© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/13 / 09. August 2013

Der Enthüller
Glenn Greenwald, der Mann hinter Edward Snowden, führt einen Feldzug gegen den Überwachungsstaat
Elliot Neaman

Jetzt, da Edward Snowden Wladimir Putin als seinen Beschützer auserkoren hat, bewegt sich die Debatte in den Vereinigten Staaten weg von der Frage, ob er ein Whistleblower oder doch ein Verräter sei. Es geht jetzt um die größeren Themen wie die zukünftige Zusammenarbeit mit Rußland und die Auswirkungen der Spionage-Enthüllungen.

Doch noch eine andere, dringende Frage ist aufgetaucht: Können oder sollen Medien sich um Neutralität bemühen, wenn sie es sind, die die Geheimnisse enthüllen, was dann großen Einfluß auf die öffentliche Meinung hat?

Vor allem der amerikanische Journalist Glenn Greenwald, der für die US-Ausgabe der britischen Tageszeitung The Guardian arbeitet, ist für jene zur Zielscheibe geworden, die die Presse als Teil des Sicherheitslecks darstellen wollen.

Greenwald war Anwalt, bevor er Journalist wurde. Als Jurist war er spezialisiert auf Verfassungsfragen und Bürgerrechte. Er hat vier Bücher geschrieben, die sich alle um dasselbe Thema drehen: Die amerikanische Regierung hat nach dem 11. September im Namen des Kampfes gegen den Terror immer stärker die verfassungsmäßigen Rechte der Amerikaner verletzt, vor allem den vierten Verfassungszusatz, der Schutz vor grundlosen Überwachungen und Durchsuchung garantiert. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Demokraten oder die Republikaner gerade an der Macht waren.

Beim Guardian, der als erster die Informationen von Edward Snowden über den Abhör- und Bespitzelungsskandal veröffentlicht hat, war Greenwald ein nimmermüder Advokat von Snowden. Sein Einsatz ging so weit, daß US-Politiker sogar gefordert haben, ihn wegen „Unterstützung des Feindes“ festzunehmen. Vor einer Woche gab Greenwald im ARD-Morgenmagazin einen seltenen Einblick in sein Leben. Er berichtete, wegen seiner Enthüllungen auch schon von Politikern bedroht worden zu sein. Von wem genau, das sagte er nicht.

Eine der wichtigsten Fragen, die Greenwald immer wieder gestellt wird, ist die, warum Snowden, wenn er sich selbst für einen Whistleblower halte, den Vereinigten Staaten den Rücken gekehrt habe – statt die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.

Kritiker weisen darauf hin, daß einige der Staaten, die er zuerst als Reiseziele in Betracht gezogen habe, kaum demokratisch sind oder die Bürgerrechte schützen: Kuba, Venezuela, China oder Bolivien etwa.

Greenwald reicht diesen Vorwurf weiter an die US-Regierung, indem er sagt, die Verfolgung von Snowden als Verräter sei eine Hexenjagd, durch die die politische Debatte über die unheimliche Macht der NSA unterbunden werde.

Greenwalds Position wurde durch einen Aufsatz eines der berühmtesten US-amerikanischen Whistleblower überhaupt gestärkt: Daniel Ellsberg, der 1971 die Pentagon-Papiere über Amerikas geheimen Krieg in Kambodscha an die New York Times weitergegeben hatte. In einem Meinungsbeitrag berichtet Ellsberg, wie er nacheiner Festnahme aufgrund der Weitergabe der Unterlagen auf Kaution herausgekommen sei und auf Anti-Kriegs-Kundgebungen habe sprechen können. Solche Freiheiten würde Snowden nicht genießen, wenn er in die USA zurückkehrte. Am wahrscheinlichsten wäre es, daß Snowden in dem gleichen Loch enden würde wie der verurteilte US-Soldat Bradley Manning, der in einem amerikanischen Militärgefängnis geschlagen und mißhandelt worden sein soll.

In den vergangenen Wochen hat sich die Sympathie der Öffentlichkeit zugunsten von Snowden und Greenwald verschoben. Ein parteiübergreifender Antrag im Repräsentantenhaus, der die Macht der NSA zu begrenzen suchte, wurde am 24. Juli mit Müh und Not abgewiesen. Libertäre Republikaner und linke Bürgerrechtler hatten sich mit Moderaten aus beiden Parteien verbündet.

Greenwald war geradezu überschwenglich in einer seiner letzten Kolumnen, als er darauf verweisen konnte, daß 56 Prozent der Amerikaner einer Umfrage zufolge glauben, daß die Gerichte sie nicht genug vor dem Abhören und Speichern ihrer Daten durch staatliche Behörden schützen. 70 Prozent gehen sogar davon aus, daß die gesammelten Daten zu anderen Zwecken genutzt werden als für die Terrorbekämpfung.

Es ist eindeutig, daß Enthüllungsjournalisten wie Glenn Greenwald jene Grenze überschritten haben, die eigentlich Nachrichtensammler und Analytiker auf der einen Seite und politische Aktivisten auf der anderen Seite voneinander trennt.

Greenwald behauptet natürlich nicht, ein Agnostiker zu sein, wenn es um die politischen Veränderungen geht, die er durch die NSA-Enthüllungen herbeizuführen hofft. Aber diejenigen, die ihn kritisieren, weil er den Posten des neutralen Beobachters verlassen habe, werden mit ihrem eigenen moralischen Dilemma konfrontiert: Sie behaupten zwar für eine legitime Diskussion über möglichen Machtmißbrauch durch Geheimdienste offen zu sein, vergessen dabei aber, daß es ohne die Greenwalds und Snowdens dieser Welt überhaupt keine Debatte darüber geben würde.

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