© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Er hört nur auf seine innere Stimme
Anordnungen werden ohne Widerspruch befolgt: Karl Lagerfeld wird mutmaßlich achtzig
Sebastian Hennig

Günther Grass und Karl Lagerfeld, beide der gleichen Generation zugehörig, sind an der nördlichen Küste Deutschlands in Danzig und Hamburg zur Welt gekommen. Möglicherweise wird der eine so über- wie der andere unterschätzt. Ein Entertainer gilt noch als der Künstler, der er möglicherweise tatsächlich einmal war, und ein Künstler nur für einen Selbstdarsteller.

In einem internationalen Wirkungsbereich erfüllen beide gewissermaßen den Beruf, exemplarische Deutsche zu sein. Sie präsentieren jeweils verschiedenen Öffentlichkeiten den neuen alten Deutschen, der nach Krieg und Zerstörung seinen ererbten Tugenden neue Betätigungsfelder erschlossen hat. Und nicht zuletzt erscheinen beider Publikationen im Göttinger Steidl Verlag.

Von Lagerfeld, der eine gewaltige Privatbibliothek besitzt (nach eigenen Angaben rund 300.00 Bücher), stehen dort nicht nur Fotobände auf dem Programm. Er gibt sogar eine eigene Buchreihe mit hohem Anspruch heraus: LSD. Diese Abkürzung verweist nicht auf das bekannte Halluzinogen, sondern bedeutet schlicht Lagerfeld-Steidl-Druck.

Denn Lagerfeld braucht keine Stimulanzien von außen. Er betrinkt und berauscht sich allein mit jenem Stoff, hinter dem die potentesten Narkotika an Wirkung weit zurückstehen. Es ist die eigene Persönlichkeit, der er pausenlos zuspricht und die ihn dabei immer klarer werden läßt: „Ich habe ja Glück. Ich habe nie Alkohol getrunken, nie geraucht, nie Drogen genommen. Das macht viel aus. Da komme ich mir frischer vor als meine Zeitgenossen.“

Cola ist sein Universalgetränk, das er selbst zu den feinen französischen Gerichten einnimmt. Solche bizarren Formverstöße, kleine Abweichungen, sind die Widerhaken, an denen sein Stilempfinden in der Wirklichkeit befestigt ist. So macht er es auch im Beruf. Unmäßig verzierte Jacken mit Perlstickereien und Kristallgefunkel werden mit Bluejeans kombiniert. Sein Kommentar dazu: „... ich will mich ja in der Mode nicht isolieren. Die Außenwelt bringt Innenwelt. Man muß seine Epoche lieben. Ich will kein Secondhandlife haben.“

Mutmaßlich 1933 geboren – um sein Alter betreibt Lagerfeld, sofern er sich überhaupt dazu äußert, ein Verwirrspiel –, aufgewachsen in wohlhabenden Verhältnissen, begann die berufliche Laufbahn des Hamburgers 1954 in Paris ganz solide mit dem ausgezeichneten Entwurf für einen wollenen Mantel. Das Bekleidungsstück wurde bei Pierre Balmain gefertigt. Der Stil der früheren Pariser Eleganz war sicher richtungweisend für den Einsteiger aus Deutschland.

Lagerfelds Beziehung zur Mode hat Züge von echter Bedürftigkeit, die nach und nach gegenseitig wurde. Alle seine Extravaganzen spannen sich um die Wirbelsäule eines festen, verbindlichen Empfindens für großen Stil, wie ihn die Mode jener Nachkriegsjahre ersehnte und inszenierte. Wenn er Aspekte des Understatements, der Verruchtheit und der Schlampigkeit einbezieht sind diese immer von einer eleganten Verbrämung gehalten. Die autodestruktive Verlagerung des Anspruches ins uferlos Schräge macht er nicht mit. Er balanciert bis zum Äußersten, bleibt aber immer stabil. Alle seine Darstellungen bleiben Theater und metaphorisch.

Mit seiner Sonnenbrille, der hohen Stirn, dem breiten Mund und den fleischigen Ohren hat er etwas von einem nubischen Diktator an sich. Wie ein jugendlicher Totenschädel wirkt das Haupt mit seiner von der Sonnenbrille schwarz ausgesparten Augenpartie.

Lagerfeld wird nie vulgär. Ohne selbst innerlicher werden zu müssen, ist er nur durch die Tatsache einer gleichzeitigen Vergeistigung und Verflachung des Kulturbetriebs zu einem verhältnismäßig soliden und zuverlässigen Protagonisten dieser Szene geworden. Anders als Grass kann er, ohne hinter der Sonnenbrille mit der Wimper zu zucken, sagen: „Das habe ich imagemäßig gut hingekriegt, so eine Art Hampelmann aus mir zu machen.“

Lagerfeld errichtet eine Barriere um sich, nicht durch ästhetische oder ethische Arroganz, sondern mit Wortwitz und Bildung. Mittels fein kalkulierter Übertreibung erinnert er an das Maß. Originalton Lagerfeld: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Er macht Kollektionen, die Namen wie Volkshochschulkurse tragen und an Bildungsreisen erinnern. So vor drei Jahren am Lido von Venedig die Chanel-Modenschau „Coco am Lido“. Zu diesem Anlaß verschenkte er eine Sonnenbrille aus dem Besitz von Coco Chanel an die Peggy-Guggenheim-Stiftung mit den Worten: „Was soll ich damit? Ich habe doch meine eigene Sonnenbrille.“ Hat je einer so virtuos Anmaßung und Bescheidenheit in eine Äußerung verzwirnt?

Seine Mutter soll gekalauert haben: „Hamburg, das Tor zur Welt? Dann nichts wie durch und raus.“ Als er zu Beginn der achtziger Jahre Chanel zur Renaissance verhalf, bahnten nicht zuletzt die neugegründeten Läden in Hamburg und Düsseldorf das Tor in die Welt einer bedingungslos kaufbereiten Kundschaft. Zehn Jahre später nahmen die Pariser die Verteilung in Eigenregie. Viele solche Strategiewechsel hat Lagerfeld überstanden, Werbung für die schnödesten Dinge gemacht und Entwürfe für Mode-Discounter wie „Monoprix“ „Quelle“ und „Hennes & Mauritz“ angefertigt.

In den siebziger Jahren stand er lange abseits und verfolgte das Geschehen als Voyeur. 1983 wurde er dann künstlerischer Direktor bei Chanel, wo er geläutert zurückgeben konnte, was er in den fünfziger und sechziger Jahren von der guten alten Pariser Mode noch erhalten hatte. Weil er intelligent genug ist, zu erkennen, daß das vermeintlich Neue zumeist nur das übers Knie gebrochene Alte ist, begnügt er sich seinerseits mit leichten Akzentverschiebungen. Lagerfelds wirtschaftliche Eigenunternehmungen waren nie ganz so erfolgreich und glanzvoll wie die Dienstleistungen für andere Häuser. Als Gastprofessor für Mode lehrte er in Wien. Wiederholt war Lagerfeld auch als Kostümbildner für Operninszenierungen tätig.

Der altgediente, 2007 verstorbene Jacques Helleu, „das Auge“ von Chanel, meinte einst zu der verblüffenden Wandlung einer antiquierten Bekleidungsweise zum aktuellen Ereignis: „Karl rüttelte das Haus Chanel für immer wach.“ Daraus ergaben sich außerordentliche Handlungsbefugnisse. Ein Karl-Lagerfeld-Ermächtigungsgesetz dient als Notverordnung um den Blitzerfolg von Chanel fortzusetzen. Er räumt ein, dabei „fast faschistische Methoden“ anzuwenden. Seine Anordnungen werden ohne Diskussion und Widerspruch befolgt. Nach eigener Aussage hört er wie Frankreichs Nationalheldin Jeanne d’Arc nur auf seine innere Stimme. Lagerfeld ist ein Wiedergänger von George Bryant Brummell, der mit gestärkten Kragen und mit Krawatten, die zeitraubend mit dem raffinierten Anschein der Nachlässigkeit gebunden wurden, die Modewelt des Georgianischen England in Atem hielt. Auf die Anfrage, wie lange er weiterzumachen gedenke, antwortet er lakonisch: „Die Todesstrafe ist verboten, aber lebenslänglich nicht.“

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