© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Grüße aus Moskau
Heimweh an der Algarve
Thomas Fasbender

Portugal. Algarve. Wilde Oliven und Kreuzdorn wachsen wie Pocken aus rotem Sand. Tiefblauer Himmel über tiefblauem Meer. Moskau liegt 4.000 Kilometer im Nordosten. Der Fehler war, eine Ferienwohnung im Zentrum zu mieten. Zweimal am Tag ziehen Besoffene die Straße unter dem Balkon entlang zu den Bars am Strand; gut vorgeglüht am späten Nachmittag, heiser grölend auf dem Rückweg gegen Mitternacht.

Sie grölen auf englisch. Kein Queen’s English, aber es klingt wie Muttersprache. Tagsüber sieht man die Körper dazu. Sie passen zum Vokabular. Krebsrot die Haut, wo sie nicht unter Tätowierungen verschwindet.

Umringt von trunkenen Engländern macht sich Heimweh breit. Gesegnetes Moskau, du bist keine lupenreine Demokratie, aber auch keine Stadt, wo am hellichten Tag lauter Besoffene über die Straße torkeln.

Just da erscheint in der FAZ ein Artikel über den Alkoholkonsum der Russen („Das kettenrauchende Volk im Wodkataumel“). Nun hat niemand behauptet, daß Rußland eine Heimstatt der Abstinenzler sei. Aber daß „die Benebelten zuhauf in den Seen und Flüssen des Landes ertrinken“ und in den Dörfern „oft schon vormittags kein Mann mehr nüchtern anzutreffen“ sei – wie heißt es so schön: Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich.

Man kann einen Gegenstand noch so gut und noch so lange kennen, es gibt immer jemanden, der kommt, schaut sich rasch um und weiß alles besser. Dabei nimmt Rußland in puncto Alkoholkonsum in Europa gerade einmal Platz vier ein: nach Moldawien, Ungarn und Tschechien. Nur wo bleiben die Artikel über die Schnapsleichen auf den Prager Brücken? Oder im Donauwasser zwischen Buda und Pest?

Unten auf der Straße ziehen wieder die Engländer durch. Gleich ein halbes Hundert dieses Mal, Halbwüchsige noch, angeführt von einem breitschultrigen Mädchen, das hoch eine Flagge schwenkt: Beach Club. Sie singen laut und lallend. Portugiesen wechseln die Straßenseite. Saufen macht frei, keine Frage. Aber ist das die Freiheit, die wir wollen? Die Freiheit, die wir brauchen? In London, in durchaus anständigen Stadtteilen, stehen nach Büroschluß die Bankangestellten vor Pubs und Bars auf der Straße, trinken nicht nur ein Bier und reden nicht eben leise. So scheint es üblich im Mutterland der Demokratie. Die Bankangestellten in Moskau würden sich was schämen.

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