© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Hinhaltender Widerstand
Grüne: Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck hält sich bei der Aufklärung der pädosexuellen Verstrickungen seiner Partei bedeckt
Felix Krautkrämer

Die Arbeit mit Opferhilfe-Organisationen habe ihm die Augen geöffnet, erzählt Volker Beck. Zuvor habe er die Auffassung vertreten, „daß sexueller Mißbrauch und manche pädophile Handlung unterschiedliche Tatbestände seien“, gestand der engagierte Schwulenaktivist und Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion im Mai im Interview mit der Frankfurter Rundschau. Doch seit Ende der achtziger Jahre sehe er dies anders. „Seitdem sage ich ganz klar: Praktizierte Pädophilie ist in jedem Fall ein Verbrechen.“

Das klang 1988 noch anders. Damals verfaßte Beck einen Beitrag für das Pädophilie romantisierende Buch „Der pädosexuelle Komplex“, einen Sammelband, in dem unter anderem über „Liebesbeziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen“ phantasiert wurde. Beck arbeitete zu dieser Zeit für das Schwulenreferat der Grünen-Bundestagsfraktion und wurde in der Einleitung des Textes als „Sexualpolitiker“ vorgestellt, dessen Sicht eine andere sei als die des Sexualwissenschaftlers oder Strafrechtlers. Ihm ging es um das politisch Machbare. Deswegen sprach er sich auch in seinem Beitrag „Das Strafrecht ändern? Plädoyer für eine realistische Neuorientierung der Sexualpolitik“ gegen eine ersatzlose Streichung des Sexualstrafrechts aus. Zu gut war ihm noch in Erinnerung, daß die Grünen 1985 den Einzug in den Landtag von Nord-rhein-Westfalen verpaßten, weil sie zu freimütig über die Legalisierung von Sex mit Kindern diskutiert hatten. Schon allein aus strategischer Sicht mußte Beck also gegen eine völlige Straffreiheit von Pädophilie sein. Dennoch finden sich in seinem Text mehrere Passagen, in denen er ein seltsames Verständnis für die Anliegen von Päderasten offenbart. So warb Beck unter anderem dafür, „das jetzige ‘Schutzalter’ von 14 Jahren zur Disposition“ zu stellen und hielt eine „Entkriminalisierung der Pädosexualiät“ angesichts „ihrer globalen Kriminalisierung“ für „dringend erforderlich“. Zudem sei die „Mobilisierung der Schwulenbewegung“ für die Gleichstellung von Homo- und Heterosexualität eine Voraussetzung, „um eines Tages den Kampf für die zumindest teilweise Entkriminalisierung der Pädosexualität aufnehmen zu können“.

Heute möchte Beck mit dem damaligen Artikel nur noch ungern konfrontiert werden. Auf Anfragen antwortet er – wenn überhaupt – mit der immer gleichen Erklärung. Sein Text sei verfälscht und ohne Autorisierung abgedruckt worden. Das Justitiariat der Grünen-Fraktion sei damals erfolgreich gegen eine Neuauflage des Buches vorgegangen. „Unterlagen aus dieser Zeit vor 25 Jahren liegen mir nicht vor. Heute ärgere ich mich, daß ich Skripte und andere Unterlagen von damals nicht besser gesichert und aufbewahrt habe“, schreibt Beck auf seiner Internetseite. Nachfragen hierzu beantwortet Beck nicht.

Einen Fragenkatalog der JUNGEN FREIHEIT ließ der Grünen-Politiker ebenfalls unbeantwortet. Somit bleibt weiterhin unklar, wie es überhaupt dazu kam, daß Beck einen Beitrag für das Pädophilie-Buch beisteuerte und ob er diesen als Privatperson oder als Schwulenreferent im Auftrag der Fraktion verfaßte. Daran schließt sich die Frage an, warum das Justitiariat der Grünen-Fraktion seinerzeit tätig wurde, wenn es sich um einen privaten Rechtsstreit zwischen Beck und dem Verlag beziehungsweise dem Herausgeber Angelo Leopardi handelte. Und wieso ging Beck lediglich gegen eine Neuauflage des Buchs vor und nicht gegen das Werk an sich direkt nach dessen Erscheinen? Er mußte doch bemerkt haben, daß sein Aufsatz verändert und zwischen Beiträgen über die Phantasien pädophiler Männer sowie Bildern halbnackter Kinder veröffentlicht worden war. Auch schweigt sich Beck beharrlich darüber aus, an welchen Stellen sein Text gegen seinen Willen verändert wurde und ob die Kernforderung des Beitrags, eine zumindest teilweise „Entkriminalisierung“ der Pädophilie, von ihm erhoben wurde. Unklar ist zudem, wer die Rechte an dem Text besitzt. Der Foerster-Verlag, der heute als Foerster Media Schwulen-Pornographie vertreibt, oder Beck als Autor. Gegenüber der Jungen Union Bayern, die den Aufsatz einige Zeit ins Internet gestellt hatte, machte Beck zumindest eine Verletzung seiner Urheberpersönlichkeitsrechte geltend, mit Erfolg. Der Unionsnachwuchs mußte den Beitrag wieder aus dem Netz nehmen.

Auf all diese Fragen verweigert Beck eine Antwort. Herausgeber Leopardi, ein Pseudonym des Soziologen Joachim Stephan Hohmann, verstarb 1999. Eine Stellungnahme des Foerster-Verlags, der heute in Österreich sitzt, lag bis zum Redaktionsschluß noch nicht vor.

Auskunft könnte möglicherweise die Forschungsgruppe um den Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter geben, der im Auftrag der Grünen die pädophilen Verstrickungen der Partei untersucht. Beispielsweise, ob er und seine Mitarbeiter bei ihren Forschungen auf weitere Äußerungen gestoßen sind, in denen Beck sich für eine „Entkriminalisierung“ der Pädophilie aussprach. Und ob es entsprechende Diskussionsrunden, gerade in der Schwulenbewegung der achtziger Jahre gab, an denen sich der Grünen-Politiker beteiligte. Doch Anfragen wollen die Wissenschaftler derzeit nicht beantworten. Gegenüber der JF verwies ein Mitarbeiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung auf eine Stellungnahme im Internet: Man habe in den vergangenen Tagen zu dem Thema ausführlich Rede und Antwort gestanden und wolle sich nun wieder in Ruhe dem Quellenstudium widmen.

Foto: Volker Beck am vergangenen Sonnabend in Magdeburg: Viele unbeantwortete Fragen

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