© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Sehnsucht nach der natürlichen Ordnung
Markus Henkels Dissertation über Oswald Spengler politische Konzeptionen zwischen 1910 und 1925
Uwe Ullrich

Noch immer ist Oswald Spenglers Buchtitel „Der Untergang des Abendlandes“ aktuelles Stichwort für den gefühlten Zustand der krisengeschüttelten europäischen Verhältnisse. Sie sind zwar unterschiedlicher Natur, zeigen aber, daß die Voraussetzungen für das politisch-wirtschaftlich erhoffte Zusammenwachsen des Kontinents nicht erfüllt sind und trotz staatlicher Einflußnahmen noch in weiter Ferne liegen. Zu sehr differieren die nationalen Interessen und verhindern so das Einigungsbestreben.

In die Vielzahl der theoretischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahrzehnte um Leben, Werk und Wirkung des Kulturphilosophen Spengler reiht sich Markus Henkels Dissertation ein. Seine Studie konzentriert sich auf den Zeitraum zwischen 1910 und 1925. Im Mittelpunkt seiner Ausarbeitung stehen dessen politische Vorstellungen, Konzeptionen und Vorhaben vor Beginn des Ersten Weltkrieges sowie die Revolutionszeit 1918/19, der nach 1923 die Konsolidierungsphase der Weimarer Republik folgte.

Die zeitliche Eingrenzung bezweckt zwei Ziele. Einerseits beschreibt Henkel den Zeitraum, in dem Spengler politisch agierte, wobei im Vordergrund steht, welche Entwicklungen und Wandlungen er durchlief. Andererseits soll nicht die politische Ideengeschichte nochmals repetiert werden, sondern sein politisches Handeln im Rahmen gesellschaftlicher Visionen wirtschaftlicher Interessenverbände und Parteien seiner Epoche beleuchtet werden.

Es ist „die Rekonstruktion eines verhängnisvollen individuellen Irrwegs, der zugleich gekennzeichnet ist vom (elementaren) Scheitern des europäischen Integrationsprozesses der Zwischenkriegszeit an den nationalen Prärogativen (Vorrecht) der zeitgenössischen Außen- und Wirtschaftspolitik der europäischen Großmächte“. Gleichzeitig verweist Henkel darauf, daß er die Verdienste seines Protagonisten weder für die moderne Wissenschaft noch für die abendländische Philosophie sieht, sondern ausschließlich seine Bedeutung für die politische Kultur- und Mentalitätsgeschichte.

Grundsätzlich waren Spengler völkisch-nationale Weltanschauung oder „Gutmenschentum“ bürgerlicher Idealisten, die Vorstellungen über soziale Gerechtigkeit entwickelten, suspekt. Sein Denken war rückwärtsgewandt. Er orientierte sich immer an den Traditionen spezifisch deutscher Kulturgeschichte. Sein Ziel war die Bewahrung etablierter und als nützlich erachteter Werte, welche er auf eine „natürliche“ und historisch gewachsene Ordnung zurückführte. Allerdings beseelte ihn gleichzeitig sein fester Glaube an eine dominante Dynamik in den menschlichen Beziehungen, die das Festhalten am Herkömmlichen nicht zuließ. Spengler setzte als seine Prämisse und Notwendigkeit die ständig zu erfolgende Anpassung sowie die Weiterentwicklung des politischen Systems und des politischen Handelns. Er wollte damit mehr als auf die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu reagieren.

Revolutionär stellt sich im Rückblick Oswald Spenglers Denken insofern dar, weil der Denker keiner Autorität Respekt zollte. Er hielt im Innersten an seiner Vorstellung vom starken Staat und jener Gestaltungskraft, die der Politik innewohnt, fest. Sein zeitweiliger Einfluß auf die Eliten der Weimarer Republik, denen er sich besonders verpflichtet fühlte, schwand zusehends, als sich Mitte der zwanziger Jahre Deutschland wirtschaftlich erholte. Vergessen war dessen Wirken nach 1933 nicht, denn mit seinem Tod im Mai 1936 begannen die ersten Gerüchte zu kursieren, er sei Opfer der Nationalsozialisten geworden, weil sie seine Schriften, insbesondere den publizistischen Erfolg „Jahre der Entscheidung“ (1933), und seinen Einfluß fürchteten.

Markus Henkels Dissertation gliedert sich in drei logisch aufeinander bezogene Hauptkapitel. Den Einstieg findet der Autor nach einer konzentrierten Einführung in der unumgänglichen biographisch-zeitgeschichtlichen Einordnung Oswald Spenglers vor dem Ersten Weltkrieg. Ihr folgt die Analyse der Weltanschauung seines Untersuchungsobjektes, der als Schlußpunkt der Nachvollzug des ideellen Übergangs vom „Untergangsphilosophen“ zum „konservativen Revolutionär“ folgt. Überzeugend plädiert Henkel für die sachliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Ideenwelt Oswald Spenglers, weil hier offensichtlich wird, wie sich zeitgeschichtlich individuelle Sichtweisen mit gesellschaftspolitischen Erfordernissen auch heute noch unübersehbar überschneiden.

Lebendig bleibe Spenglers Weltsicht, der als Erfolgsprinzipien „Ideen, Autorität und Tatkraft“ für die Zukunft einforderte, da die seit Jahren anhaltende Diskussion um „Versäumnisse westlicher Kuschel-Pädagogik angesichts der sich abzeichnenden fernöstlichen Herausforderungen“ bislang nicht zu greifbaren und nachhaltigen Ergebnissen führte. Schuld daran, so befindet HenkeL, seien die Eliten. Seiner Meinung nach wären sie zwar jung und leistungsbereit, zukunftsoffen am Wettbewerb orientiert, aber ziemlich ungebildet und vollkommen traditionslos.

Markus Henkel: Nationalkonservative Politik und mediale Repräsentation. Nomos Verlag, Baden-Baden 2012, broschiert, 504 Seiten, 89 Euro

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