© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

Die ersten 13 Milliarden sind weg
Euro-Rettungsfonds: Geheimpapier bestätigt weiteren Abfluß deutschen Volksvermögens
Wolfgang Philipp

Unter dem Hinweis „Nur für den Dienstgebrauch und vertrauliche Behandlung“ hat das Bundesfinanzministerium dem Bundestag die Halbjahresabschlüsse der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) per 30. Juni dieses Jahres zugeleitet. Obwohl der deutsche Steuerzahler für diese beiden sogenannten Euro-Rettungsfonds mit mehreren hundert Milliarden Euro einstehen muß, darf dem Volk die Wahrheit in Gestalt von Bilanzzahlen nicht bekannt werden. Die Euro-Politiker bilden inzwischen offenbar so etwas wie einen Geheimbund. Ein Grund mehr, die beiden Halbjahresabschlüsse vorzustellen.

„Die Rettungsschirme laufen aus. Das haben wir klar vereinbart“, versprach Finanzminister Wolfgang Schäuble am 24. Juli 2010 in einem FAZ-Interview, kurz vor Arbeitsaufnahme der EFSF in Luxemburg. Doch obwohl der erste Rettungsfonds angeblich auslaufen soll, hat er seit Ende 2012 seine Ausleihungen für insolvente Euro-Staaten von 140,6 Milliarden Euro um weitere 28 Milliarden Euro auf 168,6 Milliarden Euro erhöht – bei einem Eigenkapital von lediglich 28,5 Millionen Euro. Finanziert wurden diese neuen Ausleihungen durch Plünderung der Kassenbestände um 15,6 Milliarden Euro, außerdem durch zusätzliche Kreditaufnahmen von 14 Milliarden Euro. Die Schulden der EFSF betragen per 30. Juni 173,7 Milliarden Euro.

Nachdem fast alle Sachverständigen für Griechenland einen weiteren „Schuldenschnitt“ voraussehen, hat auch Schäuble inzwischen eingeräumt, daß weitere Hilfen für Griechenland nötig sind. Vor zwei Jahren hatte der CDU-Minister noch betont: „Griechenland wird insgesamt drei Jahre die Kreditlinien in Anspruch nehmen können. Dann können sie noch fünf Jahre laufen. Danach ist Schluß.“ Das Gegenteil ist der Fall: Die Zahlungsunfähigkeit liegt offen zutage – ohne neue Milliarden ist der Bankrott unausweichlich. Wer aber gibt einem Schuldner, dem man schon Zinsen stunden und die Laufzeiten von Krediten um Jahrzehnte verlängern mußte, noch weitere Kredite?

Auch werden die durch und durch faulen Forderungen gegen Griechenland in der EFSF-Halbjahresbilanz wiederum ohne jede Abschreibung mit ihrem Nennwert verbucht: Das ist eine glatte Bilanzfälschung. Inzwischen wird sogar in der Unionsfraktion darüber diskutiert, ob – wie in der JF 29/13 angemahnt – die EFSF auf Forderungen gegen Griechenland Abschreibungen machen muß. Doch das hätte die sofortige EFSF-Insolvenz zur Folge, das Scheitern der Euro-Rettungspolitik würde auf dramatische Weise sichtbar. Der „Retter“ muß selbst gerettet werden.

Diese politische Atombombe darf vor der Bundestagswahl keinesfalls explodieren, also bleiben die Zahlen „nur für den Dienstgebrauch“. Der von Schäuble und seiner Chefin Angela Merkel mehrfach ausgeschlossene erneute „Schuldenschnitt“ für Griechenland hängt zudem nicht mehr allein von Entscheidungen der EU, der Rettungsfonds oder der Bundesregierung ab. Griechenland kann aufgrund der neuen Umschuldungsklauseln (Collective Action Clause/CAC, JF 15/03) ohne weiteres mit rechtlich bindender Wirkung erklären, daß es Schulden nicht mehr zurückzahlt. Für neue deutsche Euro-Anleihen ist eine solche CAC-Klausel seit Jahresbeginn ebenfalls in Kraft.

Nicht besser sieht die Halbjahresbilanz des dauerhaften Rettungsfonds ESM aus. Man erfährt, daß die 17 ESM-Mitgliedsstaaten auf das insgesamt gezeichnete Eigenkapital von 700 Milliarden Euro allein im April weitere 15,7 Milliarden Euro eingezahlt haben, wovon auf Deutschland etwa 4,2 Milliarden Euro entfallen. Insgesamt hat Deutschland in diesen ESM inzwischen rund 13 Milliarden Euro eingezahlt, die endgültig weg sind und das Vermögen Deutschlands durch höhere Verschuldung vermindern. Pro Kopf der Bevölkerung (Säuglinge und Greise eingeschlossen) sind das 162 Euro, bezogen auf die tatsächlichen Steuerzahler weit mehr. Auch der ESM hat weitere Kredite an zahlungsunfähige Euro-Staaten geleistet: allein drei Milliarden Euro an Zypern und 1,9 Milliarden Euro an Spanien.

In der Öffentlichkeit diskussionsbedürftig ist die vermeintliche Refinanzierung des ESM. Während die EFSF sich durch die Aufnahme von Krediten am Kapitalmarkt refinanziert, hat sich offenbar schon herumgesprochen, daß der ESM überhaupt nicht kreditwürdig ist. Deshalb greift der dauerhafte Rettungsfonds zu einem währungspolitisch inakzeptablen Trick: Er gibt selbst Schuldverschreibungen aus und verspricht, diese bei Fälligkeit einzulösen. Den Kapitalmarkt braucht er dann nicht in Anspruch zu nehmen, er druckt wie eine Notenbank sein Geld selbst und vermehrt dadurch die Inflationsgefahr. Das heißt im Jahresabschluß „Debts evidenced by certificates“, sie haben sich seit Dezember 2012 von 39,4 auf 59,4 Milliarden Euro erhöht. Da auch die Rückzahlung der an Spanien und Zypern gewährten Kredite äußerst fraglich ist, besteht auch hier Abschreibungsbedarf, der aber zur Täuschung aller Beteiligten nicht realisiert wird.

Ein besonderes Element der Täuschung liegt auch in der Gewinn- und Verlustrechnung des ESM. Es wird behauptet, durch Zinseinnahmen sei im ersten Halbjahr 2013 ein Gewinn von 123 Millionen Euro erzielt worden. Im Gegensatz zum 31. Dezember 2012 wird aber das noch vorhandene Eigenkapital (nominal 700 Milliarden Euro) nicht mehr mit 700,019 Milliarden, sondern nur noch mit 699,987 Milliarden Euro, also 32 Milliarden weniger angegeben. In Wirklichkeit ist also ein Verlust an Eigenkapital eingetreten.

Diese „vertraulichen“ Bilanzzahlen zeigen in brutaler Deutlichkeit, was hier abgeht: Die Fahrt Europas und insbesondere Deutschlands in den finanziellen Abgrund ist in vollem Gange. Das Geld fließt ab, es werden Kredite gegeben, welche diesen Namen nicht mehr verdienen, sondern Geschenke sind.

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