© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Generalkritik an einem verkommenen Land
Der altlinke Berliner Journalist Thomas Wieczorek hat eine Philippika gegen die politische Kaste und die „Neoliberalen“ vorgelegt
Heinz Fröhlich

Deutsche Politiker treten das Wohl des eigenen Volkes mit Füßen. Der Staat taumelt am Rande des Abgrunds, die Gesellschaft zerfällt immer schneller. Wie Demosthenes geißelt der Journalist Thomas Wieczorek die Mißstände unserer Zeit. Aber seine Philippika verfehlt den Kern der Dinge.

Die große Mehrheit der Oberschicht verdanke ihren Reichtum unproduktiven Kapitaleinkünften. Oft leben in diesen Kreisen heruntergekommene Erben: drogenabhängig, sektenhörig, parasitär. Richtig, nur weiß man das schon lange. Was nützt es, sattsam bekannte Statistiken wiederzukäuen? Auch die skandalösen Zustände in der deutschen Justiz wurden schon oft beklagt. Angehörige der politischen Kaste haben trotz schwerer Unrechtstaten lediglich Geld- oder Bewährungsstrafen zu fürchten, während dieselben Gerichte Normalbürger wegen unerwünschter Meinungen terrorisieren.

Im Bundestag dilettieren „kaltherzige, korrupte“ Abgeordnete. Schwärme von Lobbyisten und das ferne Brüssel lenken ein entmachtetes Parlament. Städte gehen pleite, Schulgebäude verrotten, während die oberen zehn Prozent 4.000 Milliarden Euro besitzen, das Doppelte der deutschen Staatsschuld. Gleichzeitig konstruiert die Regierung verhängnisvolle „Euro-Rettungsschirme“. Weil der Bürger ökonomischer Profitgier diene, zerfalle die Legitimität des politischen Systems. Nichtwähler bilden die größte Partei. Wieczorek tadelt den Opportunismus der ehemaligen FDJ-Funktionärin Angela Merkel. Skrupellos unterwerfe sie die Demokratie der marktradikalen Globalisierung.

Bei der Lektüre des Buches entsteht keine rechte Begeisterung. Die Symptome der „deutschen Krankheit“ bloß zu benennen, genügt nicht. Wieczorek resümiert Fakten, die letztlich jeder aufmerksame Zeitungsleser kennt. Dieses Manko wäre leicht zu verschmerzen, hätte Wieczorek mehr interpretiert. Jedoch führt er die Vielzahl der Probleme nicht auf gemeinsame Nenner und Kausalitäten zurück. Als Schuldige muß im Zweifel die Oberschicht herhalten. Zwar steht deren Versagen fest, aber auch die meisten Arbeitslosen wollen nur individuell fortkommen.

An besonders wichtigen Punkten triumphieren Denkverbote der „Political Correctness“. So haben laut Wieczorek allein die „Neoliberalen“ den Geburtenrückgang zu verantworten. Eine Logik, die keinem einleuchten will, der den seit vierzig Jahren andauernden demographischen Niedergang verfolgt.

Noch tiefer sinkt das Niveau, wenn der Autor „multikulturelle“ Phantastereien erörtert, ohne die Schwäche des deutschen Selbstwertgefühls zu bedenken. Nur „Höhlenbewohner“ dulden keine Fremden. Letztlich seien Deutsche, welchen die Einwanderung mißfalle, nur im Pawlowschen Sinn falsch konditioniert. Sogar Spatzen überwinden ihre Menschenangst und picken dann „ganz frech die Krümel vom Teller“. Mit derartig infantil anmutenden Ausflügen in die Tierwelt des Gartens lassen sich jedoch kaum die Probleme anbahnender Parallelgeschaften erklären.

Thomas Wieczorek: Abgewirtschaftet. Warum unser Land verkommt und wer daran verdient.Knaur Taschenbuch Verlag, München 2013, broschiert, 350 Seiten, 9,99 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen