© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Gekommen, um zu bleiben
Asyl-Lobby: Die in jüngster Zeit in mehreren deutschen Städten protestierenden Flüchtlinge wissen einflußreiche Unterstützergruppen hinter sich
Christian Schreiber

Im deutschen Wahlkampf spielt plötzlich ein Thema eine Rolle, welches lange von der politischen Tagesordnung verschwunden war. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sorgt sich neuerdings wieder um die steigenden Zahlen von Asylbewerbern. „Die Zahlen sind alarmierend“, sagte der bayerische Politiker der Augsburger Allgemeinen.

Alleine im Juli sind nach Angaben des Ministeriums mehr als 9.516 Anträge gestellt worden, mehr als doppelt so viele wie im Juli 2012. Im Halbjahresvergleich hat sich die Zahl der Anträge ebenfalls nahezu verdoppelt (siehe nebenstehende Grafik).

Die Gründe für diesen Anstieg liegen auf der Hand. Die Dublin-II-Verordnung aus dem Jahr 2003 sieht vor, daß der EU-Staat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, dessen „Land-, See- oder Luftgrenze“ der Flüchtling beim Eintritt in die Europäische Union erstmals überschritten hat (JF 5/13). Doch gerade die süd- und osteuropäischen Staaten an den EU-Außengrenzen sind von einer schweren Wirtschaftskrise geplagt. Es fehlt an finanziellen Mitteln, um die Flüchtlinge zu versorgen. So werden sie wohlwollend weitergeleitet – bevorzugt nach Deutschland, Österreich und Frankreich.

Seit Wochen gibt es allerdings deswegen massiven Ärger. Denn nach der Prüfung erhalten nur rund ein Drittel der Antragsteller ein Bleiberecht, die große Mehrzahl muß demnach laut Rechtslage abgeschoben werden. In mehreren deutschen Städten kam es deswegen zu teilweise massiven Protesten, zahlreiche Asylbewerber gingen in den Hungerstreik, um ihre Abschiebung zu verhindern. In Berlin erregt ein Flüchtlingscamp seit Wochen öffentliches Aufsehen (JF 28/13 und 29/13).

Die Nachrichtenagentur dpa legte kürzlich ein interessantes Phänomen offen. „Flüchtlingsproteste gab es auch bisher schon immer wieder – neu ist aber, daß gleich an mehreren Orten jeweils teils gut organisierte Flüchtlinge auf sich aufmerksam machen.“ Hinter dieser Vernetzung stehen Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Interessen von Asylbewerbern innerhalb der Europäischen Union zu vertreten.

Diese Asyl-Lobby gewann in den vergangenen Jahren mehr und mehr an Einfluß. „Die Proteste sind Ausdruck einer verzweifelten Lebenssituation“, behauptet beispielsweise Günter Burkhardt. Er ist Geschäftsführer von „Pro Asyl“, einer mächtigen Lobby-Gruppe: „Wir müssen jetzt über Mißstände wie Isolierung und Ausgrenzung der Menschen reden.“ In der Vereinigung sind Mitglieder von Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrts- und Menschenrechtsorganisationen vertreten. Insgesamt gehören „Pro Asyl“ rund 14.000 Mitglieder an, darunter zahlreiche prominente Grüne wie die Parteivorsitzende Claudia Roth. Auch die linke Rockband „Die Toten Hosen“ engagiert sich für die Vereinigung.

Mit Andreas Lipsch, „interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche und des Diakonischen Werks in Hessen-Nassau, ist derzeit ein führender Kirchenfunktionär Vorsitzender von „Pro Asyl“. Eine wichtige Rolle innerhalb dieses Netzwerks spielen die sogenannten „Flüchtlingsräte“, die es mittlerweile in jedem Bundesland gibt und die „Pro Asyl“ angeschlossen sind. Die „Flüchtlingsräte“ übernehmen gerne die Öffentlichkeitsarbeit und Kontaktpflege zu regionalen Medien.

Asylbewerber erhalten mittlerweile via Internet ein umfangreiches Angebot, um mit entsprechenden Organisationen in Verbindung treten zu können. Ein Beispiel hierfür ist die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V. (GGUA), die ihren Sitz im westfälischen Münster hat. Sie erhielt im vergangenen Jahr den regionalen „Multi-Kulti-Preis“ für ihr Engagement. „Wir bieten kompetente Beratung von Flüchtlingen in asyl- und aufenthalts- sowie sozialrechtlichen Fragen. Oft kennen wir die Gesetze besser als andere offizielle Stellen und können so vor ungerechtfertigten Entscheidungen schützen“, heißt es selbstbewußt auf ihrer Internetseite.

Die GGUA ist Mitglied im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, einer weiteren Schlüsselorganisation innerhalb der Asyl-Lobby. Er ist Dachverband von über 10.000 eigenständigen Organisationen, Einrichtungen und Gruppierungen im Sozial- und Gesundheitsbereich und zählt zu den sechs Freien Wohlfahrtsverbänden in der Bundesrepublik. Anders als „Pro Asyl“ sieht „der Paritätische“ seine Aufgabe nicht nur in der Betreuung von Flüchtlingen, er engagiert sich aus dem Selbstverständnis heraus, daß „jeder Mensch den gleichen Respekt verdient und gleiche Chancen haben soll“.

Durch seinen hohen Organisationsgrad und die Möglichkeit einer Verbandsmitgliedschaft für Vereine wie die GGUA spielt er dennoch eine zentrale Rolle bei der Interessenvertretung von Asylbewerbern – unabhängig von der Frage, ob bei ihnen tatsächlich die nach deutscher Rechtslage zwingenden Asylgründe (politische Verfolgung) vorliegen.

Während „Pro Asyl“ und „Paritätischer“ ihre Mitglieder und Unterstützer bevorzugt aus dem Umfeld von Grünen und SPD rekrutieren, erhalten Flüchtlinge auch aus eher katholischen und den Unionsparteien nahestehenden Kreisen Unterstützung. Im Mittelpunkt steht dabei der Deutsche Caritasverband, eine Wohlfahrtsorganisation der katholischen Kirche. Mit rund 507.000 Mitarbeitern und etwa ebenso vielen ehrenamtlichen und freiwilligen Helfern ist die Caritas der größte private Arbeitgeber in Deutschland.

Ihr evangelisches Pendant ist die „Diakonie“. Beide Verbände arbeiten seit dem Jahr 2009 innerhalb der „Aktion Bleiberecht“ zusammen. Sie kritisieren vor allem die in Deutschland gerne praktizierte Form der „Kettenduldung“. Davon spricht man, wenn ein ursprünglich abgelehnter Asylbewerber aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden kann und er somit „geduldet“ wird. Anstelle der immer wieder verlängerten Bleibegenehmigung (Kettenduldung) soll nach dem Willen der beiden großen Kirchen ein unbefristetes Bleiberecht mit Arbeitserlaubnis stehen. Unter dem Strich steht bei allen diesen Organisationen das gemeinsame Motto „Kein Mensch ist illegal.“ Wie diese Praxis finanziert werden soll, verraten sie allerdings nicht.

Mit Hamburgs Innensenator Michael Neumann übte kürzlich ein führender SPD-Politiker deutliche Kritik an Asyl-Lobbyisten, die „das Schicksal dieser Menschen für ihre Forderungen mißbrauchen“ würden. Hintergrund ist der Streit um etwa 80 afrikanische Asylbewerber, die in der St.-Pauli-Kirche Zuflucht gesucht haben und sich weigern, ihre Identität offenzulegen. Deren Unterstützern – darunter die Gewerkschaft ver.di – hält der Senator vor, ihnen gehe es in Wahrheit darum, das Schengen-Abkommen abzuschaffen.

 

Kampagnen für Bleiberecht

Bei lediglich 740 der fast 62.000 Personen (1,2 Prozent), über deren Asylantrag im Jahr 2012 entschieden wurde, lag ein Asylgrund vor. Bei rund 16.400 Fällen wurde entweder ein Flüchtlingsstatus oder ein Abschiebeverbot zuerkannt.

Ungeachtet dessen ist die Zahl der Asylanträge seit März in die Höhe geschnellt (siehe Grafiken). Unter den Antragstellern befinden sich auch solche, die dies rechtlich nur in einem anderen europäischen Staat tun können (Dublin-II-Abkommen).

In jüngster Zeit kam es in mehreren deutschen Städten (unter anderem in Berlin, München, Stuttgart, Potsdam und Bitterfeld) zu Protestaktionen von Asylbewerbern. Sie kritisierten die Residenzpflicht (in einem bestimmten Landkreis), die gemeinschaftliche Unterbringung, die Austeilung von Gutscheinen statt Bargeld, die Verweigerung einer Arbeitserlaubnis oder allgemein das verwehrte Bleiberecht.

Um die Forderung nach einem Aufenthaltsrecht geht es auch den 80 Afrikanern, die in der Hamburger St.-Pauli-Kirche untergebracht sind. Nach Schließung eines Flüchtlingsheims auf der italienischen Insel Lampedusa sind sie in die Hansestadt gekommen, obwohl Italien für ihren Asylantrag zuständig wäre. Unterstützung erhält die Gruppe von Kirchenvertretern, der Organisation „Karawane“ sowie der Gewerkschaft ver.di, die einige der Afrikaner in einem PR-Coup als Gewerkschafter aufgenommen hat.

Seit Monaten steigt die Zahl von Asylbewerbern aus Rußland. Knapp 90 Prozent von ihnen stammen aus der Kaukasus-Region, vornehmlich aus Tschetschenien. Ein Asylgrund liegt meistens nicht vor. Allerdings haben von den 3.785 ausreisepflichtigen (abgelehnten) Asylbewerbern mit russischer Staatsangehörigkeit nur 683 Deutschland wieder verlassen, der Rest hält sich vermutlich illegal weiter hier auf. Sicherheitsexperten hatten sich jüngst beunruhigt gezeigt, daß sich unter den tschetschenischen Asylbewerbern auch zahlreiche Islamisten befinden, darunter führende Köpfe des „Kaukasischen Emirats“.

www.aktion-bleiberecht.de

www.thecaravan.org

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