© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Freches Miteinander
Blattlinie: „taz“-Chefin Ines Pohl liest in Wahlkampfzeiten ungern von Pädophilievorwürfen gegen Grüne
Ronald Gläser

Bei der taz ist ein Richtungsstreit entbrannt: Es geht um die Frage, wie die Zeitung mit den Pädophilievorwürfen gegen die Grünen (Seite 5) umgehen soll. Eigentlich ist die Linie klar: Gegenüber der Partei ist größtmögliche Zurückhaltung angesagt, jedenfalls im Wahlkampf.

Am 13. August erschien eine Ausgabe mit dem Schwerpunktthema Pädosex bei den Grünen. Der Autor war sichtlich bemüht, die Gleichsetzung der Vorfälle mit denen in der Odenwaldschule und in der katholischen Kirche auszuschließen. Denn: „Dort handelte es sich um sexuelle Übergriffe von Autoritätspersonen an Schutzbefohlenen“. Außerdem hätten diese Institutionen alles zu vertuschen versucht.

Anders dagegen die damals junge Partei. Dort habe eine „exhibitionistische Lust regiert“. Die Pädosexuellen hätten Bücher und Manifeste über ihre Umtriebe geschrieben. Inzwischen habe sich jedoch alles zum Guten gewendet. Die Grünen hätten sich „eindeutig von Pädophilen“ abgegrenzt. Der Fall ist damit für die taz erledigt. Überschrift der Ausgabe: „Aufgeklärt!“ Parallelen zum Verhalten der Bundesregierung, die die NSA-Spähaffäre aufgeklärt und beendet wissen will, sind sicherlich nur zufälliger Natur.

Der langjährige taz-Redakteur Christian Füller gehört zu einer Minderheitenfraktion, die das anders sieht. Der Bayer widmet sich seit Jahren mit Hingabe dem Thema Kindesmißbrauch im linksgrünen Spektrum. Er hat ein Buch über den Skandal an der Odenwaldschule geschrieben („Sündenfall“). Für ihn ist die Angelegenheit nicht abgeschlossen. Er sieht die Grünen inmitten einer „ideologischen Kernschmelze“. Pädophilie sei „in ihrer Ideologie angelegt gewesen“.

Der 49jährige wurde für einen Artikel in der sonntaz angefragt. Dort ging er hart mit der Partei ins Gericht. Er will wissen: „Wieso wurde offene pädokriminelle Propaganda einfach hingenommen?“ Er liefert auch die Antwort, und die wird die grüne Parteispitze sicher nicht gerne gelesen haben: „Die Antwort ist kompliziert und doch sehr einfach: Weil die Grünen Gläubige sind.“ Sie glaubten an „eine bessere, weil grüne Welt“.

„Empathie gibt es bei den Grünen nur für die Opfer der anderen“, so Füller. Als die Mißbrauchsfälle in der katholischen Kirche bekanntgeworden sind, habe Renate Künast zu denen gehört, die am lautesten Aufklärung verlangt hätten. Bei der aktuellen Debatte um Fehlverhalten bei den Grünen sei die Parteiführung zurückhaltender. Jürgen Trittin sei allen Vergleichen mit der katholischen Kirche ausgewichen. Füller dazu: „Das ist insofern richtig, als die katholische Kirche anders aufklärt als die Grünen – besser und gründlicher.“ Dieser Tenor des Artikels setzt einen klaren Kontrapunkt zu dem eigangs zitierten „Aufgeklärt!“-Artikel vom 13. August.

Zuviel Widerspruch für Ines Pohl. Der grünenkritische Meinungsbeitrag Füllers ist nie erschienen. Die Sonntagsausgabe der taz brachte auf Seite 19 stattdessen den Artikel „Regenbogen reicht nicht“, in dem die Forderung aufgestellt wird, die Olympischen Spiele von Sotschi wegen der Anti-Homo-Gesetze in Rußland zu boykottieren.

Was ist passiert? Der Medienjournalist Stefan Niggemeier (FAZ, Spiegel) berichtet in seinem Blog, taz-Chefin Ines Pohl habe das Erscheinen des Stücks vor allem aus wahltaktischen Gründen verhindert. Von Zensur ist die Rede. Es wird gestritten. Angeblich gibt es eine Reihe weiterer taz-Mitarbeiter, die zu Füller halten.

Füller hat mit Niggemeier gesprochen und weitere wesentliche Details zur grünen Blattlinie preisgegeben. So sei schon einmal ein Artikel von ihm über den Themenkomplex Grüne und Pädosexualität gekippt worden: Als Daniel Cohn-Bendit im Frühjahr den Theodor-Heuss-Preis erhielt, sollte es dazu eine Debatte im Blatt geben. Doch dann habe es ein längeres Gespräch zwischen Cohn-Bendit und Pohl gegeben, die schließlich das Vorhaben untersagt habe.

Nun werden immer wieder Artikel von Chefredakteuren gekippt. Aber selten wird Streit so öffentlich ausgetragen wie hier. Immerhin ist Niggemeier an den gekippten Artikel gelangt und hat ihn auf seiner Seite online gestellt. Füller twitterte noch am Dienstag: „Wer glaubt, ich hörte auf, bloß weil es um Grüne und einen Wahlsonntag geht, der hat was mißverstanden.“

Nur Ines Pohl hat sich noch nicht zu der Angelegenheit geäußert. Sie steht blamiert da, vorausgesetzt der Vorwurf, sie stecke hinter der unkritischen Blattlinie, stimmt. Bislang hat sich die 46jährige nicht öffentlich dazu geäußert.

Dafür hat sie in einem Interview im Juni in der Branchenzeitschrift Journalist die große Meinungsvielfalt im Blatt gelobt: „Hier gibt es einen unglaublichen Binnenpluralismus.“ Wenn es mal Streit gäbe, dann greife sie nur ein, damit die Zeitung nicht „rassistisch, sexistisch und kriegsverherrlichend“ werde. Pohl weiter: „Es ist aber überhaupt nicht so, daß ich mich immer mit meinen persönlichen Themenwünschen durchsetze. Das ist aber auch nicht meine Aufgabe.“ Nur ganz selten müsse sie hart durchgreifen: „Das muß man sich ganz genau überlegen, weil man damit immer auch die Atmosphäre des kreativen, frechen Miteinanders stört und gefährdet.“

Diesmal war das wohl notwendig.

Foto: Ines Pohl mit der „sonntaz“: Eingriffe in die Redaktionsarbeit stören die Atmosphäre, meint die „taz“-Chefin

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