© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Ein nie begangenes Attentat
Südtiroler „Bombenjahre“: Eine detaillierte Studie gibt Auskunft über die bedenkliche Rolle des italienischen Geheimdienstes auf der Porzescharte im Jahr 1967
Reinhard Liesing

Die Genugtuung ist Erhard Hartung anzusehen. Ebenso wie Peter Kienesberger und Egon Kufner, zwei Kameraden aus dem Kreis einstiger Südtirol-Aktivisten, widerfährt ihm aufgrund von Forschungsergebnissen des österreichischen Militärhistorikers Hubert Speckner endlich Gerechtigkeit.

In jungen Jahren hatte sich der Sproß einer alteingesessenen Tiroler Familie im legendären BAS engagiert, dem „Befreiungsausschuß Südtirol“ wagemutiger Kämpfer für die Einheit des nach dem Ersten Weltkrieg geteilten Tirol. Diese Idealisten wollten – vor allem in den 1960er Jahren – mittels Anschlägen auf italienische Einrichtungen die Weltöffentlichkeit auf das nicht anders als „Besatzungsregime“ zu nennende Gebaren Italiens in Südtirol aufmerksam machen und traten für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts ein.

Am Abend des 24. Juni 1967 stiegen die drei zur Porzescharte auf, zum Grenzkamm zwischen dem Osttiroler Bezirk Lienz und der italienischen Provinz Belluno. Dort sollte die Gruppe, wie Kienesberger berichtet, mit von der italienischen Seite der Grenze aus aufgestiegenen BAS-Aktivisten aus Südtirol Kontakt aufnehmen und einen verwundeten Kameraden zur Behandlung nach Österreich bringen.

Als das vereinbarte Funkkontaktsignal ausblieb und stattdessen das kurze Aufleuchten eines Lichts zu sehen war, vermutete Kienesberger eine Falle des italienischen Geheimdienstes, brach das Vorhaben ab und kehrte mit seinen Kameraden zu deren Ausgangspunkt in der Gemeinde Obertilliach zurück, wo sie eine Stunde nach Mitternacht jenes Fahrzeug bestiegen, mit dem sie gekommen waren.

Just am Morgen des 25. Juni sollen – den offiziellen Ermittlungen zufolge – auf der Porzescharte vier italienische Soldaten zu Tode gekommen sein. Aufgeschreckt durch eine nächtliche Detonation seien sie zum Grenzübergang geeilt, wo – wie im Jahr zuvor – ein Strommast gesprengt worden war. Einer der Männer, der Alpini-Soldat Armando Piva, war demnach durch eine vergrabene Sprengfalle schwer verletzt worden und noch am selben Tag gestorben. Einer eingeflogenen Spezialeinheit soll dasselbe passiert sein: Carabinieri-Hauptmann Francesco Gentile und die Fallschirmjäger Mario di Lecce und Olivo Dordi hätten eine zweite Sprengfalle ausgelöst und seien dabei getötet, ein vierter Soldat, Marcello Fagnani, schwer verwundet worden.

Des von Politikern und Medien so genannten „blutigsten Attentats des Südtirol-Terrorismus“ wurden der im Zusammenhang mit früheren BAS-Aktionen namhafte Elektrotechniker Kienesberger, der bis dahin unauffällige Arzt Erhard Hartung sowie der Unteroffizier des österreichischen Bundesheeres Kufner bezichtigt und schließlich angeklagt.

In Florenz wurden Kienesberger und Hartung zu lebenslänglicher, Kufner zu 24 Jahren Haft verurteilt; die Urteilssprüche ergingen 1971 in Abwesenheit der Angeklagten und fußten auf Gesetzen aus der Zeit des Faschismus. Aufgrund von Erkenntnissen deutscher und österreichischer Höchstgerichte verstieß das florentinische Verfahren ebenso wie andere vor italienischen Gerichten geführte Südtirol-Prozesse vor allem dadurch, daß die Angeklagten nicht zur Hauptverhandlung geladen wurden und ihnen weder die Anklageschrift noch das Urteil zugestellt worden war, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

In Österreich wurden die drei hingegen freigesprochen. Der Freispruch war – wider alle staatsanwaltschaftlichen Bemühungen, die Täter mittels Schuldnachweis zu überführen – auf das durch Gutachten untermauerte Hauptargument der Verteidigung zurückzuführen, wonach die ihnen zur Last gelegten Taten im vorgegebenen Zeitrahmen nicht hatten durchgeführt werden können. Wozu die Anwälte ein Weg-Zeit-Diagramm ins Feld geführt hatten, mit dem sie die Geschworenen für ein in dubio pro reo gewinnen konnten.

Die italienische Verurteilung ist indes nach wie vor in Kraft. Die drei gelten als „Terroristen“. Dies nicht nur in Italien, wo sie bei Einreise mit ihrer Verhaftung rechnen müssen, sondern auch weithin in der Publizistik sowie in der wissenschaftlichen Südtirol-Historiographie.

Ein Unding für Speckner, der sich drei Jahre lang intensiv mit der „Causa Porzescharte“ befaßte und Ende Juli in Wien sein Buch „Zwischen Porze und Roßkarspitz“ der Öffentlichkeit vorstellte.

Für seine Recherche sichtete der Historiker alle verfügbaren österreichischen Akten – einschließlich der für die Republik Österreich „sicherheitsrelevanten“ und „streng geheimen“. So die Protokolle der Geheimverhandlungen zwischen den österreichischen und italienischen Sicherheitsbehörden in Zürich (ab Sommer 1966), von denen das österreichische Parlament und Justizministerium allenfalls marginal in Kenntnis waren und die selbst den Anwälten der Beschuldigten seinerzeit vorenthalten wurden. Methodisch vorbildlich aufbereitet und ausgewertet sowie nach zwei ausführlichen Ortsbegehungen mit Fachleuten kommt Speckner zu dem Ergebnis, daß es höchst zweifelhaft sei, ob die vier Opfer überhaupt auf der Porzescharte zu Tode gekommen waren.

Dem nicht genug. Aus Speckners Untersuchungen geht hervor, daß sich in den damaligen Erhebungen zahlreiche Unstimmigkeiten finden und daß sich vieles von dem, was den damaligen Verfahren gegen die „Attentäter“ zugrunde gelegt worden war, so nicht ereignet haben konnte.

Weder die österreichische noch die italienische Seite hatten Totenscheine, Obduktionsbefunde oder eine amtliche Tatortbeschreibung in den in Österreich geführten Verfahren vorgelegt. Zeugen aus Österreich, wie Innenminister Franz Hetzenauer, und der Osttiroler Bezirks-hauptmann Othmar Doblander, die nach der Tat unabhängig voneinander den Tatort besichtigten, wurden nicht zu den Prozessen geladen.

Hartung, pensionierter Anästhesie-Professor der Uni-Klinik Düsseldorf, sagt frei heraus, was Speckners Forschungen bestätigen: „Die Berichte dieser Persönlichkeiten wurden offensichtlich bewußt zurückgehalten. Sie belegen, daß der angebliche Tatort ungeschützt war und anders ausgesehen hat, als er Tage später von einer italienisch-österreichischen Kommission vorgefunden wurde.“

Der ehemalige österreichische Justizminister Hans Richard Klecatsky ist heute wie damals davon überzeugt, daß es sich bei dem „angeblichen Attentat um eine rein inneritalienische Manipulation auf der Porzescharte“ handelte. Plausibel begründet lautet daher eine von Speckners Schlußfolgerungen, daß die Soldaten vielmehr auf dem unweit gelegenen Kreuzbergsattel, wo laut Zeugenaussagen eine Verminungsübung italienischer Heereseinheiten stattgefunden hatte, einem Unfall zum Opfer gefallen und herbeigeschafft worden sein könnten, um im damals angespannten bilateralen Verhältnis Rom-Wien Österreich der „Begünstigung von Terroristen“, ja selbst des „Staatsterrorismus“ zu bezichtigen.

Das „Porze-Attentat“ hatte Italien, das Gründungsmitglied, seinerzeit zum Vorwand genommen, um sein Veto gegen den Beginn von Verhandlungen über Österreichs EWG-Assoziierungsbegehr einzulegen. Es paßte im Rahmen der gesamten Südtirol-Problematik auch gut in die „Strategie der Spannung“.

Mit der „strategia della tensione“ trachteten verschwörerische Kreise – organisiert in geheim(bündlerisch)en Vereinigungen neofaschistischen Zuschnitts wie „Ordine Nuovo“ und „Avanguardia Nazionale“, aber auch verankert in Teilen italienischer Dienste sowie des geheimen „Gladio“-Netzwerks des Militärs – danach, die gesellschaftliche Unterfütterung für einen (letztlich erfolglos gebliebenen) Wechsel in Italien hin zu einem autoritären Regime zu bereiten.

An führender Stelle in Südtirol wirkte dabei das Gladio-Mitglied Silvano Russomanno mit, der just in den Zürcher Geheimgesprächen den Vertretern österreichischer Sicherheitsbehörden gegenübersaß. War es zum einen das Ziel italienischer Dienste, mittels fingierter Anschläge die Südtiroler Freiheitskämpfer zu diskreditieren und – nicht ohne Wissen und Zustimmung, ja sogar auf Geheiß politischer Verantwortungsträger – damit politisch Druck auf Österreich auszuüben, so hatten darin involvierte oder gar Regie führende Leute des Gladio-Netzwerks als Teil der geheimen italienischen „Stay behind“-Einheiten ein zusätzliches Interesse, damit die Spannungsmomente zu erhöhen, ein Bedrohungsbild zu erzeugen und die Südtirol-Aktionen im Sinne ihrer Umsturzpläne zu instrumentalisieren. Es gab daher im Rahmen der „Strategie der Spannung“ durchaus nicht wenige „getürkte“ (versuchte) Attentate, von denen Senator Marco Boato im 1992 veröffentlichten parlamentarischen Untersuchungsbericht auch auf Südtirol bezogene auflisten ließ. Aufschlußreich sind Passagen, in denen die Namen der besonders in die Südtirol-Aktionen involvierten Personen aufgelistet sind – zu ihnen zählt besagter Russomanno – und in denen der Carabinieri-Oberst Amos Spiazzi davon spricht, daß „der Staatsapparat in den Südtirol-Terrorismus involviert gewesen“ sei.

Die angebliche Täterschaft bedurfte im Licht all dieser damals aufwühlenden Vorgänge zwingend einer neuen Durchleuchtung. Speckners detailliertes Buch setzt Zeichen. Es fördert neue Einsichten und Erkenntnisse zutage, an denen in Zukunft niemand vorbeikommen wird, der ernst genommen werden will. Sie führen vielleicht nicht zuletzt auch dazu, jenes florentinische Urteil aus der Welt zu schaffen, mit dem Hartung, Kienesberger und Kufner 1971 zu Mördern abgestempelt wurden.

Hubert Speckner: „Zwischen Porze und Roßkarspitz …“ . Verlag Gra&Wis, Wien 2013, gebunden, 368 Seiten, 29,70 Euro

 

Buchautor Oberst Hubert Speckner

Der Autor des Buches „Zwischen Porze und Roßkarspitz ... Der ‘Vorfall’ vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten“ wurde 1958 in Melk an der Donau geboren. Er studierte Geschichte und Germanistik an der Universiät Innsbruck. Ab 1990 diente er im Landwehrstammregiment 91, Jägerregiment 9 und im Militärkommando Vorarlberg als Referatsleiter Territorial. Speckner promovierte im Jahr 2000. Thema der Dissertation: „Die Kriegsgefangenenlager der Deutschen Wehrmacht in der ‚Ostmark‘ 1939 bis 1945“. Seit 2000 war der Autor zudem Referatsleiter in der Militärgeschichtlichen Forschungsabteilung (MGFA) des Heeresgeschichtlichen Museums und ist seit 2004 stellvertretender Abteilungsleiter der MGFA.

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