uns stattfindet, ohne mitgeteilt werden zu können, beschäftigt mich, weil es letztlich um die Frage geht, wie nah du einem anderen Menschen kommen kannst.“

Wackerbarths Halbschattengewächse vegetieren irgendwo zwischen Andreas Dresens „Nachtgestalten“ und Antonionis „La notte“. Doch selbst in den Gefahren der Langeweile versagt der Regisseur sich und uns die dramatische Zuspitzung. Alles mündet in einem gescheiterten Beischlaf und einem nächtlichen Aufbruch. Das meiste an diesem Film teilt sich nicht mit und kommt den Menschen nicht nahe, weder seinen eigenen Figuren noch dem Zuschauer. So bleibt „Nachtschatten“ gleichermaßen authentisch wie überflüssig.

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