© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Ich krieg’ die Krise
Vor der Wahl: Die Bundesregierung tut so, als sei bei der Euro-Rettung alles in Butter. Die Fakten sprechen eine andere Sprache
Markus Brandstetter

Offiziell geht die Euro-Krise in ihr drittes Jahr, in Wirklichkeit aber hat alles schon 1995 begonnen, als der Europäische Rat festlegte, wie, wann und wo der Euro eingeführt wird. Seit diesem Zeitpunkt wissen Regierungen und Banken, daß es in der Euro-Zone ab 1999 keine Wechselkursrisiken mehr gibt. Also gleichen sich die Zinsen im späteren Euro-Raum rasch aneinander an. Griechenland, Portugal, Italien, Spanien – Länder die vor dem Euro über zehn Prozent an Zinsen auf ihre Staatsanleihen und immer fünf Prozent mehr als Deutschland bezahlen mußten – bekommen die deutschen Niedrigzinsen.

In wenigen Jahren fließen aus Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich und Italien ungeheure Kreditsummen nach Griechenland, Spanien, Portugal und Irland. Das billige Geld löst einen Ausgaben- und Konsumrausch aus. In Portugal und Griechenland werden die Beamtengehälter verdoppelt, Autos und Konsumgüter angeschafft wie nie zuvor. In Spanien und Irland fließen die Gelder an Banken und Sparkassen, die sie als billige Hypothekenkredite weiterreichen. Jeder baut sich ein Haus oder kauft eine Wohnung, viele gleich zwei oder drei, auf Eigenkapital und Bonitätsprüfungen wird verzichtet. Madrid, Barcelona und Dublin werden mit Gürteln aus Wohnblöcken und Reihenhäusern umgeben, die keiner braucht, aber jeder kauft. Dadurch steigen Preise und Arbeitseinkommen um 50 bis 70 Prozent, während die Produktivität der Wirtschaft dahinter zurückbleibt, stagniert.

2007 ist die Party vorbei. Die Finanzkrise führt zu Mißtrauen unter Banken, Versicherungen und Investmentfonds. Keiner will mehr die Staatsanleihen der Südländer, ihren Banken werden die Kredite gekündigt, das Geld fließt aus dem Süden in den Norden zurück. Im Herbst 2007 stehen Irland, Portugal und Griechenland finanziell auf der Kippe und brauchen die Hilfe der Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB weist die nationalen Notenbanken an, in großem Stil Staatspapiere der Krisenländer zu kaufen und ihren Geschäftsbanken großzügige Refinanzierungskredite gegen wertlose Pfänder zu gewähren. Die Deutsche Bundesbank stimmt im EZB-Rat gegen die Rettungsaktionen, wird aber ständig überstimmt.

Obwohl die EZB bis 2013 für über 120 Milliarden Euro Staatsanleihen der Krisenländer angekauft hat, war das von Anfang an nicht genug. Im Mai 2010 wurde für die Krisenstaaten ein Rettungsschirm installiert, der aus IWF-Krediten und immer neuen EU-Hilfsprogrammen mit nichtssagenden Akronymen (EFSM, EFSF, ab 2013 ESM) besteht. Im August 2013 haben die an Griechenland, Irland, Portugal, Zypern, Italien und Spanien ausgezahlten Hilfen die Höhe von 1.106 Milliarden Euro erreicht. Aber das ist nicht genug, zugesagt sind 1.221 Milliarden Euro, das Gesamtpotential liegt bei 1.794 Milliarden (anderen Berechnungen zufolge sogar bei 1.874 Milliarden) Euro. Davon haftet Deutschland potentiell für 637 (bzw. 648) Milliarden Euro, eine Summe, mit der die gesamte deutsche Infrastruktur saniert werden könnte.

Damit ist zwar der Euro vorerst gerettet, aber viele Länder der Euro-Zone stecken nun tief in der Rezession, werden von turmhohen Staatsschulden förmlich erdrückt und haben die höchsten Arbeitslosenraten seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Bruttoinlandsprodukt der ganzen EU-Zone wird in diesem Jahr vermutlich um 0,4 Prozent sinken, nachdem es bereits im vergangenen Jahr um 0,6 Prozent zurückgegangen ist.

In allen großen und vielen kleinen EU-Ländern ist das Wachstum in diesem Jahr gesunken, in Spanien, Finnland und Italien um zwei Prozent, in Portugal, Zypern und Griechenland um jeweils mehr als vier Prozent. Wachstum gab es nur in Malta, Luxemburg, Estland und der Slowakei, peripheren Volkswirtschaften, die den Kohl nicht fett machen. Auch der Ausblick für 2014 ist keineswegs berauschend. Da soll es zwar bis auf Zypern und Slowenien überall wieder Wachstum geben, aber das wird sich im einstelligen Bereich abspielen – wenn überhaupt. Das reicht hinten und vorne nicht, um die enormen Schuldenberge wieder abzubauen. Sechs Länder weisen eine Staatsverschuldung von mehr als dem Doppelten ihres jährlichen Bruttoinlandsproduktes (BIP) auf (erlaubt wären laut Fiskalpakt 60 Prozent): Irland, Belgien, Italien, Portugal, Griechenland und Zypern. Griechenland braucht bis 2014 noch einmal 15 Milliarden Euro an frischem Geld. Trotz zweimaligem Schuldenschnitt wird die Staatsverschuldung am Jahresende bei 175 Prozent vom BIP liegen, was dem Land auf Jahre die Luft zum Atmen nimmt. Ein drittes Hilfspaket und ein weiterer Schuldenschnitt nach der Bundestagswahl sind so sicher wie das Amen in der Kirche.

Italien mit 131 Prozent sowie Irland und Portugal mit Verschuldungsquoten von jeweils 123 Prozent stehen kaum besser da. Und auch in Frankreich, Spanien, Großbritannien und Deutschland liegt die Staatsverschuldung bei über 80 Prozent vom BIP. Alle diese Länder bräuchten auf Jahre hinaus Netto-Wachstumsraten von zwei bis drei Prozent im Jahr, um ihre Schulden deutlich zu senken, was aber vollkommen illusorisch ist.

Das dritte Problem nach fehlendem Wachstum und galoppierender Staatsverschuldung ist die durch die EU-Krise ausgelöste Massenarbeitslosigkeit. In Griechenland und Spanien ist ein Viertel der Bevölkerung und mehr als die Hälfte der Jugendlichen unter 24 arbeitslos. In Portugal, Zypern, der Slowakei, Irland, Italien, Slowenien und Frankreich haben mehr als zehn Prozent der Bevölkerung und 20 bis 35 Prozent der jungen Leute keinen Job. Das ist schlimmer als Verschuldung und Bankenkrise. Arbeitslose zahlen weder Steuern noch in die Renten- und Krankenkassen ein und tragen auch nicht zum Wirtschaftswachstum bei. Im Gegenteil: Die jungen Arbeitslosen, die keine Ausbildung, keine Jobs, keine Erfahrung, keine Einkommen, kein Vermögen und kaum Altersversorgung haben – diese verlorene Generation also, die jetzt eigentlich auf Teufel komm raus arbeiten, verdienen und konsumieren müßte, um die Krise zu überwinden, kann das nicht, weil alle Voraussetzungen fehlen.

Schließlich wäre da die Sanierung der europäischen Banken mit dem Fernziel Bankenunion. Die Sanierung sollte eine einheitliche Bankenaufsicht in der EU, die Rekapitalisierung de facto geschäftsunfähiger Institute und eine einheitliche Einlagensicherung umfassen. Davon ist bislang gar nichts umgesetzt, und es ist fraglich, ob sich da zukünftig noch viel tun wird.

Zwölf Jahre nach der Einführung des Euro befindet sich die EU in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Wo es Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung geben sollte, herrschen Stagnation, Vermögensentwertung und Arbeitslosigkeit. Die augenblickliche Ruhe ist trügerisch. Wenn die Bundestagswahl vorbei ist, werden die Deutschen erfahren, daß Griechenland, Spanien und Portugal auf Jahre am Tropf der deutschen Steuerzahler hängen, daß die ganze EU in eine zehnjährige Phase der Stagnation nach dem Vorbild Japans eintritt und die hiesigen Sparvermögen und Geldanlagen zunehmend entwertet werden.

 

Target & Co.

Die Euro-Krise ist längst nicht gelöst, nach der Bundestagswahl werden die finanziellen Bürden wieder auf die politische Tagesordnung zurückdrängen. Der größte Brocken, den die Steuerzahler zu bewältigen haben, besteht aus den sogenannten Target-Verbindlichkeiten, die bei der Abwicklung grenzüberschreitender Zahlungen entstehen. Da die Krisenländer auf dem Markt keine Kredite mehr erhalten, die sie zum Ausgleich ihrer Handelsbilanzen brauchen, lassen sie (über die EZB) bei den wirtschaftlich stärkeren Staaten quasi „anschreiben“ (JF 44/12).

Foto: Zum Haareraufen: Hohe Verschuldung, kein Wachstum und horrende Arbeitslosenzahlen, das ist die Situation in den Krisenstaaten der Euro-Zone. Und Deutschland haftet mit ...

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