© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

Kurdischer Knoten
Syrien: US-Drohkulissen überdecken, daß der Aufteilungskampf längst im Gange ist
Günther Deschner

Um die 100.000 Tote. Zweieinhalb Jahre Bürgerkrieg. Wiederum wie im Mai der Einsatz von Giftgas – von wem ausgeführt, ist ungeklärt. Doch US-Präsident Obama droht für den Fall, daß er befindet, eine von ihm selbst gezogene „rote Linie“ sei überschritten worden, Militärschläge an – diesmal nicht gegen Bagdad, sondern gegen Damaskus. Natürlich, wie immer, rein humanitär. Israels Premier ließ verlauten, auch er habe „notfalls den Finger am Abzug“.

Doch der Kampf in und um Syrien hat auch Dynamik in einen anderen Konflikt gebracht, der schon seit Jahrzehnten die Region beschäftigt: in das Kurdenproblem. Durch die Wirren des Krieges gelang es den Kurden im Nordosten Syriens, sich dem Zugriff der Zentralregierung zunehmend zu entziehen.

Denn um sicherzustellen, daß es nicht auch in den kurdischen Regionen zu Aufständen kommt, hatte Assad den Kurden ihre Staatsbürgerschaft zurückgegeben. Syrische Truppen wurden aus deren Gebieten abgezogen. So war es naheliegend, daß syrisch-kurdische Politiker zögernd auf den Aufstand reagierten und eine Beteiligung daran ablehnten.

Zur Zurückhaltung der Kurden, die keine Araber, sondern indogermanischer Herkunft sind und eine eigene Sprache sprechen, trägt auch die Dachorganisation der syrisch-arabischen Opposition, der Syrische Nationalrat SNC, bei, der strikt darauf bestand, Syrien habe „eine arabische Identität“. Zudem beherrschen radikal-islamistische Organisationen den SNC, mit denen sich die Kurden traditionell nicht verstehen. Die Islamisten fokussieren auf die gemeinsame Religion als Identität und wollen sich nicht mit ethnischen Diskussionen befassen.

Entlang dieser Grenzlinie hat sich mitten in Syriens Bürgerkrieg ein Kurdenkrieg entwickelt: Auf der einen Seite die kurdische „Partei der demokratischen Union“ (PYD), ein syrischer Ableger von Öcalans PKK, sowie ihr militärischer Arm „Kurdische Volksverteidigung“ (YPG). Auf der anderen „al-Nusra-Front“ und „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ (ISIS). Beide sind Al-Qaida-Organisationen, wobei al-Nusra sich als eigenständige, syrische Filiale versteht, während ISIS ein Teil des irakischen Terrornetzwerks ist.

Diese Gruppierungen haben kurdische Ortschaften besetzt und dort ein Scharia- und Schreckensregime errichtet. Meldungen darüber erreichten auch die Regierung der „Autonomen Region Kurdistan“ im benachbarten Irak.

Zur Wahrnehmung der kurdischen Interessen in Syrien wurde Ende 2011 in Kamishli im kurdisch besiedelten Norden Syriens ein „Kurdischer Nationalrat“ gegründet, der für sich in Anspruch nimmt, die große Mehrheit der kurdischen Bevölkerung zu repräsentieren. Ein Dutzend kurdische Organisationen und viele unabhängige Persönlichkeiten sind darin vertreten. Mit diesem Rat wollen die Kurden Einheit signalisieren und in einem „neuen Syrien“ die stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen durchsetzen.

In einer Kampfansage macht die PYD sowohl den oppositinellen SNC als auch die Führung der Freien Syrischen Armee (FSA) für die Eskalation der Gewalt verantwortlich. „Trotz mehrfacher Appelle, haben diese Organisationen versagt, eine klare Position einzunehmen.“ Kein Wunder, denn die von Katar und Saudi-Arabien massiv unterstützten Qaida-Milizen gelten als die schlagkräftigste Truppe im Kampf gegen Assad.

Zwei Millionen Syrer sind inzwischen in die Nachbarländer geflüchtet. Die jüngste massive Flüchtlingswelle erreichte den Nordirak Mitte August. Zehntausende syrischer Kurden flohen seitdem ins Nachbarland. Auslöser der Flucht über den Tigris und über eine von den irakischen Kurden gebauten Pontonbrücke über den Khabur waren Kämpfe zwischen kurdischen Milizen und al-Qaida nahestehenden Einheiten.

Dem UNHCR zufolge leben heute rund 200.000 syrische Flüchtlinge in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Deren Präsident, Masoud Barsani, ein Sohn des legendären Volkshelden Mulla Mustafa Barsani, hat versprochen, Syriens Kurden zu verteidigen. In einem Brief hat er sogar eine Intervention irakisch-kurdischer Truppen in Syrien angedroht. „Sollten sich Berichte bewahrheiten, wonach Frauen und Kinder unschuldiger Kurden von Mord und Terrorismus“ durch al-Qaida-nahe Kämpfer bedroht seien, würde die Region Kurdistan „alle ihre Kapazitäten“ zu deren Schutz einsetzen.

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