© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Das einfache Leben
Wiederentdeckt: Hans Thoma in einer großen Ausstellung im Städel
Claus-M. Wolfschlag

Es ist dem Frankfurter Städel Museum hoch anzurechnen, daß es sich in einer größeren Schau der Arbeit Hans Thomas widmet. Thomas’ Gemälde galten um 1900 als der Inbegriff „deutscher Kunst“. In Meyers Großem Konversations-Lexikon wurde Thoma 1909 aufgrund seiner Popularität als „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“ bezeichnet. Zugleich ist der Künstler auch ein Beispiel für die Entfremdung der Deutschen von ihrer Seele. Seit 1945 ist er nämlich beinahe in Vergessenheit geraten, und so ist die Frankfurter Ausstellung auch die erste Museumsschau seit über zwanzig Jahren.

Auf den heutigen Betrachter wirken Thomas Bilder auf den ersten Blick völlig harmlos. Nicht einmal das soziale Pathos des Realismus oder eine Prise französischer Erotik sind auf den über hundert gezeigten Gemälden und Druckgrafiken zu finden. Anders betrachtet, könnte man die Bilder aber auch als kompletten Gegenentwurf zur heutigen Lebenswirklichkeit verstehen. Und darin entfalten sie bis in unsere Tage eine sicherlich ungewollte politische Brisanz.

Man sieht einen Reigen tanzender Landkinder, eine Frau in Tracht beim Füttern der Hühner und eine beim Blumenpflücken auf einer Wiese, einen Hochzeitszug zwischen goldgelben Feldern, ein Bauernpaar mit Sense im hohen Getreide, auf einer Wiese spielende Geschwister, während im Hintergrund ein Schäfer mit Herde vorbeizieht. Thoma hat das einfache Land- und Familienleben skizziert, in das die Moderne mit ihrer Industrialisierung des Lebens noch nicht Einzug gehalten hat.

In den Anfangsjahren erntete er für seine Darstellungen von Natur und heimatlicher Lebenswelt allerdings Hohn, denn die Szenen wurden als banal empfunden. Die Industrialisierung zeigte damals in Deutschland noch nicht ihre Wucht, und die Welt der Antike dominierte noch die Kunstakademien. Das wandelte sich in der wilhelminischen Ära, als das zunehmend kulturpessimistische Bürgertum in Thomas Bildern jenen Bezug zur Ursprünglichkeit und Heimat entdeckte, der durch den Einzug der kapitalistischen Moderne zunehmend zerstört wurde.

Die Bilder wirken, „als seien sie aus der Zeit gefallen“, schreibt Felix Krämer im reich bebilderten Ausstellungskatalog. „Das, was zunächst als alltäglich gescholten wurde, wird plötzlich als heimatliches Sehnsuchtsbild nach einem einfachen, naturnahen Leben rezipiert; aus naiv wird wahrhaftig, aus banal poetisch.“

Thoma wurde so zum Inbegriff des tiefsinnigen Deutschtums, abgegrenzt von der modernen, impressionistischen französischen Kunst. Und so überrascht es nicht, daß bald die konservative, kulturkritische Kunstkritik die Bilder des „deutschen Volkskünstlers“ feierte, Thoma sich selbst auf „deutsche Art und deutsches Wesen“ berief, während er bei den Anhängern der liberalen Moderne wegen „falscher Deutschtümelei“ auf Ablehnung stieß. Die nationalsozialistische Kulturpolitik feierte Thoma postum als Ahnherrn „einer neuen Zeit“, und ein gewisser Einfluß auf viele Maler der NS-Zeit mag auch erkennbar sein.

Somit überrascht es nicht, daß Thoma nach 1945 wieder auf Ablehnung stieß und fast völlig in Vergessenheit geriet. Zu wenig passen seine bäuerlichen Szenen, aber auch seine Ritter, Putten, tanzenden Meerweiber, die Walküren, Nornen oder der mehrfach gearbeitete einäugige Wotan in unsere Zeit der grellen technischen Reize, der schnellen Comics, bizarren Großstadtszenen oder Sperrmüll-Installationen. Thoma zeigt in schönen Bildern die Welt des einfachen Lebens, der Familie, der Gemeinschaft, der Heimat. Ohne politische Kunst sein zu wollen, ist sein Werk dadurch auch ein Politikum geworden.

Die Frankfurter Ausstellung und der zugehörige Katalog versuchen eine Gratwanderung. Einerseits verschweigen sie nicht die politischen Auseinandersetzungen um Thomas Arbeiten, andererseits bemühen sie sich erfolgreich, den Blick weg von manch alten ideologischen Fronten auf das Werk an sich zu lenken. Das Ergebnis ist eine gelungene Wiederentdeckung.

Die Ausstellung „Hans Thoma – Lieblingsmaler des deutschen Volkes“ ist bis zum 29. September im Frankfurter Städel Museum, Schaumainkai 63, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi./Do. bis 21 Uhr zu sehen. Der Katalog (Wienand Verlag, Köln, 157 Seiten, zahlreiche Abbildungen) kostet 24,90 Euro.

www.staedelmuseum.de

Foto: Hans Thoma,Auf der Waldwiese,Öl auf Leinwand 1876:Thoma wurde 1839 in Bernau im Schwarzwald geboren. Nach dem Abschluß des Studiums 1866 ging er nach Basel, Düsseldorf, Paris (wo ihn die Werke Gustave Courbets begeisterten) und München. Dort bewegte er sich im Umkreis Wilhelm Leibls und lernte den Symbolisten Arnold Böcklin kennen, der Thoma zur Beschäftigung mit allegorisch-mythologischen Stoffen inspirierte. Die zwanzig folgenden Jahre lebte Thoma in Frankfurt am Main und fand dort erstmals einflußreiche Gönner. Der Durchbruch gelang ihm 1890 mit einer Ausstellung in München. Thoma gelangte in Kontakt zu Cosima Wagner, gestaltete Wanddekorationen für Wagner-Opern, Kostümentwürfe und einen Gemäldezyklus zum „Ring der Nibelungen“. Als er 1924 in Karlsruhe starb, hatte Thoma zahlreiche Streits der Kunstkritik erlebt, und weitere Interpretationen, Inanspruchnahmen und Distanzierungen sollten noch folgen.

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