© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Bis zum Untergang des Deutschen Reiches
Friedensbemühungen im Ersten Weltkrieg: Der Vernichtungswille der Entente blockte alles ab
Oliver Busch

Das nennt man souverän: Ohne auf Tonnen von DDR- und BRD-Literatur zur Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges einzugehen, die sich im Verlauf der letzten fünfzig Jahre überwiegend auf Fritz Fischers These von der deutschen „Alleinschuld“ an jener „Urkatastrophe“ verpflichtete, heißt es bei Hans Fenske: „Unzweifelhaft: Rußland wollte 1914 den Krieg. Die Hauptverantwortlichen für den Zusammenprall der europäischen Großmächte saßen in St. Petersburg. Da Frankreich in der Julikrise die russische Politik bedingungslos stützte, hat es ein erhebliches Maß an Mitverantwortung.“ In London habe man „viel weniger“ für die Kriegsvermeidung getan als in Berlin, und Wiens Anteil an der Verantwortung für den Kriegsausbruch dürfte „weitaus geringer“ zu veranschlagen sein als die des russischen Verbündeten Serbien.

Die so kantigen wie unzeitgemäßen Klarstellungen des Emeritus Fenske, der bis 2001 in Freiburg Neue und Neueste Geschichte lehrte, leiten seine Darstellung der gescheiterten deutschen und österreichisch-ungarischen Anstrengungen um einen Frieden mit der „Welt von Feinden“ ein, mit der sich die Mittelmächte vier lange Jahre hindurch in einem Ringen auf Leben und Tod befanden.

Die Motive der Hauptverantwortlichen, der englisch-französischen Entente und Rußlands, bedingten für Fenske deren unnachgiebige, zu keinem Verhandlungsfrieden bereite Haltung. Denn es ging um nicht weniger als einen „Vernichtungskrieg“, der das Habsburgerreich zerschlagen, der vor allem aber das Deutsche Reich als Großmacht erledigen sollte. Wer eine so weitgesteckte und von langer Hand vorbereitete Strategie verfolgte, wollte sich bei seinem „Kreuzzug gegen die Barbarei“ des „preußischen Militärdespotismus“ nicht auf halbem Wege durch einen „faulen Frieden“ stoppen lassen.

Anders als im Kaiserreich, wo sich innenpolitisch Verfechter eines alldeutschen „Siegfriedens“ und Anwälte des „Verständigungsfriedens“ die Waage hielten, dominierten in Paris und London die Anhänger von Lloyd Georges Parole, den Krieg bis zum „Knockout“ der Deutschen fortsetzen zu wollen. Daher liefen die Friedensinitiativen der Mittelmächte Ende 1916 genauso ins Leere wie die Friedensresolution des Reichstages im Juli 1917. Die USA hätten sich, ungeachtet der Friedens- und Völkerbund-Rhetorik ihres Präsidenten Wilson, mit ihrem Kriegseintritt im April 1917 eifrig daran beteiligt, die Deutschen als „natürlichen Feind der Freiheit“ und damit als nicht friedensfähig zu stigmatisieren. Als der militärische Sieg dann im November 1918 errungen war, folgte mit gnadenloser Konsequenz der „Diktat- und Gewaltfrieden“ von Versailles, der nach Fenskes Urteil den Namen eines „Vertrages“ nicht verdiene, da man den Deutschen, den „Verbrechern an der Menschheit“, keine Verhandlungen zugestanden habe.

Die seit etwa 1980 geläufige bundesrepublikanische Entente-Apologie, in Versailles hätten die Alliierten doch nur den schrecklichen deutschen „Diktat-Frieden“ mit den Bolschewisten, im März 1918 in Brest-Litowsk geschlossen, kopiert, ist für Fenske pure Volkspädagogik. Zwar mußte auch Rußland herbe Gebiets- und Bevölkerungsverluste hinnehmen, aber sie standen in Einklang mit dem Willen der davon profitierenden Finnen, Polen, Letten, Esten, Litauer und Ukrainer. Rußlands Souveränität blieb hingegen unangetastet und sei, anders als die Weimarer Republik, die 70.000 Quadratkilometer deutsche Territorien mit 6,4 Millionen deutschen Einwohnern abtreten mußte, nicht durch langjährige Verpflichtungen, Kontrollmechanismen, finanzielle Lasten und militärische Beschränkungen beeinträchtigt worden. Überdies fehlten Kriegsschuldzuweisungen, und beide Mächte verzichteten auf den Ersatz von Kriegskosten und -schäden.

Der Vernichtungswille der Westmächte führt für Fenske schnurgerade zum Versailler Diktatfrieden, der Europas Weltstellung zerstört und in Deutschland letztlich dazu beigetragen habe, Adolf Hitler mit seiner allgemein akzeptieren Revisionspolitik der Bedingungen von 1919 ins Reichskanzleramt zu bringen. Versailles sei damit, wie Theodor Heuss es 1932 nannte, „die eigentliche Kraftquelle der NS-Bewegung“ gewesen.

Wer sich gegen die zu erwartenden medialen „Stahlgewitter“ und geschichtspolitischen Desinformationen im 2014 anstehenden Gedenkjahr zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges rechtzeitig wappnen will, dem sei die Lektüre dieses Musters an historischer Aufklärung empfohlen.

Hans Fenske: Der Anfang vom Ende des alten Europa. Die alliierte Verweigerung von Friedensgesprächen 1914–1919. Olzog Verlag, München 2013, broschiert, 144 Seiten, 19,90 Euro

Foto: „Für die Freiheit der Welt“, US-Präsident Wilson fordert am 2. April 1917 vor dem Kongreß die Kriegserklärung gegen Deutschland: Die Alliierten waren zu keinem Verhandlungsfrieden bereit

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