© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Kriegführung läßt sich nicht in Regeln zwingen
Der Historiker Holger Afflerbach hält eine „Kunst der Niederlage“ für wichtig, um gewaltsame Konflikte bändigen zu können
Konrad Faber

Als während des Bombardements von Kunduz über einhundert Taliban und Benzin stehlende Afghanen umkamen, herrschte in den Massenmedien und beträchtlichen Teilen der deutschen Öffentlichkeit das blanke Entsetzen. Die deutschen Soldaten im Basislager von Kunduz hingegen standen „wie ein Mann“ hinter dem Entschluß von Oberst Klein zum Bombardement.

Infolge der Niederlage von 1945 haben „postheroische“ Tendenzen gerade in Deutschland stark zugenommen und jede Art von kriegerischer Auseinandersetzung wird durch eine pazifistisch gestimmte „Ohne mich“-Generation als verdammenswert und unmoralisch abgelehnt. Die moderne Gesellschaft demilitarisiert sich materiell und geistig. Der gegenwärtig in Leeds lehrende deutsche Historiker Afflerbach hat es unternommen, in einem militärhistorischen Essay die Kriegsgeschichte zu durchforschen, um einem Geheimnis auf die Spur zu kommen: Läßt sich der Krieg überhaupt in Regeln zwingen?

Afflerbach kommt zu dem für Pazifisten sehr unschönen Ergebnis, daß gewaltsame Auseinandersetzungen seit jeher die Geschichte der Menschheit begleiten und zukünftig aus dieser nicht wegzudenken sind. Doch scheint es ihm, als wenn der Lauf der Geschichte zeigt, daß sich der Krieg tatsächlich Regeln aufzwingen läßt – Ausnahmen natürlich immer ausgenommen. Afflerbach unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen „systemischer“ und „unsystemischer“ Kriegführung. Letztere ist eine Umschreibung für das schlichte Gemetzel, in welchem einzig das Gesetz des Stärkeren gilt.

Bei „systemischer“ Kriegführung gelten hingegen Regeln, wozu gehört, daß der Verlierer angesichts der drohenden Niederlage die Waffen strecken kann und der Gewinner ihm die Möglichkeit dazu gibt. Insofern handelten die Alliierten nicht sonderlich klug, als sie Deutschland im Zweiten Weltkrieg nichts weiter als „unconditional surrender“ zu bieten hatten. Das deutsche Volk hingegen handelte wesentlich klüger, als es nach Überschreiten des Rheins durch die Alliierten die Niederlage geistig akzeptierte und sich nicht zu einem Freischärlerkrieg hinreißen ließ.

Gerade die vom Verfasser zum Schluß seines Buches analysierten Kriege nach 1945 lassen erkennen, daß es tatsächlich so etwas wie eine „Kunst der Niederlage“ gibt. In den Auseinandersetzungen in den Kolonien zeigte sich deutlich, daß die Aufständischen nicht unbedingt Siege erringen müssen. Meist reichte es ihnen, einfach durchzuhalten, bis die Kolonialmacht genug hatte und abzog.

Doch gegenwärtig sind die moralischen Postulate der modernen Zivilisation widersprüchlich. Einerseits gilt als Konsens, bewaffnete Gewalt abzulehnen, andererseits fühlt man sich aber verpflichtet, Diktatoren und potentielle Aggressoren sehr frühzeitig durch Interventionen inklusive des eigentlich verpönten Einsatzes militärischer Gewalt zu bekämpfen. Das Dilemma besteht dann zumeist darin, wiviel an Gewalt eigentlich für diesen Zweck vonnöten ist?

Einen modernen Staat kann man durch gezielte Luftschläge auf Schlüsselziele wie zentrale Einrichtungen der Stromversorgung, des Verkehrswesens und ähnliches in die Knie zwingen, wie es in den neunziger Jahren mit Serbien geschah. Gegenüber wenig entwickelten gesellschaftlichen Systemen wie in Afghanistan würde weder diese Strategie noch ein massiver Einsatz von Bodentruppen ernsthaft helfen. Da man sich aus zivilisatorischen Gründen nicht dazu aufraffen könnte, etwa Kernwaffen und andere verfügbare Massenvernichtungsmittel entschlossen anzuwenden, um den Widerstand zu brechen, ist auf die Dauer der zu allem entschlossene Schwächere letztlich der Stärkere. Dasselbe Dilemma sieht Afflerbach beim Drohneneinsatz, einem sehr gefürchteten Kampfmittel, dem die Taliban technologisch nichts entgegensetzen können. Doch wer eine Drohne lenkt, tut dies nicht mehr wie frühere Soldatengenerationen unter persönlicher Lebensgefahr. Insofern nähert sich solcherart Soldatentum, um einen zugespitzten Ausdruck Martin van Crevelds zu gebrauchen, mehr dem Wirken eines Henkers.

Man kann dem Buch auch Tröstliches entnehmen. Heute ist eine terroristische Kriegführung gegenüber High-Tech-Staaten wie dem unseren eine scheinbar große Bedrohung. Allerdings hören nach Afflerbachs Beobachtungen alle Kämpfe, die von terrorbereiten, nichtstaatlichen Akteuren geführt werden, irgendwann auch einmal auf. Entweder brechen sie aus innerer Schwäche der Terroristen zusammen oder enden durch Einlenken und Kompromiß. Zudem sind terroristische Bewegungen nicht nur relativ kurzlebig, sondern fast immer eklatant erfolglos. Nur rund fünf Prozent aller bisherigen terroristischen Gruppierungen erreichten ihre selbstgesteckten Ziele.

Holger Afflerbach: Die Kunst der Niederlage.Eine Geschichte der Kapitulation. Verlag C. H. Beck, München 2013, broschiert, 320 Seiten 14,95 Euro

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