© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Was nicht paßt, wird passend gemacht
Mahler, Maschke & Co.: Manuel Seitenbecher rührt für seine These über das rechte Denken in der 68er-Bewegung unterschiedliche Biographien zusammen
Karlheinz Weissmann

Man nimmt das Buch von Manuel Seitenbecher mit einer gewissen Irritation zur Hand. Die wird ausgelöst durch die beiden Bilder auf dem Umschlag. Sie zeigen Horst Mahler während seines Prozesses 1971, angeklagt wegen linksterroristischer Aktivitäten, und denselben 2002 auf einer NPD-Veranstaltung. Die Irritation wird verstärkt durch den Titel „Mahler, Maschke & Co.“ und erreicht ihren Höhepunkt bei der Unterzeile „Rechtes Denken in der 68er Bewegung?“.

Dabei ist nur die Irritation durch die beiden Fotografien gewollt, denn sie zielt auf den dramatischen Umschlag in Mahlers ideologischer Entwicklung, aber – und das wird hier unterschlagen – sie hat nichts zu tun mit derjenigen Maschkes. Von den unter „Co.“ behandelten (Bernd Rabehl, Reinhold Oberlercher, Tilman Fichter) ist bestenfalls einer (Oberlercher) einen ähnlichen Weg gegangen wie Mahler. Vor allem aber kann man die Verschiebungen im Überbau der Genannten nicht erklären mit „rechtem Denken in der 68er-Bewegung“.

Glücklicherweise insistiert der Verfasser kaum auf diesem Aspekt, behandelt den zeitgenössischen Vorwurf des „Linksfaschismus“ so knapp wie spätere Umdeutungen (übelwollende und wohlwollende) und nur kursorisch die deutschlandpolitischen Vorstellungen des frühen SDS, die besondere Prägung der „Abhauer“ Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Reinhold Oberlercher, die als Flüchtlinge aus der DDR gekommen waren, den inneren Widerspruch zwischen der Begeisterung für die Nationalrevolutionäre der Dritten Welt und dem eigenen Antipatriotismus sowie die neutralistischen Anwandlungen während der siebziger und frühen achtziger Jahre im Zusammenhang mit der Friedensbewegung.

Daß nichts davon auf „rechtes Denken“ zurückzuführen war, sondern auf genuin linke Traditionen und die Besonderheiten der Nachkriegsjahre, hätte deutlicher herausgestellt werden können, während die konservative, deutschnationale, völkische oder faschistische Vergangenheit einzelner Protagonisten der Achtundsechziger (Mahler, Johannes Agnoli, Hans-Peter Krahl, Bernward Vesper) durchaus mehr Rechercheaufwand verdiente (den Namen von Ekkehart Krippendorff sucht man ganz vergeblich).

Man merkt hier, daß dem Verfasser jene Neugier mangelt, die den Historiker auszeichnet. Zu ernsthaft beschäftigt ihn die Begriffshäkelei der Politologen, die den Bedingungen für die Entstehung, Ausbildung, Durchsetzung und Korrektur von Ideologien nie gerecht werden kann. Wo Seitenbecher doch dem Interesse am Geschichtlichen folgt – etwa in dem Abschnitt über Henning Eichberg oder den Zickzackkurs der „Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Deutscher“ (AUD), die für Bildung der Grünen eine Rolle spielte –, präsentiert er interessante Fakten und gelingen ihm aufschlußreiche Ausführungen, wo er dagegen irgendwelchen Rubrizierungswünschen nachgibt, wird der Leser enttäuscht.

Das ist vor allem deutlich an den zentralen Abschnitten über Mahler und Oberlercher zu sehen. Selbstverständlich war in beiden Fällen der Umschlag vom Antinazismus in Neonazismus besonders skandalös, liegt es nahe, die Ursachen dafür zu psychologisieren oder alles auf die Formel „von einem Extrem ins andere“ zu bringen. Aber so werden von Seitenbecher die Übergangsphasen (bei Oberlercher wie Mahler das Zwischenspiel auf ihrem Weg von links nach rechts im Umfeld der SPD, das nur aus deren erstaunlichem Wohlwollen für die Gesamtlinke erklärbar ist) nicht angemessen gewürdigt. Statt dessen werden charakterliche Dispositionen oder Momente der Kontinuität zur Erklärung herangezogen, auch wenn das nur gewaltsam möglich ist: Antikapitalismus, Antiamerikanismus, Antizionismus/Antisemitismus links wie rechts.

Noch ärgerlicher ist dieses Verfahren in bezug auf die Behandlung Günter Maschkes, der zwar im Titel prominent erscheint, aber nur auf ganzen 17 der über 550 Seiten behandelt wird. Das mag seine Ursache auch darin haben, daß er sich nicht für eine Befragung zur Verfügung gestellt hat, anders als Fichter, Rabehl, Eichberg und Oberlercher. Aber vor allem hängt es damit zusammen, daß Maschkes reaktionäre Position nicht der Erwartungshaltung Seitenbechers entspricht. Er, der einzige „echte Renegat“ (Jürgen Habermas) der Achtundsechziger, hat sich tatsächlich mit letzter Konsequenz von den Ideen der Linken abgewendet und eine Position entwickelt, die allen gebräuchlichen Zuschreibungen widerstrebt.

Dem genauer nachzugehen, wäre nicht nur lohnend, weil Maschke seine eigene Entwicklung so klar reflektiert und eine originelle Kritik des Totalitarismus formuliert hat, sondern auch, weil seine intellektuelle Potenz der aller anderen behandelten Personen so deutlich überlegen ist. Das nicht verstanden zu haben spricht auch gegen die Urteilsfähigkeit Seitenbechers. Der hat in seiner Arbeit viel biographisches und zeitgeschichtliches Material zusammengetragen, ist auch auf wichtige Aspekte der politischen Debatten in der späten Bundesrepublik zu sprechen gekommen, konnte letztlich aber vielleicht gerade wegen dieses Mankos keine überzeugende Gesamtdeutung liefern.

Sicher ist Urteilsfähigkeit viel verlangt im Hinblick auf eine Dissertation, um die es sich hier ursprünglich handelte. Andererseits fordert die Tendenz zur Aufblähung dieser Art wissenschaftlicher Arbeit ihren Preis: Die Themenfelder werden immer komplexer, worunter die Durchdringung des Materials leidet, aber eben auch die intellektuelle und sprachliche (Herr, gib uns Lektoren!) Sauberkeit der Darstellung.

Manuel Seitenbecher: Mahler, Maschke & Co. Rechtes Denken in der 68er-Bewegung? Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2013, gebunden, 557 Seiten, 39,90 Euro

Foto: Horst Mahler im Jahr 2000 bei der NPD: Langer Weg von links mit Zwischenspiel im Umfeld der SPD

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