© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

„Natürlich sind wir Mitglied“
AfD: Wie der Wahlkampf einer neuen Partei für frischen Wind – und Nervosität – sorgt
Hinrich Rohbohm

Die Frage sorgt für Erstaunen, fast schon für Entrüstung. Natürlich sind wir Mitglied der AfD“, sagt Daniela Hortelano. „Was für eine Frage“, fügt ihre Freundin Kerstin Rauch an. So, als sei es etwas vollkommen Unnormales, nicht in der neugegründeten Partei „Alternative für Deutschland“ dabei zu sein. Die beiden jungen Frauen stehen mit einer gehörigen Portion Selbstvertrauen an der Hauptwache, einem der zentralen Plätze in der Frankfurter Innenstadt. Die AfD ist hier mit einem Infostand vertreten. Den dafür aufgebauten Tisch ziert eine blau-rote AfD-Decke. Handzettel und Flugblätter liegen darauf. Werbeschilder mit dem Logo der neuen Partei stehen daneben. Wenige Meter hinter dem Stand pumpt eine junge Frau Luft in weiße Luftballons mit AfD-Schriftzug.

Wahlkampf. Ähnlich professionell betrieben wie bei den etablierten Parteien? Kerstin Rauch verneint. „Vieles, was wir jetzt machen, ist absolut neu für uns, es gibt uns ja noch nicht lange“, sagt die 26 Jahre alte Bahnangestellte. Gemeinsam mit ihrer ein Jahr älteren Freundin Daniela Hortelano war sie im April dieses Jahres zum Parteitag der AfD nach Berlin gefahren. Seitdem engagieren sich beide in der neuen Partei.

Kerstin Rauch ist als „einfaches Mitglied“ aktiv, Daniela Hortelano ist Beisitzerin im Landesvorstand der AfD Hessen. „Wir machen jetzt jeden Samstag einen Infostand in der Bibergasse“, erzählt Kerstin Rauch. Viel Eigenarbeit sei nötig. Professionell geführte Geschäftsstellen vor Ort wie bei den etablierten Parteien existieren noch nicht. Auch Geld für nötiges Wahlmaterial ist knapp. Weil die AfD bisher noch an keiner Wahl teilgenommen hat, fehlen ihr die nicht unerheblichen Wahlkampfkostenerstattungen, durch die sich andere Parteien refinanzieren können. Hinzu kommen undemokratische Störaktionen durch zumeist linksradikale politische Gegner. „Im Süden Frankfurts wurden viele unserer Plakate abgerissen“, schildert Rauch den nicht immer fair bleibenden Kampf linker Kräfte gegen die AfD, der jüngst darin gipfelte, daß AfD-Chef Bernd Lucke von mutmaßlich linksextremen „Autonomen“ in Bremen von der Rednerbühne gestoßen wurde (siehe Infokasten).

Vor dem Frankfurter Infostand hat sich eine Menschentraube gebildet. Schätzungsweise 150 Leute sind gekommen, um die Rede des Volkswirtschaftsprofessors und Spitzenkandidaten der AfD Berlin Joachim Starbatty zu verfolgen. Der 73jährige hatte schon lange vor der Währungskrise vor den Gefahren der Euro -Einführung gewarnt. Einst für seine Skepsis verlacht, ist er seit der Euro-Krise zu einem gefragten Gesprächspartner der etablierten Medien geworden. Der Streß des Wahlkampfs scheint ihn eher zu beflügeln als zu ermatten. Seine eurokritische Rede ist auch in Frankfurt von Motivation und Leidenschaft geprägt. Wie gefesselt folgen die Zuhörer seinen Ausführungen. „Gestern habe ich in Stuttgart gesprochen, da sind 350 Zuhörer gekommen“, erzählt er später der JUNGEN FREIHEIT. Einen Tag davor war er als Redner in Bad Hersfeld geladen. „Da waren dann zwar nur 60 Leute, aber die Veranstaltung war morgens und mitten in der Woche“, verdeutlicht er die starke Resonanz. „Bei der CDU kommen da vielleicht gerade mal zehn Leute“, stellt der ehemalige Christdemokrat einen Vergleich zu seiner einstigen Partei her.

„Anfangs war das Interesse an der AfD noch sehr verhalten. Aber seit der Schäuble sich bei der geplanten weiteren Griechenland-Hilfe im Fernsehen verplappert hat, ist das Interesse an uns stark gestiegen“, sagt Dirk Schmidt. Der 61 Jahre alte Rentner macht gemeinsam mit dem ehemaligen Berufsschullehrer Horst Lucht (66) und der 29 Jahre alten Physiotherapeutin Veronika Kraft Wahlkampf im Zentrum der hessischen Barockstadt Fulda. Sie tragen blaue T-Shirts mit AfD-Logo drauf. „Ich denke schon, daß wir in den Bundestag einziehen werden“, meint Veronika Kraft. Sogar ein Ergebnis von zehn Prozent hält sie für möglich. Den aktuellen Umfragen, wonach die AfD bei etwa drei Prozent liegt, traut sie nicht. „Wir bekommen von Tag zu Tag mehr Aufmerksamkeit“, ist sie überzeugt. In Fulda betreiben sie den Wahlkampf mit acht Leuten. „Inzwischen sind wir sogar mit zwei Infoständen gleichzeitig in der Stadt vertreten“, betont Dirk Schmidt. Dennoch könnten sie noch mehr Helfer gebrauchen.

Die sind auch in Hamburg vonnöten. Denn während in Süddeutschland der Zuspruch zur AfD beachtlich ist, haben es die Wahlkämpfer der jungen Partei besonders in den Hochburgen des grün-alternativen Establishments schwer. Eine dieser Hochburgen ist der Bezirk Hamburg-Eimsbüttel. Die Grünen sind hier in vielen Wahlbezirken genauso stark wie die Volksparteien CDU und SPD.

Entsprechend mühsam ist der Wahlkampf für AfD-Direktkandidat Günther Siegert. Der 66 Jahre alte stellvertretenden AfD-Landesvorsitzende von Hamburg war 40 Jahre lang in der FDP. In diesem Jahr trat er bei den Liberalen aus und in die AfD ein. „Weil ich mich von meiner ehemaligen Partei schlichtweg verraten fühle“, sagt er. Gemeinsam mit zwei weiteren Mitsechzigern steht er am Infostand in der Isestraße im Stadtteil Harvestehude und verteilt Handzettel. In dem grün-alternativen Wohlstandskiez kein leichtes Unterfangen. Viele Passanten winken ab, gehen am AfD-Stand wortlos vorbei. „Falsches Programm“, meint ein kahlköpfiger Mittvierziger kurz angebunden. „Sind Sie für die Euro-Rettung?“ fragt ihn Siegert. Der Mann hält kurz inne, wirkt für einen Moment irritiert. Und ringt nach einer Antwort. „So wie Sie das wollen, geht’s jedenfalls nicht“, meint er schließlich und eilt davon.

„Eimsbüttel ist nun mal eine Hochburg der Grünen“, sagt der gelernte Maschinenschlosser, der nach einem Studium der Produktionstechnik und der Volkswirtschaftslehre unter anderem als Innovationsförderer für das Bundesforschungsministerium tätig war. „Wir müssen die Grünen viel stärker politisch angreifen“, fordert er.

Ein erfreutes Lächeln huscht hingegen über das Gesicht einer älteren Dame mit graugelockten Haaren, als sie auf der ihr gegenüberliegenden Straßenseite den Infostand der AfD entdeckt. Entschlossen geht sie auf die drei Wahlkämpfer zu. „Ich wollte schon immer mal zu einer Veranstaltung von Ihnen“, begrüßt sie die Männer erfreut, die ihr umgehend einen ihrer blauen Handzettel in die Hand drücken. „Mut zur Wahrheit. Der Euro spaltet Europa. Die Alt-Parteien CDU/CSU/SPD/FDP/Grüne halten das für ‘alternativlos’. Wir sehen das völlig anders. Am 22. September AfD wählen“, steht da geschrieben. „Richtig so, meine Stimme haben Sie“, macht die Frau den Männern Mut.

In Lüneburg scheint die neue Partei bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen. „Wir werden von der politischen Konkurrenz akzeptiert. Gerade haben wir an einer Podiumsdiskussion mit dem CDU-Kandidaten teilgenommen“, weiß Ernst-August Roettger, Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Lüneburg/Lüchow-Dannenberg, zu berichten. Die lokale Presse bleibe weitgehend sachlich und objektiv. Seine Partei hat zu einer Informationsveranstaltung in das renommierte Hotel Bergström geladen, eine gehobene Unterkunft in bester Lüneburger Altstadtlage, gerade einmal 20 Kilometer vom Heimatort Bernd Luckes entfernt. Gut 100 Interessierte sind gekommen, um sich die Rede von Frauke Petry anzuhören.

Die 38jährige ist eine von drei gleichberechtigten Bundessprechern der neuen Partei. Schon nach wenigen Minuten heimst sie erste Sympathien ein. Die Euro-Rettungspakete seien Rechtsbrüche. „Solche gehören geahndet“, fordert die gelernte Chemikerin, die 2007 in Leipzig ein eigenes Unternehmen gründete und 2011 den Sächsischen Gründerinnenpreis erhalten hatte. Starker Beifall aus dem keineswegs nur älteren Publikum. Scharfe Kritik übt die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes an den Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die Milliardenzahlungen an die Euro-Krisenländer grünes Licht gegeben hatten. „Dieses Parlament ist in weiten Teilen eine Schande für unsere Demokratie“, kritisiert die gläubige Christin und Mutter von vier Kindern. Und legt bezüglich der Euro-Krise nach: „Wir müssen inzwischen von einer realen kalten Enteignung sprechen.“ Erneut brandet Beifall auf.

Auch Petrys Kritik am Umweltbundesamt für das Führen schwarzer Listen über Klimaskeptiker und die Einführung von Bachelor-Studiengängen kommt bei den Zuhörern an. „Ich mache gerade meinen Bachelor und kann ihrer Kritik voll zustimmen“, bestärkt eine 26 Jahre alte Studentin die AfD-Bundessprecherin in ihrer Position. Eine emotional aufgewühlte 77 Jahre alte Rentnerin macht ihrem Unmut Luft. Fast den Tränen nahe übt sie scharfe Kritik an Bundeskanzlerin Merkel. „Es ist empörend, was die mit unserem Land gemacht hat. Frau Merkel trägt für die Euro-Krise maßgeblich die Verantwortung. Sie hat schon die CDU zerstört und jetzt zerstört sie unser Land. Ich hasse diese Frau.“

Plötzlich meldet sich ein Mann um die Dreißig zu Wort. „Ich spreche für einen Kreis junger Nationalsozialisten und wir stimmen Ihnen voll zu“, startet der Mann einen Versuch, die AfD mit rechtsextremen Positionen in Verbindung zu bringen. Genervtes Aufstöhnen beim Publikum. „Raus“ und „Aufhören“-Rufe von AfD-Sympathisanten ertönen.

Frauke Petry tritt demonstrativ vom Rednerpult zurück, läßt sich nicht auf die Provokationen ein. „Das habe ich jetzt zum ersten Mal erlebt“, sagt sie später auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT. „Man kann sich die Seite des Beifalls leider nicht aussuchen.“ Vielmehr komme es ihr aber auf Inhalte an. Und für die Inhalte der AfD sieht die gebürtige Dresdnerin durchaus ein reges Interesse. „In Baden-Württemberg habe ich auf Veranstaltungen gesprochen, die sogar doppelt so gut besucht waren. Aber ich spreche natürlich auch mal vor nur 30 Leuten“, erzählt die Bundessprecherin der JF. Natürlich sei auch ihr Terminkalender während des Wahlkampfes prall gefüllt. „Aber so heftig wie bei Bernd Lucke ist es bei mir dann doch nicht“, sagt Petry. Der sei jetzt täglich als Redner für die AfD im Einsatz, oftmals sogar mehrmals pro Tag.

Auch der Vorstand des AfD-Kreisverbands Rendsburg-Eckernförde kann sich über mangelnde Einsätze nicht beklagen. Der erst vor zwei Monaten gegründete Verband hat zu einem Interessierten-abend nach Bordesholm geladen, einer 20 Kilometer von Kiel entfernt gelegenen schleswig-holsteinischen Kleinstadt. Die Teilnehmerzahl ist überschaubar. 14 Zuhörer sind erschienen.

Auch die örtliche Presse war eingeladen. Gekommen ist sie nicht. 44 Mitglieder zählt der Verband inzwischen. Zehn von ihnen bringen sich regelmäßig aktiv in den Wahlkampf ein. „Es ist schon sehr anstrengend“, beschreibt Briga Krikau den Terminstreß.

„Allein die ganzen Plakate überall aufzuhängen beansprucht schon enorm viel Zeit. Schließlich haben wir alle auch noch einen Beruf “, sagt die Musiklehrerin, die als Direktkandidatin für den Bundestag antritt. Die Mutter von drei Kindern engagiert sich vor allem in der Bildungs- und Familienpolitik, kämpft dort gegen „Egalisierungswahn“, für das mehrgliedrige Schulsystem, gegen Inklusionsideologie und gegen Abtreibung. Politische Anfeindungen wie in anderen Orten gebe es hier kaum. „Lediglich ein Grüner hat uns einmal als Nazis beschimpft“, erinnert sich Gloria Lawrenz, Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Rendsburg-Eckernförde. Ihre Vorstandsmitglieder nehmen es mit Humor. „Man muß nicht jede Aussage der Grünen ernst nehmen“, meint einer von ihnen und lacht dabei in dem Wissen, daß sich die AfD derzeit im Aufwind befindet.

 

Bundesweite Angriffe auf die AfD

In den vergangenen Wochen ist es immer wieder zu Angriffen auf AfD-Mitglieder im Wahlkampf gekommen. Den Höhepunkt bildete eine Attacke mutmaßlich Linksextremer auf den Bundessprecher der Alternative für Deutschland, Bernd Lucke. Die Täter hatten den 51jährigen auf einer Informationsveranstaltung im Bremer Bürgerpark von der Rednerbühne gestoßen und mit Reizgas attackiert. Ein zu Hilfe eilender AfD-Wahlhelfer wurde durch einen Messerstich an die Hand verletzt. Zuvor waren AfD-Wahlkämpfer bereits in Göttingen angegriffen und bedroht worden. Die Grüne Jugend hatte gar zu militanten Aktionen gegen die Alternative für Deutschland aufgerufen. Während sich der niedersächsische Landessprecher der grünen Mutterpartei, Jan Haude, inzwischen von der Aktion seiner Jugendorganisation distanziert hat, ließ der Grünen-Spitzenkandidat und Göttinger Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin eine diesbezügliche Protestnote der AfD bisher unbeantwortet.

In Schwerin wurde ein Infostand umgeworfen, die örtliche AfD-Bundestagskandidatin Petra Federau war durch einen Faustschlag ins Gesicht angegriffen worden. Die Attacken gegen die neue Partei erfolgen inzwischen über das gesamte Bundesgebiet verstreut. Wahlkämpfer werden bedroht, zahlreiche von der AfD aufgestellte Plakate abgerissen, zerstört oder beschmiert. In Bayern wurde einem Wahlhelfer die Schulter ausgekugelt und – als er auf dem Boden lag – gegen den Kopf getreten. In Berlin griffen linke Gewalttäter einen Transporter der AfD an. Die Täter hinterließen unter den Scheibenwischern des Fahrzeugs ein Spruchband des kommunistischen Netzwerks „ums Ganze“.

www.alternativefuer.de

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