© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Es fehlt der Mut, zu den eigenen Überzeugungen zu stehen
Der Untergang des Abendlandes ist denkbar: Eine Diskussion über die christlichen Fundamente Europas / Der Islam und die Feuerprobe der Aufklärung
Justus Lange

Zyniker läßt die Debatte um Europas christliche Wurzeln herzlich kalt. Denn ihnen ist der „Untergang des Abendlandes“ gewiß, ob mit oder ohne Christentum. In der protestantischen Kirche indes scheint man derzeit ein wenig optimistischer gestimmt und lädt in der Monatsschrift Zeitzeichen (6/2013) ein zur Erörterung der Frage, ob das „Projekt Europa“ auf ein christliches Fundament verzichten kann. Zu Worte kommt die Kieler Strafrechtlerin Monika Frommel, Atheistin und Multikulti-Enthusiastin, für die Christliches das „pluralistische Zusammenleben“ nur stört. Ihr bietet der konservative Publizist Alexander Gauland Paroli, der Europa nicht einmal für „denkmöglich“ hält, sollte es seine christlichen Wurzeln kappen.

Zwischen diesen Extremen siedelt sich der Potsdamer Rabbiner Walter Homolka an, dem die heute übliche Floskel vom „jüdisch-christlichen Abendland“ mißfällt, weil sie das jüdische Erbe des Kontinents zur „Vorform“ des Christentums degradiere, und der Lessings Ring-Parabel strapaziert, um für das „zivilisatorische“ Potential der drei monotheistischen Religionen zu werben, die künftig helfen sollen, den Europäern „Werte“ zu vermitteln. Um bei dieser „Mitgestaltung des europäischen Wertesystems“ dabeisein zu dürfen, müsse der Islam sich freilich erst der Feuerprobe der Aufklärung unterziehen, die Christen und Juden schon bestanden hätten, weil sie dem Primat der Vernunft gehorchten. Mutiert der Islam also zum „Euro-Islam mit menschlichem Antlitz“, legt Homolka auch realpolitische Konsequenzen nahe. Die spricht Altbischof Wolfgang Huber deutlich aus: EU-Beitritt der Türkei.

Doch anders als Homolka und der naive Konstanzer Neuhistoriker Rudolf Schlögl, der die „Verschiedenheiten“ der Religionen gern abschleifen möchte, damit sie sich „produktiv miteinander“ in einer quasi christlich-islamischen Ökumene „verbinden“, zeigt der gewöhnlich nach „allen Richtungen offene“ Huber überraschend Nerven. Natürlich gehöre eine große Zahl von Muslimen „zu Deutschland und zu Europa“. Und sie verdienten „volle Gleichberechtigung und Anerkennung“. Aber die Türkei „gleich auch noch in die Europäische Union aufzunehmen“, das sei „mit Sicherheit zuviel“. Lieber solle man sich mit der Ausgestaltung erträglicher Nachbarschaftsbeziehungen begnügen.

Gut verpackt in neuprotestantische Kuschelrhetorik, die den bescheidenen Beitrag des Islam zur geistigen Geschichte Europas über Gebühr rühmt und als „hoch zu respektieren“ anerkennen möchte, ist Huber aber Theologe genug, um die unübersteigbaren Grenzen zwischen europäischem Christentum und orientalischem Islam nicht zu ignorieren. Denn im Unterschied zu Juden und Christen seien Muslime in einer ahistorischen Rezeption ihres heiligen Buches befangen. Es gebe für sie nur eine normative Interpretation des Korans, keine historisch-kritische. Das schließt, den Illusionen Homolkas und Schlögls zum Trotz, religiöse Toleranz aus. Wer aber Religionsfreiheit nur als Freiheit der Konversion zum Islam verstehe, der „ist kein Teil der europäischen Kultur“. Vielleicht durchlaufe der Islam einen ähnlichen Prozeß, wie ihn die christlichen Kirchen Europas schon hinter sich haben, aber mehr als eine Hoffnung sei das heute nicht.

Das zum Fanatismus neigende, normative Verständnis des Korans verschafft Muslimen in der Konkurrenz der Religionen jedoch einen klaren Wettbewerbsvorteil: jene unerschütterliche Glaubensgewißheit, die der moderne Christ als „mittelalterlich“ empfindet. Aus Hubers Sicht steckt daher im aufgeklärten Relativismus, in dem vor allem die „Grundüberzeugungen“ von Protestanten „befangen“ seien, die größte Gefahr für die geistige Kultur Europas. Christlich werde das Abendland eben nur bleiben, wenn Christen, bei aller Toleranz, mehr Mut aufbrächten, zum eigenen Glauben zu stehen.

Einmal abgesehen davon, daß Huber während seiner Amtszeit als Berliner Bischof und als EKD-Ratsvorsitzender diesen Mut gut verborgen hat, bleibt auch jetzt unklar, wie denn im reißenden Strom der Säkularisierung christliche Positionen zu befestigen sind, zumal sich kollektives Bewußtsein bekanntlich nicht vererben läßt. Daher ist die Lage prekär, wie Alexander Gauland warnt. Der Untergang sei denkbar, da lediglich „noch“ christliche Lebens- und Glaubensideale den „kulturellen Raum“ Europas durchdringen. Deren Auflösung käme der „Zerstörung unserer Identität“ gleich, und das christlich-abendländische Europa sei dann ebenso Geschichte wie die Reiche der Pharaonen.

Das ist zweifellos richtig, erklärt aber weder, sowenig wie Hubers Appell an den Mut der Gläubigen, unter welchen Voraussetzungen Regeneration und kontinuierliche Überlieferung christlicher „Grundüberzeugungen“ gelingen kann, noch dürfte dies Anwälte areligiöser „Wertegemeinschaften“ wie Monika Frommel oder gar Streiter für ein Europa unter der Fahne des Propheten entmutigen, die auf tradierte „Identitäten“ gern verzichten.

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