© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Grüße aus Madrid
Verlorener Stammplatz
Michael Ludwig

Pablo besucht seit 25 Jahren im Madrider Zentrum nahe dem Atocha-Bahnhof jeden Werktag die gleiche Bar mit dem Namen „Rincon de Pepe“ – gegen elf Uhr am Vormittag für einen Cafe con leche und nach Arbeitsschluß gegen 21 Uhr für einen Gin Tonic. Das nicht zu tun, erschien ihm als ein Ding der Unmöglichkeit.

Doch nun ist der Ernstfall eingetreten. Das „Rincon de Pepe“ machte dicht. Es wurde ein Opfer der ökonomischen Krise. „Ich komme mir vor wie jemand, der heimatlos geworden ist – keine vertrauten Gesichter und Gespräche mehr am Tresen, keine Witze, kein freundschaftliches Schulterklopfen mehr. Den Stammplatz in seiner Bar zu verlieren, ist wie ein Magenschwinger. Du klappst gefühlsmäßig einfach zusammen“, sagt Pablo und zuckt resigniert mit den Schultern.

So wie Pablo ergeht es derzeit einer Menge Spanier, denn die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit von 26 Prozent und der damit einhergehende Konsumverzicht haben viele Bars in den Ruin getrieben. Nach einer Untersuchung der „La Caixa“-Bank haben von 2008 bis 2012 über 72.000 geschlossen. Das in einem Land, in dem der schnelle Genuß eines Getränks zur täglichen Gepflogenheit gehört.

Spanien besitzt eine unglaubliche Kneipendichte – auf 169 Einwohner kommt eine Bar. Spitzenreiter ist Andalusien im Süden der Iberischen Halbinsel. Nach einem Rückgang von 20,2 Prozent gibt es dort noch immer 47.003 Bars, das sind genauso viele wie Finnland, Norwegen, Dänemark und Irland zusammen haben. Besonders drastisch hat es die zentralspanische Provinz Extremadura getroffen, dort ging die Zahl der Bars um 32 Prozent zurück. Neben den Metropolen Madrid (13,7 Prozent weniger, derzeit 32. 796 Bars) und Barcelona (17,9 Prozent weniger, 27.498) blieben auch die klassischen Touristenziele nicht verschont. Auf den Balearen betrug der Schwund 20 Prozent, auf den Kanaren 18,5.

Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft und Ernährung haben die Spanier 2012 ihre Ausgaben für Kneipen- und Restaurantbesuche gegenüber dem Vorjahr um 4,1 auf insgesamt 33 Milliarden Euro reduziert. Die Zahl der Gastronomiebesuche sank um drei Prozent auf 6,8 Milliarden.

„Politiker sprechen vom Licht am Ende des Tunnels, meine Freunde und ich sehen es dann, wenn wir eine neue Stammkneipe gefunden haben, die genauso gemütlich ist wie unsere alte“, meint Pablo.

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