© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/13 / 09. August 2013

Patriarch, Philanthrop, Patriot
Zum Tode von Berthold Beitz: Mit dem früheren Chef des Krupp-Konzerns verliert Deutschland eine große Unternehmerpersönlichkeit
Günther Deschner

Wenn er „der letzte Krupp“ genannt wurde, korrigierte er lächelnd: „Ich bin der letzte Beitz.“ Nun ist „BB“, wie man den Hüter des Hauses Krupp im Flurfunk des Konzerns nannte, tot. Der am 26. September 1913 im vorpommerschen Dorf Zemmin geborene Berthold Beitz, der zu einer der wichtigsten Unternehmerpersönlichkeiten der Nachkriegszeit aufgestiegen und zur letzten deutschen Industrie-Legende geworden war, starb am Dienstag voriger Woche auf Sylt.

Eigentlich wollte Beitz Medizin studieren, doch aus Geldmangel – der Vater war ein kleiner Finanzbeamter – begann er eine Lehre bei der Pommerschen Bank in Stralsund. 1938 wechselte er zu den Rhenania-Ossag Mineralölwerken (heute Shell) nach Hamburg. Nach Kriegsbeginn wurde er als Firmenvertreter auf die galizischen Erdölfelder verpflichtet. Nach der Flucht aus sowjetischer Gefangenschaft ernannten ihn die britischen Besatzer in Hamburg zum Vizepräsidenten des Reichsaufsichtsamts für das Versicherungswesen. Danach machte er von 1949 bis 1953 als Generaldirektor der Versicherung Iduna-Germania Karriere.

Das weitere Schicksal des bis zu seinem Tod so disziplinierten wie lebensbejahenden Pommern wurde in der Hotelbar der Hamburger „Vier Jahreszeiten“ beschlossen. Er war gerade 40, als ihn dort Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der gerade aus dem Landsberger „War Criminals Prison No. 1“ entlassen und wieder im Besitz seines beschlagnahmten Vermögens war, im Plauderton fragte: „Wollen Sie mein Generalbevollmächtigter werden?“ Beitz wollte. Ein Handschlag, dem fast 60 Jahre treue Dienste folgten.

Seit seinem Dienstantritt war Beitz an der Spitze des Essener Stahlkonzerns eine der außergewöhnlichsten Figuren der deutschen Wirtschaft, ein Unternehmer, der die Werte der sozialen Marktwirtschaft hochhielt. Loyal, intelligent und kaltblütig führte er Krupp über Jahrzehnte – auch durch Krisen hindurch. Bei allem, was man auch an Schwächen in seiner Unternehmensführung konstatieren konnte, hat er den Traditionskonzern über die Zeit gerettet. Um in einer Folge von Firmen- und Stahlmarktkrisen den Untergang von Krupp zu verhindern, mußte er allerdings sukzessive etwa den Iran und später auch Aktionäre der Konkurrenten Hoesch und Thyssen in den Gesellschafterkreis aufnehmen.

Die Welt des anonymen Kapitals und der Zocker verachtete Beitz. Der „moralische Kapitalismus“ müsse Grundlage wirtschaftlichen Handelns sein, mahnte Beitz bei der 200-Jahr-Feier der Firma Krupp im November 2011. Geradlinig und diszipliniert wachte er nach Krupps Tod über die Tradition des Hauses. Nominell war Beitz Vorsitzender einer Stiftung, die 25,3 Prozent von Thyssen-Krupp hält, doch in Wirklichkeit war er das Gewissen des Konzerns, sein Herz und oft auch sein Hirn. Daß Unternehmensgründer Alfred Krupp 1873 notiert hatte, „der Zweck der Arbeit soll das Gemeinwohl sein“, blieb ihm wichtig.

Durch Beitz erhielt der „Konzern der Kanonenkönige“ ein neues, ziviles Gesicht. Und Beitz stieg zum mächtigsten Industriellen Westdeutschlands auf. Mitten im Kalten Krieg nutzte er seine Position, um der Wirtschaft im Westen die Märkte des Ostblocks zu öffnen – und er ließ sich auch nicht davon beirren, daß ihn die Kanzler Adenauer und Erhard wegen seiner vielen Reisen und Kontakte hinter dem Eisernen Vorhang als „national unzuverlässig“ beschimpften.

Beitz hatte die deutsche Einheit immer im Blick, er dachte aber anders: In der Ost-West-Konfrontation erkannte er mehr die Chancen als die politische Konfrontation. Er wurde als Brückenbauer respektiert und angefeindet zugleich, etwa wenn er vor Kameras mit kommunistischen Machthabern zusammenzutraf. Doch „der letzte Krupp“ war menschlich, politisch wie wirtschaftlich unangreifbar. Er war nie Mitglied einer Partei, der NSDAP schon gar nicht. Im Gegenteil: Beitz hat 1942 bis 1944 Hunderte Juden als „unverzichtbare Rüstungsarbeiter“ deklariert und so vor der Deportation gerettet, als er kaufmännischer Leiter der Karpathen-Öl AG in der einstigen k.u.k. Erdölstadt Borislau südlich von Lemberg war. Von Israel wurde er dafür als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. „Ich mußte es einfach tun“ – das waren die Worte, mit denen er nachher alles begründete. Auch seine pommersche Heimat vergaß Beitz nie: Die Ernst-Moritz-Arndt-Universität und die Stadt Greifswald wurden lange schon vor der Wiedervereinigung unterstützt.

Noch im 100. Lebensjahr ließ Beitz sich jeden Tag in sein Essener Büro fahren. Als mächtiger Stiftungschef befaßte er sich mit den vielen Dingen, für die er zuständig war. Sein Lebensinhalt war das Versprechen, das er dem Stifter gab: sich um den Fortbestand der Firma Krupp zu kümmern: „Die Freundschaft zu Alfried Krupp hat mein Leben entscheidend geprägt. Er wird auch mein Leitbild für meinen künftigen Weg sein“, versprach Beitz 1967 bei der Trauerfeier für Krupp – und er hielt sich bis zum Tod daran.

Als Kuratoriumschef der Krupp-Stiftung übte er auf den Thyssen-Krupp-Konzern mit seinen über 150.000 Beschäftigten entscheidenden Einfluß aus – in guten und in weniger guten Zeiten. Als Testamentsvollstrecker hat Beitz während des Niedergangs der Montanindustrie über fünf Jahrzehnte hinweg den Strukturwandel im Ruhrgebiet wesentlich mitbestimmt und den Umbau zu einer Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturregion mitbetrieben.

„Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben“, bekannte Beitz in einem Interview: „Perikles sagte: ‘Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit! Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut!’ Danach habe ich gehandelt. Den glücklichen Moment muß man packen – und was daraus machen. Natürlich muß man auch den Mut dazu haben. Aber Mut wird belohnt! Das ist meine Erfahrung.“

Foto: Berthold Beitz (r.) mit SED-Chef Honecker: Deutscher Unternehmer ohne ideologische Scheuklappen

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