© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

Wir werden uns fremdschämen
Wenn die Zuschauer ahnen, daß nichts dabei rauskommt und trotzdem einschalten, dann ist Kanzlerduell
Lion Edler

Mal ehrlich: Verhalten wir uns zu TV-Duellen um die Kanzlerschaft nicht ähnlich wie die Motte, die in das tödliche Licht fliegt? Schließlich ahnen wir doch vorher schon, welches Grauen uns droht, das wir uns dann doch massenhaft zumuten: Wir werden stöhnen über enervierende Nullphrasen wie „Am 22. September geht es um eine Richtungsentscheidung: Aufwärts oder abwärts“ (Edmund Stoiber, TV-Duell 2002); wir werden ächzen über moralisierende Gutmenschen-Vorwürfe wie „Da ist unsere Gesellschaft zum Teil sehr hartherzig“ (Angela Merkel, TV-Duell 2005); wir werden uns fremdschämen für Moderatorenfragen wie „Duzen Sie sich eigentlich inzwischen?“ (Peter Kloeppel, TV-Duell 2009).

Und doch werden wir wieder einschalten: 52 Prozent der Deutschen wollen es sich nach einer repräsentativen Umfrage der TV-Zeitschrift Hörzu ansehen, wenn Kanzlerin Angela Merkel am 1. September gegen ihren sozialdemokratischen Herausforderer Peer Steinbrück in den Ring steigt.

Während nur 36 Prozent der Fernsehzuschauer im Alter zwischen 14 und 29 Jahren das Duell sehen wollen, sind es bei den über 60jährigen ganze 74 Prozent. Offenbar herrscht bei vielen Wählern noch immer die Vorstellung, daß sie ausgerechnet TV-Duelle und die ARD-Tagesschau sehen sollten, um politisch mündig zu sein. Entgehen kann der Fernseh-Souverän dem Streitgespräch ohnehin kaum: Es übertragen zeitgleich ARD, ZDF, RTL und ProSieben.

Der TV-Moderator Benjamin Stuckrad-Barre, der freilich selbst zum Krawallfernsehen zählt, läßt dennoch kein gutes Haar an der „langweiligsten Sendung des Jahres“. Denn dort sei „alles geregelt, von der Sprechzeit bis zu jeder einzelnen Kameraeinstellung“. Mit 90 Sekunden Monolog, 60 Sekunden Erwiderung und so weiter sei „alles so deprimierend festgezurrt, um auch wirklich auszuschließen, daß da was Interessantes passiert.“ Stuckrad-Barre sieht „das Ende von Gesprächskultur und Journalismus“ und findet „jede Ballett-Aufführung interessanter“.

Immerhin: Wirkte das letzte Duell zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier wegen der großen Koalition „mehr nach Duett und weniger nach Duell“ (Peter Kloeppel), so ist diesmal wenigstens auf Spuren von Meinungsverschiedenheiten zwischen Merkel und Steinbrück zu hoffen. Doch speziell seit dem Amtsantritt von Angela Merkel geht der Trend dennoch insgesamt in Richtung Nicht-Wahlkampf. Wenn Merkel sich von ihrem Konkurrenten einen Vorwurf anhören muß, setzt sie einfach ihr mildes, stoisches Schildkröten- und Oma-Lächeln auf, woraufhin sie für viele Wähler um so souveräner und sympathischer wirkt.

Bei welchen Themen werden die Kandidaten Akzente setzen? Das derzeit dramatischste politische Thema ist die Euro-Krise. Doch wie der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, kürzlich im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausführte, nutzt die Debatte um die Euro-„Rettung“ nur der Regierung und der eurokritischen Alternative für Deutschland. Denn in einer Krise werde die Regierung „als der Garant der Sicherheit wahrgenommen, der die Menschen abschirmt“, so Güllner.

Zudem stecke die SPD in dem Dilemma, daß sie „zwar immer protestiert und kritisiert, aber gerade in den Krisenfragen die Entscheidungen der Regierung mitgetragen hat.“

Vielleicht setzt Steinbrück also eher darauf, sich mit dem alten SPD-Wahlkampftrumpf der sogenannten „sozialen Gerechtigkeit“ zu profilieren. Im Interview mit der Rheinischen Post kündigte Steinbrück schon mal an, daß er den Spitzensteuersatz für Alleinstehende mit einem versteuerten Einkommen von jährlich über 100.000 Euro auf 49 Prozent erhöhen will.

Außerdem will er Steuerbetrug bekämpfen und „legale Steuervermeidung durch große Konzerne beschneiden“; anschließend hält er auch Steuersenkungen für möglich. Doch aus leidvoller Erfahrung ist bekannt, wie ernst solche Ankündigungen sind: „Merkelsteuer, das wird teuer“, plakatierte die SPD 2005 wegen der Ankündigung Merkels, die Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent zu erhöhen – sie wurde am Ende von SPD und Union auf 19 Prozent erhöht.

Auch zu den aktuellen teuren Ankündigungen von Merkel in der Renten- und Familienpolitik sprach der Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder, bereits Klartext: „Was wir in unserem Wahlprogramm versprechen, steht unter einem Finanzierungsvorbehalt.“ Also wird auch im TV-Duelltheater wohl sehr viel über Dinge gesprochen werden, die einem „Finanzierungsvorbehalt“ unterliegen.

Damit auch Cindy aus Marzahn einschaltet, fungiert als Moderator neben Anne Will (ARD), Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL) erstmals auch Stefan Raab (ProSieben). Steinbrück lehnte Raab zunächst als Moderator ab, knickte aber ein, nachdem Merkel ihr Einverständnis signalisierte: „Wenn Angela Merkel auch mit Stefan Raab einverstanden ist, wird es so geschehen“, so Steinbrück.

Foto: Montage: So könnte es aussehen, das Kanzlerduell, wenn die beiden Kandidaten vor die Kamera treten

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