© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Claudia Roth vergrault Türken
Marcus Schmidt

Mit gerötetem, tränenverschmierten Gesicht steht Claudia Roth in der Lobby eines Hotels in Istanbul. Hierhin hat sich die Grünen-Chefin mit Dutzenden anderen Demonstranten vor dem Tränengas der türkischen Polizei geflüchtet. Die Teilnahme an den Protesten im Gezi-Park der türkischen Metropole im Juni brachte Roth in die Schlagzeilen. Die Grünen, so die Botschaft im Wahljahr, kümmern sich um die Bürgerrechte – nicht nur in Deutschland.

Doch für die Partei könnte sich Roths Auftritt als Bumerang erweisen. Das jedenfalls legen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Dortmunder Futureorg Instituts unter wahlberechtigten Türken in Deutschland nahe. Demnach verlieren die Grünen in dieser bei Wahlen immer wichtiger werdenden Bevölkerungsgruppe in der Sonntagsfrage gegenüber 2009 9,4 Prozentpunkte und erreichen noch 21,6 Prozent. Ein Grund für den Einbruch: Das Engagement der Grünen-Chefin bei den Gezi-Park-Protesten, glaubt Futureorg-Gründer Kamuran Sezer, dessen Institut im Auftrag der Internetseite Deutsch-Türkisches Journal (DTJ) Türken zwischen 18 und 63 Jahren zu ihrem Wahlverhalten befragt hat. Für den Präsidenten der Türkischen Gemeinde Berlin, Bekir Yilmaz, sind die Zahlen keine Überraschung. „Viele unserer Mitglieder sind verärgert, daß sich Roth irgendwo in der Türkei verbarrikadiert“, sagte er vergangene Woche bei der Vorstellung der Studie in Berlin.

Und auch die SPD muß sich mit Blick auf die Zahlen fragen: War denn alles umsonst? Seit 30 Jahren bemühen sich die Sozialdemokraten intensiv um türkischstämmige Wähler. Und dann das: Zwar reicht es unter den Türken in Deutschland immer noch zu 42,9 Prozent, doch gegenüber 2009 sind dies 7,3 Prozentpunkte weniger. Sezer vermutet hier als Grund die Debatte um die Integrationsthesen Thilo Sarrazins und die „indifferente Haltung der SPD-Führung“ beim gescheiterten Ausschlußverfahren gegen Sarrazin. Doch auch die soziale Differenzierung in der zweiten und dritten Generation der Einwanderer spiele eine Rolle, sagte DTJ-Chefredakteur Süleyman Bag. Anders als bei den Gastarbeitern der sechziger Jahre seien nicht mehr alle Türken Arbeiter.

Und die CDU? Für die Union zahle sich die vorsichtige Öffnung zur „türkischen Communitiy“ aus. Dort werde honoriert, daß etwa Christian Wulff als niedersächsischer Ministerpräsident mit Aygül Özkan 2010 die erste türkischstämmige Ministerin ernannt hatte. Bei den türkischstämmigen Erstwählern jedenfalls liege die CDU (21,1 Prozent) bereits jetzt vor den Grünen (17,5 Prozent), erläutert der Institutschef.

Dennoch: „Der Zuspruch der Türken für die CDU irritiert mich“, sagt Sezer. Seine Erklärung: Die Union werde von den Türken offenbar als authentisch und ehrlich wahrgenommen. Dagegen verspreche etwa die SPD seit Jahrzehnten das kommunale Wahlrecht für Ausländer, ohne sich durchzusetzen, ergänzt Bag. „Es könnte sein, daß die Türken Rot-Grün bei der Wahl eine Lektion erteilen“, glaubt daher Yilmaz. Türkei-Freundin Claudia Roth kommen dann bestimmt wieder die Tränen.

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