© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Der Flaneur
Ritter ohne Kinder gesucht
Paul Leonhard

Erst ist nur die Silhouette zu sehen. Eine Frau hat das Tonnengewölbe betreten, in dessen Hintergrund der Dichter in seiner Küche sitzt. Da tönt es schon: „Hallo, ihr Lieben, geht es euch gut?“ Lisa ist zurück. Die langbeinige Russin, die anderthalb Jahre mit ihrer Fröhlichkeit die Kleinstadt aufgemischt hatte. Ein luftiges Sommerkleid trägt sie heute, die dunklen Haare fallen offen. Welch ein Blickfang. Nicht nur die Augen des Dichters leuchten auf. „Hast du zurückgefunden?“ fragt er hoffnungsvoll. „Wie ist das Leben in der Großstadt?“

Lisa winkt ab. Einsam sei es, langweilig. Keine Männer. Der Dichter will es nicht glauben. Eine Großstadt und keine Männer? Natürlich gebe es sie, sehr schöne und interessante sogar, aber sie lerne keinen kennen. „Die machen alle große Augen, aber getrauen sich nicht, mich anzusprechen“, sagt Lisa. Mehrfach hätten ihr Kolleginnen im Friseursalon erzählt, daß sich der eine oder andere Kunde nach ihr erkundigt habe, aber das war es dann auch. Keine heimlich zugesteckte Telefonnummer oder so. Auch der nette Kollege, der sie, wenn er sich unbeobachtet glaube, anschmachte, sei zwar auf ihre Bitte mit auf eine Zigarette vor die Tür gekommen, aber das war dann alles. Lisa seufzt. Man habe draußen gestanden, geraucht und sich angeschwiegen. Keine Einladung zum Essen, ins Kino, zum Tanzen. Nicht einmal ein Kompliment.

Der Dichter tastet sie mit Blicken ab: „Das mußt du verstehen, die haben Angst.“ Ein falsch verstandener Flirtversuch und schon habe man den Staatsanwalt am Hals. Lisa zeigt ihm einen Vogel. „Frauen brauchen Komplimente. Damit ihr uns bewundert, machen wir uns doch schön.“ „In Deutschland sind die Männer keine mehr, wenn dir einer gefällt, mußt du ihn ansprechen“, verrät der Dichter. Lisa schaut empört: „Nie, ich bin eine Frau, ich will einen Ritter, der wenigstens den Mut zum ersten Schritt hat.“ 35 Jahre sollte der sein und noch keine Kinder haben. „Das ist schwierig“, sagt der Dichter und rutscht im Sessel zusammen. Er ist zwar solo, geht aber auf die Fünfzig zu und hat mindestens fünf Kinder.

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